Israel 2015

Das vergangene Jahr war ein Weltkriegsgedenkjahr. Fast pausenlos wurde an den Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 erinnert. Dicke Wälzer, die Verlauf und Folgen des Krieges bis ins abseitige Detail analysierten, stapelten sich meterhoch in den Buchhandlungen. Im Fernsehen, Radio und in den Feuilletons der gedruckten oder digitalen Zeitungen gab es 100 Jahre nach dem großen Knall hitzige Debatten über die Schuldfrage. All jene, die dann immer noch nicht genug vom Thema hatten, konnten ihre Nachmittage in diversen Ausstellungshallen verbringen.
Wer nun aber glaubt, das war’s, der irrt. 2015 wird wieder ein Weltkriegsgedenkjahr. Denn im Mai vor 70 Jahren endete der Zweite Weltkrieg, – und mit ihm der fabrikmäßige Völkermord an den europäischen Juden. Da mag es wie ein kleines Wunder scheinen, welches andere historische Jubiläum in diesem Jahr auch begangen wird: Vor 50 Jahren haben die Bundesrepublik Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen aufgenommen. Das Land der Holocaust-Opfer reichte dem Staat der einstigen Täter die Hand. Wahrlich, ein denkwürdiges Ereignis. Und eines, das in den Medien eine große Rolle spielen wird, Rück- und Vorschau inklusive. Eine gute Gelegenheit also, sich von einigen Klischees und Vorurteilen in der Berichterstattung über den jüdischen Staat endlich zu verabschieden.
Denn Israel hat hierzulande in der Regel nach wie vor eine ziemlich schlechte Presse. Es vergeht kaum ein Tag, an dem das Land nicht irgendwo als Kriegstreiber gebrandmarkt wird, ihm Nazimethoden unterstellt werden oder es für jedes Übel in der Welt verantwortlich gemacht wird. Oft gehen diese an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfe perfider Weise mit einer Delegetimierung und Dämonisierung des »zionistischen Gebildes« einher. Ganz zu schweigen von einem kaum kaschierten Antisemitismus. Der Publizist Henryk M. Broder hat diese Boshaftigkeit mal mit einem bitterbösen Zitat des israe­lischen Psychoanalytikers Zvi Rex zusammengefasst: Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.
Ist die schlechte Presse für Israel also irreversibel? Das wäre fatal. Der Medienbetrieb hat es selbst in der Hand, gegenzusteuern. Die kommenden Feiern zum 50. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen sollten Anlass genug sein, sich Israel unvoreingenommen zu nähern. Womöglich klappt das am besten, wenn man den schier endlosen Konflikt mit den Palästinensern einfach mal so weit wie möglich ausblendet. Der jüdische Staat hat zwar eine besondere Geschichte. Das Israel der Gegenwart ist allerdings in vielerlei Hinsicht ein Land wie jedes andere. Die Probleme sind ebenso zahlreich wie die Errungenschaften. Alles ganz normal eben. Es wird Zeit, Leser, Hörer und Zuschauer dies wissen zu lassen. Dabei darf man sehr wohl kritische Töne anschlagen. Aber fair sollte es schon zugehen.