Das Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko wird kritisiert

Ungeachtet jeglicher Verantwortung

Die deutsche Regierung will trotz Kritik an den von staatlichen Behörden begangenen Menschenrechtsverletzungen in Mexiko ein Sicherheitsabkommen mit der mexikanischen Regierung abschließen.

Am 6. Dezember wurde bestätigt, was viele bis dahin befürchteten: Eine DNA-Analyse der Medizinischen Universität Innsbruck bestätigte den Tod von Alexander Mora Valencia, einem der am 26.September vergangenen Jahres verschwundenen Studenten der Lehramtsschule von Ayotzinapa (Jungle World 47/14). Untersucht worden waren Knochenreste und ein Backenzahn, mehr war von seinem verbrannten Körper nicht übriggeblieben. An jenem Nachmittag rief Felipe de la Cruz, Sprecher der Eltern der Verschwundenen, am Revolutionsdenkmahl in Mexiko-Stadt: »Wir werden nicht um Alexander weinen, aber wir hoffen, dass sein Fall das Samenkorn sein wird, damit die Revolution erblüht.«
Das Vertrauen der Eltern und Kommilitonen der 43 Studenten in Staatsanwaltschaft, Polizei und Behörden ist verschwindend gering. Schließlich wurde das Verbrechen von einer kriminellen Organisation mit Einverständnis der staatlichen Behörden verübt. Währenddessen ergab eine im mexikanischen Wochenmagazin Proceso veröffentlichte Recherche der Journalisten Anabel Hernandéz und Steve Fisher, dass der Angriff auf die Studenten alles andere als zufällig war. So seien die Studenten ab dem Zeitpunkt von den Behörden beschattet worden, als sie sich von Ayotzinapa in Richtung Iguala, den Ort des Verbrechens, aufmachten. Über das Kontroll- und Kommandosystem C4 seien Armee, Lokal- und Bundespolizei ständig von den Vorgängen unterrichtet gewesen. Entgegen den Behauptungen der mexikanischen Regierung stellten die beiden Journalisten fest, dass der Staat folglich nicht nur von dem Angriff gewusst hatte, sondern die Bundespolizei auch aktiv daran beteiligt gewesen war.
In Deutschland ist der Fall von Iguala durch Mahnwachen und Veranstaltungen in diversen Städten und eine anfangs breite Berichterstattung längst bekannt. Auch im Bundestag wird darüber debattiert. Dies vor allem mit Hinblick auf ein geplantes Sicherheitsabkommen mit Mexiko, durch das die polizeiliche Zusammenarbeit intensiviert werden soll. Details sind bisher noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, die Regierungen halten sich mit Informationen zurück. Die jüngsten Gewalttaten in Mexiko sehen die zuständigen deutschen Behörden, allen voran das Auswärtige Amt in Person von Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), keineswegs als Anlass für eine Unterbrechung der Verhandlungen, sondern vielmehr als Bestätigung für die Notwendigkeit eines solchen Abkommens. In einer Diskussion über besagte Kooperation sagte Böhmer in der 76. Sitzung des Bundestags am 18. Dezember: »Ein Aussetzen der Verhandlungen würde den Menschen in Mexiko in keiner Weise helfen. Die Bundesregierung wird den Dialog mit Mexiko konstruktiv fortsetzen, um einen Beitrag zur Entwicklung des Rechtsstaates zu leisten.« Als Partner gelten die mexikanischen Bundesbehörden, darunter auch die Bundespolizei. Strukturelle Probleme, wie Korruption oder die Auflösung der Grenzen zwischen Staat und organisierter Kriminalität, konstatiert die deutsche Seite zwar, reproduziert aber die Darstelllung der mexikanischen Regierung: Die katastrophalen Zustände werden eingestanden, die Ursachen jedoch auf Gemeindeebene verschoben.

Das Ausbleiben rechtlicher Vereinbarungen hat indes beide Partner nicht an der Kooperation gehindert. Jüngste Recherchen des Vereins México vía Berlin (MvB) haben ergeben, dass zwischen November 2010 und September 2014 insgesamt 39 mexikanische Polizisten an neun verschiedenen Kursen teilnahmen. Acht davon führte das Bundeskriminalamt (BKA) durch. Dreimal wurden die Treffen in Berlin, viermal in Mexiko-Stadt und zweimal in der Dominikanischen Republik abgehalten.
In der Debatte um die eigene Verantwortung wird von deutscher Seite außer Acht gelassen, dass schwere Menschenrechtsverletzungen in Mexiko allgegenwärtig sind. Nachdem der UN-Sonderberichterstatter zu Folter, Juan Mendéz, dem Land in der ersten Jahreshälfte 2014 einen zwölftägigen Besuch abgestattet hatte, prangerte er die systematische Anwendung von Folter durch mexikanische Autoritäten an. Vor allem die Verstrickung von Polizisten auf allen drei Regierungsebenen, also auf Bundes-, Regional-, und Lokalebene, und die daraus resultierende Straflosigkeit der Täter sei mehr als problematisch.
Außer Acht gelassen wird von Deutschland auch, dass es mexikanische Bundespolizisten waren, die Ende 2011 zwei Studenten auf einer Demonstration erschossen – vermutlich mit Waffen aus deutscher Produktion, die rein rechtlich nie dorthin hätten gelangen dürfen. Die beiden Ermordeten besuchten die gleiche Schule wie die 43 Verschwundenen: die Lehramtsschule »Raúl Isidro Burgos« in Ayotzinapa.
Genaue Zahlen sind nicht bekannt, doch kann davon ausgegangen werden, dass mindestens 1 924 Sturmgewehre vom Typ G36 der Firma Heckler & Koch in Guerrero zirkulieren. Das Unternehmen mit Sitz im baden-württembergischen Oberndorf bekam Kaufanfragen aus 27 der 32 mexikanischen Bundesstaaten. Für vier Bundesstaaten wurde keine Exportgenehmigung seitens der Bundesregierung erteilt, deren Berichte ebenso Ungereimtheiten aufweisen wie die der mexikanischen Behörden.

Dennoch fanden knapp 49,7 Prozent der exportierten Waffen zwischen 2006 und 2008 ihren Weg in drei dieser vier Bundesstaaten: Chihuahua, Guerrero und Chiapas. Der Taz liegen Informationen vor, laut denen bei der Durchsuchung des Waffenlagers des Polizeichefs von Iguala 228 Schusswaffen sichergestellt wurden. Darunter befanden sich ebenso 36 G36-Gewehre. Erneut kann davon ausgegangen werden, dass auch auf die sechs Ermordeten vom 26. September mit deutschen Waffen geschossen wurde.

Angesichts dieser Umstände scheint es verwunderlich, dass die deutsche Regierung weiterhin daran festhält, ein Sicherheitsabkommen mit Mexiko abzuschließen. Carlos A. Pérez Ricart von MvB sagte der Jungle World, dass sich der Vertrag nicht nur auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität beziehe. Es gehe vielmehr darum, »einen institutionellen Rahmen für den Transfer deutscher Rüstungstechnologie zu schaffen«. Obwohl dies nicht ausdrücklich in dem Abkommen stehe, werde es »neue Wege für Verhandlungen zwischen privaten Akteuren aus Deutschland und dem mexikanischen Staat öffnen«, so Pérez. Zusammen mit anderen Gruppen und Menschenrechtsorganisationen hat MvB über die Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko eine Kampagne gegen das Abkommen initiiert. Dass erst dadurch die Vertragsverhandlungen öffentlich wurden, sieht der Verein als Bestätigung dafür, dass es teilweise leichter möglich sei, vom Ausland aus politischen Druck auszuüben.
Während die Angehörigen sich zusammen mit politischen Gruppen und Organisationen eigenständig auf die Suche nach den restlichen 42 Studenten machen, bleibt die Unterstützung des mexikanischen Staats weiterhin oberflächlich. Die Weihnachtsfeiertage verbrachte Präsident Enrique Peña Nieto golfspielend; das Suchteam der Staatsanwaltschaft bekam bis zum 5. Januar Urlaub. Es sind diese Umstände, die den Worten eines Überlebenden des Angriffs in Iguala einen bitteren Charakter verleihen: »Denn wenn die Welt aufhört, auf Ayotzinapa zu schauen, werden sie uns holen kommen, denn genauso wie wir vergessen und vergeben auch sie nicht.«