Stichwahl um die Präsidentschaft in Kroatien

Skifahren oder wählen

In Kroatien findet am 11. Januar die Stichwahl für die Präsidentschaft statt. In der ersten Runde kam ein unabhängiger Kandidat, der sich mit Antikapitalismus und Antiamerikanismus hervortat, auf den dritten Platz.

Selbst für diese Jahreszeit war es am 28. Dezember sehr kalt in weiten Teilen Kroatiens. Vielleicht fanden auch deswegen lediglich 47 Prozent der Wahlberechtigten bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen den Weg in die Wahllokale. Der amtierende Präsident Ivo Josipović der Sozialdemokratischen Partei Kroatiens (SDP) erhielt 38,5 Prozent der Stimmen, die Kandidatin der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ), Kolinda Grabar-Kitarović, 37,2 Prozent. Für sie war das ein Überraschungserfolg, lag doch Präsident Josipović bei Wahlprognosen bis zu acht Prozentpunkte vor seiner Herausforderin.

Bei den Wählerinnen und Wählern der HDZ verhält es sich ähnlich wie bei denen des Front National oder der AfD. Viele wollen sich und anderen gegenüber nicht eingestehen, dass sie mit den Rechten sympathisieren, aber wählen sie trotzdem. Deswegen holen diese Parteien oftmals mehr Stimmen, als die Wahlumfragen vermuten lassen. Außerdem hat die kroatische HDZ eine Stammwählerschaft, die sich nicht von der Witterung davon abhalten lässt, zur Wahl zu gehen. Oft sind dies diejenigen, die sich das Kroatien der neunziger Jahre zurückwünschen, inklusive der Glorifizierung von Kriegsverbrechern, des Hasses auf Serben, des wachsenden Einflusses des Katholizismus und der Relativierung des Ustascha-Faschismus. Im Zuge des EU-Beitritts wurde die HDZ durch die Beitrittsverhandlungen und die Europäische Volkspartei domestiziert und gibt sich ideologisch als mit der CSU vergleichbare katholische Mitte-rechts-Partei.
Josipović gilt weiterhin als populärer Präsident, leidet aber an der Unbeliebtheit seiner Partei SDP, die viele Kroatinnen und Kroaten für die wirtschaftliche Misere des Landes mitverantwortlich machen. Die Wirtschaftsleistung schrumpft und die Jugendarbeitslosigkeit gehört neben der Griechenlands und Spaniens zu den höchsten in der EU.

Zumindest ein junger Kroate kann derzeit nicht über zu wenig Arbeit klagen. Der 24jährige Student Ivan Vilibor Sincić holte im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 16,5 Prozent der Stimmen, obwohl er den meisten Kroaten bis vor kurzem noch völlig unbekannt war. Politisch trat er als Mitglied der Gruppe »Živi zid« (lebendige Wand) in Erscheinung, die gegen Wohnungsräumungen protestiert, weswegen Sincić bereits fünf mal festgenommen wurde.
Die Wählerschaft des Antikapitalisten setzt sich vor allem aus denjenigen zusammen, die unzufrieden mit der EU-Mitgliedschaft sind und sich nicht dem gefühlten Diktat der Banken beugen wollen. Auch Verschwörungstheoretiker und andere Wirrköpfe waren dem Kandidaten sehr zugetan. In einem Interview in der Fernseh-Sendung »Novi dan« (Neuer Tag) sagte Sincić: »Die EU-Mitgliedschaft wurde uns aufgezwungen«, die EU sei »eine Union der Banker und Bürokraten«, wobei er auch betonte, dass die Idee eines Zusammenschlusses der europäischen Völker grundsätzlich zu befürworten sei, aber in der jetzigen Form den Mitgliedern Schaden zufüge.
Sincić betont die Relevanz einer »echten monetären Unabhängigkeit« Kroatiens vom internationalen Finanzsystem, um das Recht der Bevölkerung auf Wohnungen und Schuldenfreiheit zu garantieren. Auf der Internetseite des Kandidaten wird die argentinische Finanzpolitik seit dem Staatsbankrott 2001 als vorbildlich bezeichnet.
Ein weiteres Ziel von Sincić ist der »Weltfrieden«, der vom militärisch-industriellen Komplex der USA verhindert werde. Hierzu heißt es im Wahlprogramm: »Die USA mit ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik sind der anhaltende Verursacher von Krieg, Instabilität und menschlichem Leiden in der Welt. Die Nato ist der verlängerte Arm des amerikanischen Imperialismus, an dem Kroatien nicht teilnehmen darf.«

Sincić selbst empfahl seinen Anhängerinnen und Anhängern, bei der Stichwahl am 11. Januar ungültig zu wählen. Dies ist in vielen Nachfolgestaaten Jugoslawiens ein beliebtes Mittel, um Protest zum Ausdruck zu bringen. Genannt werden dann oft Kandidaten wie Sherlock Holmes, um Korruption und Kriminalität zu beenden, oder Tito, um Jugoslawien wiederzubeleben.
Die Betonung der kroatischen Unabhängigkeit, die Gegnerschaft zu EU und Nato sowie der konsequente Antiamerikanismus von Sincić kommen nicht nur bei Linken an. Es ist gut möglich, dass seine Weigerung, eine Wahlempfehlung zu geben, letztlich die Kandidatin der HDZ ins Präsidentenamt bringt, weil die Wechselwähler die Stichwahlen entscheiden werden. Die Stimmen des Rechtsaußenkandidaten Milan Kujundžić im ersten Wahlgang (6,3 Prozent) werden Grabar-Kitarović zugutekommen, für die er eine Wahlempfehlung aussprach. Ideologisch steht die Wählerschaft von Sincić zwar der SDP näher als der HDZ, aber viele verbinden wenig Hoffnung mit der Aussicht auf eine neue Amtszeit des Präsidenten.
Ob genügend Wahlberechtigte glauben, mit einer Stimme für Josipović das für sie größere Übel zu verhindern, wird wahlentscheidend sein. Er hat kaum eine Möglichkeit, offensiv um die Gunst von Sincićs Wählern zu buhlen, da diese einen Kandidaten mit klarer antikapitalistischer Ausrichtung gewählt haben. Dies steht dem neoliberalen Reformprogramm des Präsidenten entgegen. Josipović würde sich daher unglaubwürdig machen, wenn er auf einmal den Klassenkämpfer in sich entdeckte. Dennoch ist er der klare Favorit für die Stichwahl am kommenden Sonntag. Am Ende entscheidet aber vielleicht doch das Wetter. Der Politologe Davor Gjenero schätzt, dass wegen der Urlaubssaison viele nicht wählen gehen werden: »Die Skisaison ist wichtig für einen großen Teil der Mittel- und Oberklasse, welche meist Josipović wählt.«