Die spanische Partei Podemos

Was sie können

Die neue linke Partei Podemos könnte bei den nächsten Wahlen in Spanien großen Erfolg haben. Viele schätzen sie vor allem wegen ihren basisdemokratischen Strukturen.

28,3 Prozent der Stimmen, viermal mehr als bei den Europawahlen im Mai 2014 – so viel soll die neue spanische linke Partei Podemos (»Wir können«) einer Umfrage vom November zufolge mittlerweile erreichen. Die regierende Volkspartei konservative (PP) würde hingegen nur auf 26,3 Prozent und die Sozialdemokraten (PSOE) auf 20 Prozent der Stimmen kommen. Für dieses Jahr sind in Spanien verschiedene Wahlen angesetzt, wie weit Umfrageergebnisse verlässlich sind, kann niemand sagen. Aber dass Podemos nach Angaben des spanischen Zentrums für Soziologische Studien (Centro de Investigaciones Sociologicas, CIS) nun zu den drei stärksten politischen Kräften in Spanien gehört, scheint die Politik wiederzubeleben. Ihrem basisdemokratischen Leitbild zufolge ist eine breite Beteiligung an der Entscheidungsfindung wichtig, zudem gehört der Partei eine Riege politischer, vorwiegend linker Aktivisten und Aktivistinnen an, die teilweise über langjährige Erfahrungen im Politikbetrieb verfügen. Das kam gut an, bei den jüngsten Europawahlen holte Podemos auf Anhieb fünf Sitze.

Wichtige Gründe für die Attraktivität der Partei sind die miserable Wirtschaftslage Spaniens und der extreme Vertrauensverlust gegenüber den Regierungsparteien, die in diverse Korruptionsfälle verstrickt sind, vor allem aber die Basisnähe von Podemos. Es gibt die Möglichkeit, sich der Partei über sogenannte círculos (Kreise) zu nähern. Anfangs waren sie als provisorische Diskussions- und Planungstreffen in und außerhalb Spaniens gedacht, nach der konstituierenden asamblea ciudadana (Bürgerversammlung) vom 15. November haben die círculos ihren festen Platz im Parteigefüge bekommen. Hier agieren mittlerweile Tausende lokale Gruppen im In- und Ausland, außerdem findet, meist über das Intenet, eine übergreifende thematische Bündelung statt, etwa eine lokale oder spanienweite Zusammenarbeit zum Thema Ökologie im gleichnamigen Zirkel.
Das zweite basisdemokratische Standbein ist die konsequente Nutzung der Möglichkeiten virtueller Beteiligung. So basiert das interne Abstimmungssystem von Podemos im Wesentlichen auf einer Software, die die Organisation von Abstimmungen und die Präsentation der Resultate in kürzester Zeit ermöglicht. Dadurch gewinnt Podemos im Vergleich zu anderen Parteien, bei denen die Entscheidungsfindung oft träge und undurchschaubar wirkt.
Der nächste wichtige Schritt nach den Europawahlen, die Organisation der asamblea ciudadana, wurde, wie auch der vorangegangene Wahlkampf, durch eine Fundraising-Kampagne finanziert, unter anderem mit Hilfe von Crowdfunding. Podemos wollte so dem Anspruch gerecht werden, unabhängig von Lobbygruppen Politik zu machen. Ein Prinzip, das auch in die bei der Bürgerversammlung verabschiedeten Statute einfloss.
Offene Vorabstimmungen aller eingeschriebenen Mitglieder hatten die eingereichten Strukturvorschläge auf ein überschaubares Maß eingeschränkt, die »Technische Kommission« hatte die wichtigsten Punkte zusammengefasst: Es soll nur eine Person für das Generalsekretariat geben, einen Bürgerrat aus 62 Personen mit festgeschriebener Geschlechterparität und eine Kommission zur Gewährleistung der innerparteilichen Demokratie mit zehn Personen. Oberstes Gremium ist die Versammlung selbst.

Eingeschrieben hatten sich in kurzer Zeit knapp 200 000 Menschen, mittlerweile sind es 313 000. Das verdankte sich nicht zuletzt der einfachen Prozedur: Wie bei kommerziellen Internet­angeboten werden die Daten von interessierten Personen, die ihre Ausweisnummer angeben, mittels Mobilfunknummer verifiziert. Zur Bestätigung der Einschreibung muss der per SMS erhaltene Code eingegeben werden, damit ist die Registrierung als stimmberechtigtes Mitglied abgeschlossen. Das Mindestalter beträgt 14 Jahre.
Personelle Entscheidungen waren von großer Beteiligung und Transparenz geprägt: Viele der Kandidatinnen und Kandidaten hatten sich, von ihren jeweiligen »Kreisen« verbürgt, mittels kurzem Youtube-Clip zur Wahl gestellt. Eingeschriebene Mitglieder konnten noch bis zum Vortag der Versammlung ihre Stimme abgeben. Bei der Wahl zu den Parteigremien allerdings zeigte sich, dass nur 107 000 aller Mitglieder, also etwas über die Hälfte, ihre Stimme abgaben.
Podemos ist bislang von größeren internen Machtkämpfen verschont geblieben, was womöglich dem strikten Zeitplan und den im Zweifelsfall schnell erzwungenen Entscheidungen geschuldet ist. Aber sicher trägt zur Vermeidung von Konflikten auch bei, dass etwa dadurch, dass alle Parteimandate imperative, also widerrufbare Mandate sind, die Angst vor sich festsetzenden Machtstrukturen nicht so ausgeprägt ist wie bei anderen Parteien und Posten deshalb nicht so umkämpft sind.
Einige Regeln ihrer »Ethischen Leitlinien« verdeutlichen, was Podemos von anderen Parteien unterscheidet: Das Gehalt der Abgeordneten darf Beamtengehälter nicht überschreiten, Verzicht auf Dienstwagen, Verpflichtung zu ökologischem, sozialem sowie demokratischem Verhalten und nicht zuletzt Bekanntgabe korrupter Machenschaften in Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen. Hier hat »15M«, die Bewegung der »Empörten«, deutliche Spuren hinterlassen. 15M war eigentlich schon totgesagt worden, doch viele der Inhalte der Bewegung werden nun von Podemos vertreten, was auch den großen Zulauf zur neuen Partei erklärt.
Mit dem hohen Organisationstempo soll gewährleistet werden, im Falle einer möglichen Regierungsbeteiligung über die notwendigen Strukturen zu verfügen. Erklärtes Ziel ist der Wahlsieg. Danach wird eine Verfassungsänderung angestrebt, um die unvollendete Transition Spaniens, den Übergang vom Franco-Faschismus zur Demokratie, konsequent weiter zu führen. Zudem wird mit der Zielstrebigkeit möglichen vorgezogenen Parlamentswahlen als taktischem Manöver der Regierungspartei PP der Wind aus den Segeln genommen. Das Parteiprogramm, das gemäß dem bisherigen Vorgehen kollektiv weiterentwickelt wird, umfasst weitreichende, an den hohen sozialen Ansprüchen orientierte Reformen. Dazu gehören Forderungen nach der Umstrukturierung der Auslandsschulden, der Revision der Freihandelsabkommen, der Trockenlegung von Steueroasen, der Einführung eines Grundeinkommens und der 35-Stunden-Woche. Wirtschaftlich wird eine »grüne« Nachhaltigkeitspolitik angestrebt. Zudem werden die Aussetzung von Wohnungsräumungen, die Anerkennung von Wohnrecht als Menschenrecht und ein Verbot von Abschiebelagern gefordert. Generell werden mehr Abstimmungen über Gesetzesvorhaben per Referendum gefordert. Die einzelnen Programmpunkte bleiben jedoch noch zu oft vage, obwohl der Verweis der Parteispitze auf »laufende Debatten« sicher richtig ist.

Im politischen Spanien, das immer noch mit der Aufarbeitung des Bürgerkriegs hadert, wirkt die von Podemos verkündete Formel, das alte Rechts-links-Schema aufzulösen und parteienübergreifende Politikformen etablieren zu wollen, zunächst angenehm und trägt zu dem Zulauf bei, den die Partei erfährt. Andererseits hat der Wahlkampf bereits begonnen und Podemos muss der populistischen Versuchung widerstehen, verkürzte und unrealistische Antworten um eines möglichen Wahlsiegs willen zu propagieren.
Gleichzeitig steht der Vorwurf gegen Podemos im Raum, die Parteiführung würde versuchen, ihre Radikalität zu verbergen. Diese Einwände erscheinen allerdings angesichts der Tatsache, dass sich Podemos derzeit größter öffentlicher Aufmerksamkeit erfreut und genauer unter die Lupe genommen wird, gegenstandslos.
Der Erfolg des Neuankömmlings im spanischen Parteienspektrum sorgt bei PSOE, PP und auch der Vereinten Linken (IU) für Aufregung, die teilweise panikhafte Züge annimmt, nachdem die etablierten Parteien jahrzehntelang von Ignoranz und Selbstgefälligkeit geprägt waren. Internationalen Gegenwind erhält Podemos zudem von Unternehmensberatern wie JP Morgan und der Deutschen Bundesbank, die das Parteiprogramm und den neuen spanischen Pluralismus als Wirtschaftsrisiko einstufen. Podemos lässt sich indes davon nicht beeindrucken und wird nicht müde, weiter zum Mitmachen einzuladen. Es wird deutlich, dass diese junge Partei Spanien politisch erneuert und das Potential hat, Impulse auch ins europäische Ausland zu senden.