Der Kampf gegen die Taliban und das schwierige Verhältnis zwischen Pakistan und Afghanistan

Das Beste daraus machen

Pakistans Militär macht sich den Terror im eigenen Land zunutze, Afghanistan gerät immer stärker unter Druck.

Gewalt führt zu Gegengewalt – und jeder sieht sich dabei im Recht. »Wir werden den Krieg in die Rückzugsgebiete der Terroristen tragen«, drohte Pakistans Premierminister Nawaz Sharif zu Neujahr. Nach der Terrorattacke der Pakistanischen Taliban (TTP) auf eine vom Militär betriebene Privatschule in Peshawar am 16. Dezember vergangenen Jahres ringt das Land um Strategien im Antiterrorkampf. Nach dem heimtückischen Massaker, bei dem 145 Menschen starben, darunter 132 Schülerinnen und Schüler, und rund 120 verletzt wurden, scheint die bisweilen nachsichtige Haltung einem allgemeinen Aktionismus zu weichen.
Drei Tage nach dem Attentat hat Premierminister Sharif das seit dem Jahr 2008 bestehende Moratorium für die Todesstrafe bei Terroristen beendet. Unter anderem wurden fünf Männer gehenkt, darunter ein russischer Staatsbürger, die wegen der Beteiligung an einem Attentat auf den damaligen Militärdiktator General Pervez Musharraf vor zwölf Jahren zum Tode verurteilt worden waren. Zwei weitere Männer wurden wegen des 2009 erfolgten Angriffs auf das Armeehauptquartier hingerichtet. In den kommenden Wochen sollen bis zu 500 Menschen am Strang sterben. Die Hinrichtungsserie ruft internationale Proteste hervor. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte, die Exekutionen zu stoppen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International weist ausdrücklich darauf hin, dass die meisten Urteile unter Bedingungen gefällt wurden, die nicht internationalen Standards fairer Gerichtsverfahren entsprächen. Unter den Todeskandidaten soll sich auch ein zum Tatzeitpunkt 14jähriger befinden, dessen Geständnis nach neuntägiger Folter erpresst wurde. Dutzende Gnadengesuche wurden vom pakistanischen Präsidenten Mamnoon Hussain abgelehnt.
Insgesamt sitzen in pakistanischen Gefängnissen rund 8 000 Todeskandidaten ein, meist wegen Mordes, teils wegen Vergewaltigung, einige aber auch wegen Blasphemie. In den vergangenen Jahren wurden Exekutionen selten vollstreckt. Rund 30 Prozent der Todeskandidaten sind wegen Terrorismus zum Tode verurteilt, je nach politischem Kalkül könnten den 500 angekündigten Hinrichtungen viele weitere folgen.
Armee und Luftwaffe intensivieren nach der Attacke auf die Schule ihre Operationen im Grenzgebiet zu Afghanistan und führen landesweit Razzien durch. Bei Bombardements und Bodenkämpfen sollen seitdem über 200 Islamisten gestorben sein.
Vor dem Attentat hatte die seit Mitte Juni vorigen Jahres andauernde Antiterroroffensive in den Stammesgebieten durch den Winterbeginn an Schwung verloren. Armeechef Raheel Sharif zufolge wurden im Rahmen der Operation Zarb-e-Azb, benannt nach einem legendären Schwert des Propheten Mohammed und von führenden muslimischen Theologen Pakistans zum »Jihad gegen den Terrorismus« deklariert, bis zum 24. Dezember rund 2 100 Talibankämpfer getötet. TTP-Sprecher Mohammed Omar Khorasani begründete das Schulattentat als Racheaktion für die in dieser Operation getöteten Familienangehörigen der Taliban.

Die Sicherheitslage ist äußerst angespannt. Die Schul- und Universitätsferien wurden eine Woche vorgezogen. Armee und Sicherheitsdienste haben landesweit Checkpoints an Einfallstraßen errichtet, patrouillieren vor öffentlichen Einrichtungen und schützen Gefängnisse vor Befreiungsaktionen. Hauptprofiteur ist das Militär, das die Kontrolle übernimmt – und so gleichzeitig seinen innenpolitischen Einfluss ausbaut. Gemäß einem nationalen Aktionsplan soll zukünftig die Rechtsprechung in Terrorismusprozessen den Militärgerichten obliegen. Es mag dabei überraschen, dass die ansonsten zerstrittenen Parteien demonstrativ ihre Einigkeit betonen. Diskutiert wird darüber, inwieweit die Verfassung hierfür geändert werden muss. Die Forderungen seitens Anwaltsvereinigungen und aus Teilen der Zivilgesellschaft, wie der unabhängigen pakistanischen Menschenrechtskommission, nach einer Stärkung und Reform der zivilen Gerichtsbarkeit werden dabei weitestgehend ignoriert.
De facto sind die Zivilgerichte derzeit völlig überfordert. Außer auf den höheren Ebenen ist das pakistanische Justizsystem oft desolat und korrupt. Ähnlich miserabel sieht es bei lokalen Polizei- und Sicherheitsbehörden aus. Ermittlungen und Gerichtsverfahren ziehen sich ewig hin, die Ausstattung ist marode. Im Kontrast dazu betreibt der Oberste Gerichtshof seine eigene Politik, legt sich mit den wirtschaftlich omnipräsenten Angehörigen des Militärs und Politikern an – weswegen die Zivilrichter auf wenig Fürsprecher hoffen dürfen. Begründete Bedenken, dass die Errichtung einer parallelen Judikative durch das Militär große Gefahren beinhaltet, da die schwammige Auslegung des Terrorismusbegriffs, wie schon oft in der Vergangenheit Pakistans, gegen alles, was sich gegen die Belange des Militärs richtet, instrumentalisiert werden könnte, werden seitens der Politik kaum thematisiert. Die damit einhergehende Stärkung und Kompetenzausweitung von paramilitärischen Organisationen und des Militärgeheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) zu Lasten der lokalen Polizei und zivilen Sicherheitsbehörden werden billigend in Kauf genommen.
Gleichzeitig scheint die Regierung zeigen zu wollen, dass sie es mit der Terrorbekämpfung ernst meint. Die Ende Dezember gefällte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, Zaki-ur-Rehman Lakhvi, ein führendes Mitglied der Terrorgruppe Lashkar-e-Toiba und vermutlicher Planer des Terrorangriffs auf die indische Hafenstadt Mumbai im November 2008, auf freien Fuß zu setzen, wurde von der Regierung blockiert und mit Hilfe neuer Anschuldigungen konterkariert. Dies kann auch als Zeichen an die indische Regierung gewertet werden; allerdings kam es gleichzeitig erneut zu Artilleriegefechten an der Waffenstillstandslinie im Hochgebirge des geteilten Kaschmir.
Derweil soll sich die TTP-Führung um Maulana Fazlullah nach Afghanistan abgesetzt haben, um sich dem Zugriff der pakistanischen Armee zu entziehen. Bereits kurz nach der Schulattacke war Armeechef Sharif kurzfristig nach Kabul geflogen und hatte mit Afghanistans Präsidenten Ashraf Ghani über die Sicherheitslage gesprochen. Das Verhältnis zwischen den Nachbarstaaten ist schwierig, beide Seiten werfen einander vor, jeweils die im anderen Land operierenden Taliban-Gruppen zu dulden und zu unterstützen. So verwundert es kaum, dass die afghanischen Taliban, die selbst nicht vor Angriffen auf Schulen und Terrorakten mit vielen Toten zurückschrecken, umgehend das Massaker von Peshawar verurteilten. Mit ein paar Tagen Verspätung meldete sich dann die in Pakistan durchaus aktive Terrorgruppe al-Qaida zu Wort und schloss sich der Kritik an.

Der immer lauter werdende Ruf in Pakistan nach grenzüberschreitenden Aktionen der Armee weckt in Afghanistan Besorgnis – und die Neujahrsworte Präsident Sharifs können als Drohung verstanden werden. Der pakistanischen Zeitung Jang zufolge sollen mindestens zwei der TTP-Attentäter von Peshawar Afghanen gewesen sein. Es wird befürchtet, dass Pakistan dies als Vorwand nutzen könnte, sich noch stärker in Afghanistan einzumischen und eventuell sogar eine Art Pufferzone im Grenzgebiet zu errichten, wogegen die in dieser Region bereits durch afghanische Taliban bedrängte Nationalarmee sowie Grenztruppen nur wenig ausrichten könnten.
In Afghanistan hat am 1. Januar die Operation Resolute Support als Nachfolgemission des 13jährigen Isaf-Kampfeinsatzes begonnen. Die rund 12 000 ausländischen Soldaten, darunter 850 Deutsche, die im Land verbleiben, sollen nun vorrangig ausbilden und beraten. Den Kampf gegen die Taliban müssen die Afghanen selbst führen. Zwar wurde die afghanische Nationalarmee (ANA) in den vergangenen Jahren aufgerüstet, seit Jahren auch von Pakistans Erzrivalen Indien, wo voriges Jahr 1 100 afghanische Offiziere weitergebildet wurden. Die ANA verlor jedoch allein 2014 rund 3 500 Soldaten – so viele wie die Isaf-Truppen in insgesamt 13 Jahren. Es war ein blutiges Jahr, fast 10 000 Menschen wurden Opfer von Anschlägen und Kampfhandlungen. Die Frühjahrsoffensiven der Taliban dürften heftig werden.
Politisch steht das Land noch immer vor Problemen: Zwar hatten sich der neugewählte Präsident Ghani und der unterlegene Abdullah Abdullah nach langem Streit im vergangenen Herbst auf einen Kompromiss geeinigt, der Abdullah als »Geschäftsführer« der Regierung an der Macht beteiligt, jedoch ist die Vergabe einzelner Regierungsposten bis heute ungeklärt. Viele Afghanen, die in den vergangenen 13 Jahren schrittweise Verbesserungen, wirtschaftlichen Aufschwung und relativen Frieden erlebten, vorrangig im Norden und Westen und insbesondere im urbanen Umfeld, fürchten neben den Taliban eine Rückkehr des ethnischen Bürgerkriegs. Bislang konnte dies durch Einbindung von Warlords in Strukturen auf lokaler Ebene vermieden werden. Bräche die Finanzierung von Militär und Sicherheitskräften zusammen, stünde das Land am Abgrund und würde wie schon früher eine tatkräftigere Einmischung durch pakistanische Gewährsleute geradezu herausfordern.
So wandelt sich der terroristische Albtraum von Peshawar zum vierfachen Joker für Pakistans Generäle: Seitens der Politik werden sie mit neuen Befugnissen ausgestattet. Sie können sich den lästigen Richtern entziehen. Die Bevölkerung steht in einem Moment kollektiver Wut fast geschlossen hinter ihnen als Rächern und Garanten von Sicherheit. Der strauchelnde und traditionell eher Indien-freundliche Nachbar Afghanistan wird unter Druck gesetzt. Die Generäle können somit das Beste aus dem Bösen machen.