Die Vorschläge der SPD-Generalsekretärin zur Wahlreform 

Die Qual der Wahl

Angesichts der sinkenden Wahlbeteiligung hat die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, eine Reform des Wahlverfahrens vorgeschlagen. Sie möchte eine wochenlange Stimmabgabe ermöglichen und mobile Wahlkabinen errichten.

Von Schweden lernen, da denkt man hierzulande zuerst an Kinderbücher, die Einrichtung des Wohnzimmers oder die Gestaltung des Schulsystems. Angesichts der hohen Wahlbeteiligung in Schweden, die seit Jahrzehnten konstant bei über 80 Prozent liegt, hat sich die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi, gefragt, ob man sich nicht auch das schwedische Wahlverfahren zum Vorbild nehmen sollte. Schließlich sinkt die Wahlbeteiligung in Deutschland rapide, bei den vergangenen Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg fand höchstens die Hälfte der Wahlberechtigten den Weg ins Wahllokal. In Schweden kann man bei der Wahl 18 Tage an jedem Ort im Land seine Stimme abgeben, Wahlkabinen gibt es fast überall, sogar im Supermarkt. Entsprechend sprach sich Fahini dafür aus, sich vom klassischen Wahlsonntag zu verabschieden und an öffentlichen Orten mobile Wahlkabinen aufzustellen, beispielsweise vor Postämtern oder Supermärkten, aber auch in Rathäusern, Bahnhöfen oder öffentlichen Bibliotheken.
Ob die geringe Wahlbeteiligung hierzulande tatsächlich vor allem der Bequemlichkeit geschuldet ist, wie Fahimi mit diesen Vorschlägen nahelegt, ist fraglich, allerdings dürften sich selbst in Bayern die Zeiten dem Ende nähern, in denen man sich am Wahlsonntag nach dem Besuch des Gottesdienstes, dem Sonntagsbraten oder der Kaffeetafel auf den Weg zum Wahllokal machte. Die Empörung des Koalitionspartners war aus anderen Gründen groß.
»Wählen zwischen Aldi-Regalen ist nicht der richtige Weg«, schnaubte Andreas Scheuer, der Generalsekretär der CSU. Dass Scheuer ausgerechnet einen Discounter als Beispiel nannte, ist bezeichnend. Es sind die Armen und nicht die Gutsituierten, die hierzulande immer seltener wählen gehen, entsprechend unverhältnismäßig ist ihr Einfluss auf das Wahlergebnis. Überraschend ist die geringe Wahlbeteiligung bei Menschen, die unter prekären Bedingungen leben, nicht. Nichts dürfte ihre Politikverdrossenheit mehr befördert haben als die Hartz-IV-Gesetze unter Rot-Grün, die von der FDP befeuerte Kampagne gegen »Sozialschmarotzer« oder der jahrelange Kampf der CDU gegen die Einführung eines Mindestlohns. Aber auch in den Reihen der Genossen hielt sich die Begeisterung für Fahimis Vorschlag in Grenzen, lediglich der SPD-Linke Ralf Stegner sprang ihr bei. Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, sprach sich stattdessen für mehr Bürgerbeteiligung in der Politik aus und plädierte für Volksentscheide auf Bundesebene.
Dabei wäre nicht Schweden, sondern die Schweiz als Vorbild. Dort hat man sich per Volksentscheid gegen einen Mindestlohn und für eine engere Beschränkung der Zuwanderung ausgesprochen. Bei Volksentscheiden in der Schweiz gewinnen in der Regel diejenigen, die die größeren Ressourcen für Lobbykampagnen haben. Beim Volksentscheid gegen die Schulreform in Hamburg war das ähnlich, dort probten gutsituierte Eltern den Klassenkampf von oben – mit Erfolg. An der Politikverdrossenheit der Armen ändern Volksentscheide nichts, aber anscheinend halten sie die meisten Parteien als Wähler ohnehin für verzichtbar, entsprechend ist ihre Politik.