Ermittlungen gegen die Hauptstadtmafia in Rom

Drei Welten, ein Ziel

In Italien wird gegen die sogenannte Haupt­stadtmafia ermittelt. Politiker der Demokratischen Partei, Unternehmer und Neofaschisten in Rom verbündeten sich, nicht zuletzt um staatliche Aufträge zu bekommen.

Die langen schmalen Wohnblocks im Viale Morandi wirken im trüben Nachmittagslicht des letzten Adventssonntags wie traurige Betonriesen; sie überragen eine Gruppe schmaler Zyp­ressen, selbst die wenigen Pinien reichen nicht bis zu den obersten Stockwerken. Die meisten Rollläden sind geschlossen, vereinzelt spannen sich vergilbte Sonnensegel über die eingemauerten Balkone. Die Ruhe ist trügerisch. Im November hatte hier in einem Außenbezirk Roms ein rassistischer Mob getobt und schließlich die Räumung einer Unterkunft für unbegleitete minderjährige Jugendliche im gegenüberliegenden, dunkel verglasten Gebäudekomplex erzwungen (Jungle World 48/2014). Kaum einen Monat später legen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rom den Verdacht nahe, rechtsextreme Gruppen wie Casa Pound hätten die rassistische Wut im Viertel Tor Sapienza nicht nur aus ideologischen Gründen geschürt, sondern auch im Geschäftsinteresse eines Verbrecherkartells.
Mafia Capitale (Hauptstadtmafia) nennen die Ankläger das Bündnis zwischen alten Neofaschisten, korrupten Mitgliedern der Demokratischen Partei (PD) und skrupellosen Geschäftemachern. Neben Geldwäsche, Wucher und Rechnungsbetrug wird ihnen vor allem Erpressung und Korruption zur Erlangung staatlicher Aufträge vorgeworfen. 37 Personen wurden verhaftet, gegen mehr als 100 weitere laufen Ermittlungen. Insbesondere öffentliche Dienstleistungen wie Stadtreinigung und Nahverkehr sowie die Unterbringung von Flüchtlingen und die Einrichtung von Camps für Roma soll die Hauptstadtmafia kontrolliert oder direkt selbst betrieben haben.

»Hast du eine Ahnung, wie viel man mit Immigranten verdient? Der Drogenhandel wirft weniger ab.« Ein Abhörprotokoll schreibt diese zynische Kalkulation Salvatore Buzzi zu, der bisher als linker Vorzeigeunternehmer galt. Nachdem er 1980 wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden war, entwickelte er sich während seiner Haft zum Modellhäftling, er studierte Philosophie und gründete noch vor seiner Entlassung eine Kooperative, die mithilfe kommunaler Aufträge ehemaligen Häftlingen und anderen gesellschaftlich Marginalisierten eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglichen sollte. Im Laufe der neunziger Jahre baute Buzzi aus verschiedenen sozialen Kooperativen ein Geschäftsimperium auf, das 2013 mehr als 1 000 Angestellte zählte und einen Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro machte.
Vor allem die Verwaltung des von den wechselnden italienischen Regierungen propagierten »Flüchtlingsnotstands« erwies sich als lukratives Geschäft: Aufnahmelager, Flüchtlingsheime und Abschiebegefängnisse werden von Koopera­tiven geleitet, die für die Verpflegung und Betreuung ihrer Insassen einen regional bemessenen Pauschalbetrag bekommen. Der durchschnittliche Tagessatz beträgt etwa 40 Euro, für minderjährige Flüchtlinge beträgt er das Doppelte. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft belegen nun, was antirassistische Flüchtlingsinitiativen seit Jahren beklagen: Das öffentliche Geld wurde veruntreut, die Flüchtlingen bekamen häufig zu wenig Tagesgeld ausbezahlt und in den Einrichtungen waren die Verpflegung und die sanitären Standards unzureichend.
Als Boss der Hauptstadtmafia gilt Massimo Carminati. Ende der siebziger Jahre hatte er Kontakt zu den legendären römischen Vorstadtkriminellen der Banda della Magliana, später gehörte er der neofaschistischen Terrorgruppe NAR an. Anfang der achtziger Jahre verlor er durch einen Polizeischuss ein Auge, überlebte aber die schwere Kopfverletzung. In der rechtsextremen Szene Roms wird der »Pirat« seither als unsterblich verehrt. Die Ermittler haben Carminati die »Theorie der mittleren Welt« abgelauscht. In ihr treffen sich Vertreter der wirtschaftlich und politisch einflussreichen Welt mit skrupellosen Outlaws, denn »auch eine Person aus der Oberwelt hat ein Interesse daran, dass jemand aus der Unterwelt ihm ein paar Dinge erledigt, die sonst niemand machen kann«, so Carminati. Nirgends vereinten sich die Interessen der »drei Welten« besser als in der Flüchtlingspolitik: Mit der Hetze gegen »kriminelle Ausländer« lässt sich der rassistische Mob politisch vereinnahmen und gleichzeitig viel Geld verdienen, weil mit jedem »Notstand« Geld für neue »Notunterkünfte« bereitgestellt wird.

Das Geschäftsmodell florierte insbesondere während der Amtszeit des ehemaligen römischen Bürgermeisters Gianni Alemanno. Zwischen 2008 und 2013 brachte der mutmaßliche Postfaschist seine neofaschistischen Kameraden in der Stadtverwaltung unter. Mitglieder der ehemaligen rechten Terrorgruppen Avanguardia Nazionale und Terza Posizione gehörten zu seinem engsten Mitarbeiterstab, neofaschistische Ultras der beiden römischen Stadionkurven und junge Skins fanden Jobs in den städtischen Müll- und Verkehrsbetrieben. Der Einstellungsboom flog auf und kostete Alemanno schließlich die Wiederwahl. Die neofaschistische Klientelpolitik wurde seinerzeit noch als »Verwandtschaftsaffäre« skandalisiert, erst jetzt werden die bereits im September in einer Recherche des Nachrichtenmagazins L’Espresso angedeuteten mafiösen Verstrickungen untersucht. Auch gegen Alemanno laufen Ermittlungen. Obwohl Schmiergeld in seine Stiftung »Nuova Italia« geflossen sein soll, bestreitet er jeden Kontakt zur »Fascho-Mafia«.
Im Stil der ursprünglich in Süditalien, heute global agierenden Clans betreibt auch die Hauptstadtmafia gleichzeitig legale und illegale Geschäftszweige und ordnet jede ideologische Überzeugung dem parteiübergreifenden Macht- und Profitstreben unter. Da die traditionellen Mafia-Familien und die Banda della Magliana zur Zeit des Kalten Krieges nachweislich Verbindungen zu neofaschistischen Gruppen hatten, überraschte der Fortbestand eines fascho-mafiösen Bündnisses wenig. Dagegen löste die Verstrickung zahlreicher Politiker der PD und Buzzis führende Rolle in dem Verbrecherkartell bei den Linksliberalen panikartiges Entsetzen aus. Das genossenschaftliche Kooperationswesen galt als quasi antikapitalistische Bastion, deren gemeinnütziger, sozialer Charakter die bessere Moral der Linken bezeugen sollte. Nun ist auch dieser letzte linke Mythos entlarvt. Die Abhörprotokolle legen zudem den Verdacht nahe, Buzzi habe sich bei der Flüchtlingsbetreuung den Markt für soziale Kooperativen mit den Anbietern der katholischen Bischofskonferenz geteilt. Allerdings wird bisher gegen keinen Vertreter einer konfessionellen Organisation ermittelt.

Alemannos Amtsnachfolger, der Mediziner Ignazio Marino, war bis vor wenigen Wochen aufgrund seiner politischen Naivität auch bei seinen Parteifreunden des PD umstritten, nun aber gilt der Quereinsteiger als Garant für den demokratischen Neuanfang. Dass dabei die juristische Aufarbeitung betont wird, zeigt die Berufung des Staatsanwalts Alfonso Sabella zum Anti-Mafia-Stadtrat. Radikale Linke und verschiedene soziale (Stadtteil-)Bewegungen betonen dagegen die Zusammenhänge zwischen dem mafiösen System und der neoliberalen Regierungspolitik: Die Hauptstadtmafia profitierte von der Auslagerung öffentlicher Dienstleistungen, der Privatisierung städtischer Institutionen, dem Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen und von zahllosen Baugenehmigungen im römischen Umland. Die so­zialen Bewegungen fordern eine veränderte, am Gemeinwohl orientierte Stadtpolitik. Allerdings gelingt es bisher nicht, die Commons-Bewegung mit antirassistischen Initiativen zu verbinden. Zu einer Mitte Dezember organisierten Demonstration traf sich nur eine kleine, überschaubare Szene, in der Migrantinnen und Migranten kaum mehr als symbolisch präsent waren.