Die französische Umweltbewegung als große soziale Protestbewegung

Die ZADisten kommen

In Frankreich vereint eine Umweltbewegung, die sich um »zu verteidigende Zonen« rankt, erstmals seit Jahren unterschiedliche Milieus in sozialem Protest.

Dümmer, als die Polizei erlaubt? Nicht unbedingt, die dümmsten oder schrägsten Ideen hat die Polizei oft selbst. Vor zwei Jahren taufte die Einsatzleitung der französischen Bereitschaftspolizei auf dem Gelände des Flughafenprojekts von Notre-Dame-des-Landes, einige Kilometer von Nantes entfernt, ihren geplanten Einsatz auf den Namen »Operation Cäsar«. Die Anspielung auf den altrömischen Diktator sollte ausdrücken, dass man nun dem Dorf der widerspenstigen Gallier in Form der ZAD, der zone à défendre (»zu verteidigende Zone«), also dem Hüttendorf der Flughafengegner, zu Leibe rücken werde. In der französischen Öffentlichkeit konnte dies jedoch nur Sympathie für die Flughafengegner hervorrufen. Prompt antworteten diese im November 2012 mit einer »Operation Asterix«.

Das Flughafenprojekt von Notre-Dame-des-Landes, in der Protestszene meist mit den Initialen »NDDL« abgekürzt, gilt als überflüssig: Der bereits vorhandene Flughafen von Nantes kann 3,5 Millionen Fluggäste jährlich abwickeln, das entspricht ungefähr dem derzeitigen Reisevolumen. Den Planungen für das Projekt »NDDL« liegt dagegen eine glatte Verdreifachung des Passagieraufkommens zugrunde, die sich aber kaum abzeichnet. Dafür sollen seltene Feuchtwiesen, Naherholungsgebiete rund um einen See und Vogelschutzzonen durch das Projekt gefährdet werden.

Seit etwa einem halben Jahr ruhen dort die Bauarbeiten, weil neue Klagen der Projektgegner auf umweltrechtlicher Grundlage anhängig sind. Doch als sich am Montagvormittag dieser Woche Staatspräsident François Hollande in einem zweistündigen Rundfunkinterview an die Nation wandte – ein Bestandteil seines verzweifelten Versuchs, wieder in die Offensive zu kommen und seine extrem geringe Popularitätswerte zu erhöhen –, kam die Sprache auch auf das Bauvorhaben von NDDL. Hollande stellte klar, man werde die ausstehenden Gerichtsverfahren noch zu Ende bringen und danach werde gebaut. Ein Scheitern des Projekts wegen gerichtlicher Urteile scheint er gar nicht in Erwägung zu ziehen.

Seit nunmehr zwei Jahren wachsen die Proteste gegen das Projekt. An mehreren Aktionswochenenden, etwa im Mai, August und Herbst 2013, reisten jeweils Zehntausende Menschen aus ganz Frankreich zur Unterstützung der örtlichen Aktivisten an. Die seitdem vielerorts in Frankreich aufkeimenden Umweltprotestbewegungen stellen derzeit fast die einzige greifbare Opposition im Land dar. Seit dem erfolglosen Massenprotest der Gewerkschaften gegen die mittlerweile vorletzte Rentenreform im Jahr 2010 fand kein bedeutender und unterschiedliche Milieus zusammenführender Sozialprotest mehr statt. Zu den Ursachen zählen die Lähmung der Gewerkschaften, die notorisch über die Frage gespalten sind, ob man auch unter einer sozialdemokratischen Regierung ähnlich wie unter einer konservativ-wirtschaftsliberalen »rücksichtslos« protestieren dürfe – oder ob man nicht das »kleinere Übel« schonen müsse. Und die Gewerkschaften tun sich wiederum schwer mit dem Umweltprotest. Zwar nehmen viele Gewerkschaftsmitglieder daran teil, doch bei einigen Verbänden zieht auch das Argument, durch die Bauvorhaben würden Arbeitsplätze geschaffen. Im Oktober 2014 gründete sich in Nantes nun erstmals ein vorwiegend von libertären Gewerkschaftern getragenes »Kollektiv von CGT-Mitgliedern gegen NDDL«.

Neben Lohnabhängigen sind auch andere Milieus in den frankreichweit entstehenden ZAD aktiv. Der Name ist eine Anspielung auf das offizielle Kürzel ZAD für zone à aménagement différé (»Zone für längerfristige Erschließung«). Der zu Protestzwecken abgewandelte Name wurde sowohl Hüttendörfern in Notre-Dame-des-Landes und Protestcamps in der Nähe des Staudammprojekts von Sivens in Südwestfrankreich, rund 30 Kilometer von Toulouse entfernt, als auch denen in Roybon in der Nähe von Grenoble gegeben. Dort soll ein geschütztes Waldgrundstück einem Center Parc weichen. Seit vergangenem Herbst gibt es auch dort heftige Proteste. Zwei Tage vor Weihnachten stoppte ein Gericht das Bauvorhaben aufgrund der Nichtbeachtung wasserrechtlicher Vorschriften. Der Bauherr ging in Berufung.

Neben städtischen Linken und Gewerkschaftern, die aus verschiedenen Gegenden Frankreichs nach Sivens, Roybon oder zum Großprotest gegen »NDDL« anreisen, leben in den ZAD einige Protestierende an Ort und Stelle: Vor allem junge Menschen, die aus der unmittelbaren Umgebung stammen, aber auch jüngere und ältere Menschen von weiter außerhalb, die den Aufenthalt dort zum Anlass nehmen, mit ihrem bisherigen Leben zu brechen. Manche von ihnen führen eine Art Aussteigerleben, das sie damit begründen, bisher stets in prekären Beschäftigungsverhältnisse gearbeitet zu haben – die angesichts ihrer Erfahrungen aber auch keine Motivation verspüren, eine dauerhaft gefestigte und auf Erwerbsarbeit ausgerichtete Existenz anzustreben. Auch organisierte Autonome machen mit.

Als Trittbrettfahrer versuchten vor allem in Sivens in der zweiten Jahreshälfte 2014 auch organisierte Rechtsextreme mitzumischen. Nach ihrer Enttarnung wurden sie jedoch von ortsansässigen Protestierenden ausgeschlossen. Sie zählen vor allem zu einer außerparlamentarischen Gruppe namens Mouvement d’action sociale (MAS), die ähnlich der italienischen Casa-Pound-Bewegung auf vordergründig innovative Weise in verschiedene gesellschaftliche Bereiche einzudringen versucht.

Für den Staudamm in Sivens soll der kleine Fluss Tescou aufgestaut werden, was ein Feuchtgebiet mit über 90 seltenen Pflanzen- und Tierarten erheblich gefährdet. Auch hier sind die Planungen, die dem 1989 in die Wege geleiteten Projekt zugrundeliegen, großteils Makulatur. Die genutzte landwirtschaftliche Anbaufläche rund um den Stausee, deren Bewässerung das Bauvorhaben dienen soll, ist seit Beginn der Planungen insgesamt um ein Drittel geschrumpft. Entgegen den offiziellen Beteuerungen geht es der Agrarlobby in Wirklichkeit um Pläne für noch mehr umweltgefährdende Mais-Monokulturen einiger weniger Großproduzenten. Inzwischen zweifelt allerdings auch eine offizielle Expertise für das französische Umweltministerium den Nutzen des Projekts an.