Der neue Präsident Sri Lankas

Abendessen mit Folgen

In Sri Lanka wurde der Kandidat der Opposition zum neuen Präsidenten gewählt. Viele hoffen, dass er die immer noch bestehenden ethnischen Konflikte und die Korruption beenden wird – auch wenn er bis vor einigen Monaten dem Lager des scheidenden Präsidenten angehörte.

Das Ergebnis überraschte in zweifacher Hinsicht. Maithripala Sirisena, der Kandidat der Opposition, hat in Sri Lanka trotz schlechterer Umfragewerte die Präsidentschaftswahl vom 8. Januar gewonnen. In den Wochen zuvor war zudem mit einem gewaltsamen Ausgang der Wahlen gerechnet worden. Doch am Freitagmorgen vergangener Woche, als Informationen über die Ergebnisse der tags zuvor abgehaltenen Wahlen unter Familien, Freunden und Kollegen diskutiert wurden, blieben die Straßen auf nahezu unheimliche Weise ruhig und friedlich.
Sri Lanka, die ehemalige britische Kolonie mit 20 Millionen Einwohnern, durchlitt einen brutalen 25jährigen Bürgerkrieg zwischen der Staatsmacht unter singhalesischen, buddhistischen Regierungen und den sezessionistischen, hinduistischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), einer paramilitärischen Gruppe, die als terroristisch eingestuft wird. Der scheidende amtierende Präsident, Mahinda Rajapaksa, half, den Krieg 2009 zugunsten der Regierung zu entscheiden, doch auch in den nun folgenden sechs Jahren der Präsidentschaft seines Herausforderers Sirisena wird ein hohes Konfliktpotential bleiben, unter anderem wegen der Ereignisse des Jahres 2009.

Das Vorgehen der Regierungstruppen wurde damals von einem großen Teil der Bevölkerung begrüßt, weil sie die LTTE militärisch besiegten. Doch die Uno ermittelt derzeit aufgrund von Vorwürfen aus Sri Lanka, die damalige Regierung habe auch willentlich tamilische Zivilisten töten lassen. 75 Prozent der Bevölkerung Sri Lankas sind Singhalesen, elf Prozent Tamilen und neun Prozent Muslime. Für die neue Regierung ist es daher unumgänglich diesen Vorwürfen nachzugehen.
Yoonus Rihan, ein muslimischer Geschäftsmann in der Hauptstadt Colombo, sagt, die Mehrheit der Tamilen und Muslime sei der Meinung, es solle Untersuchungen über Kriegsverbrechen geben. Dennoch bleibt er skeptisch, wie viel sich unter der neuen Regierung ändern wird, auch wenn muslimische und tamilische Parteien letztlich Sirisena unterstützt haben. »Sirisena ist Singhalese. Er wird nicht mehr für uns tun als der vorherige Präsident«, meint Rihan.
Sirisena hat bereits angekündigt, er werde wie zuvor Rajapaksas internationale Untersuchungen zu Kriegsverbrechen blockieren. Seine Regierungskoalition, die politisch und ethnisch umfassend ist und deren Spitze die wirtschaftliberale United National Party (UNP) bildet, hat diese Haltung verteidigt. Der UNP zufolge seien frühere interne Untersuchungen daran gescheitert, Versöhnung zu erreichen, weil die Bürgerinnen und Bürger der politisierten Justiz nicht vertrauen konnten.
Die Demokratisierung des Landes war die Basis für eine Kampagne, die Sirisena einen Vorsprung von 3,7 Prozentpunkten einbrachte. Der UNP-Abgeordnete Harsha de Silva war stets ein Kritiker von Rajapaksa und dessen Regierung der sozialdemokratisch-nationalistischen Sri Lanka Freedom Party (SLFP), in der er vor allem ein korruptes Regime sah. »Korruption ist von oben bis zum Grund der Gesellschaft angelangt«, sagte er, »bis auf die lokale Regierungsebene.«

Sirisena hat die Pläne für die ersten 100 Tage seiner exekutiven Präsidentschaft dargelegt. Eine seiner ersten Aufgaben wird sein, genau diese Rolle abzuschaffen. Die exekutive Präsidentschaft wurde unpopulär, nachdem Rajapaksa 2010 einen 18. Verfassungszusatz eingebracht hatte, der ihn ermächtigte, Ernennungen für Posten in wichtigen Gremien inklusive der Justiz und der Wahlkommission vorzunehmen und für eine dritte Amtszeit anzutreten.
Bis 2014, als Rajapaksa siegessicher um zwei Jahre vorgezogene Wahlen ankündigte, fungierte Sirisena noch als Generalsekretär der SLFP und als Gesundheitsminister. Am 20. November war er bei einem Abendessen zugegen, zu dem der damals amtierende Präsident zur Feier der bevorstehenden Wahlen geladen hatte. Dort hörte Sirisena, wie Rajapaksa den Anwesenden erzählte, der SLFP sei der Wahlsieg sicher, da es keine brauchbaren Herausforderer gebe. Am folgenden Tag verließ er die Partei nach 47 Jahren, um seine eigene Kandidatur anzukündigen. Als er an jenem Tag zum Parteivorstand der UNP stieß, sagte der 63jährige der Presse: »Dieses Land bewegt sich auf eine Diktatur zu. Eine Familie hat die Kontrolle über die Wirtschaft, die Macht und die Partei übernommen.«
Die Medien in Sri Lanka sind sehr auf Wirtschaftsthemen fokussiert, insbesondere auf die hohen Staatsschulden. Als Rajapaksas Regierung dem Druck westlicher Regierungen nach einer Verfolgung von Kriegsverbrechen auswich, näherte sich das Land noch stärker China an, von dem Sri Lanka Geld für Entwicklungsprojekte leiht. »China verleiht zu höheren Zinsen, aber wir leihen uns regelmäßig (Geld) von ihnen, denn würden wir versuchen, uns etwas vom IWF, der Weltbank oder irgendeiner anderen multilateralen Behörde zu leihen, würden sie uns das Geld geben mit den Worten: ›Okay, jetzt schützt die Umwelt und respektiert die Menschenrechte‹«, fasste der Wirtschaftsjournalist Ashwin Hemmathagama diese Politik treffend zusammen.
Harsha da Silva, Sprecher für wirtschaftliche Angelegenheiten der UNP, sagte kürzlich indischen Medien, die neue Regierung werde alle großen Infrastrukturprojekte hinsichtlich »Unregelmäßig­keiten« überprüfen. Das könnte das erste Mal sein, dass jemand sich sicher genug fühlt, solchen Unregelmäßigkeiten genauer nachzugehen. 2013 überlebte Faraz Shauketaly, Journalist bei The Sunday Leader, einer der wenigen unabhängigen Zeitungen des Landes, nur knapp einen Schuss in den Hals, den ein bewaffneter Attentäter, der in sein Haus eingedrungen war, auf ihn abgegeben hatte. Zu der Zeit recherchierte der Journalist hartnäckig zu einem mutmaßlichen Korruptionsfall auf hoher Ebene in Zusammenhang mit der staatlich geförderten Kohleindustrie.

In der Rangliste der Länder hinsichtlich der Pressefreiheit, die die Organisation »Reporter ohne Grenzen« erstellt, liegt Sri Lanka noch hinter Saudi-Arabien, Shauketaly war nicht der erste Journalist seiner Zeitung, der angegriffen wurde. Die diesjährige Präsidentschaftswahl fiel auf den 6. Jahrestag der Ermordung Lasantha Wickrematunges, des international geachteten Gründers und Redakteurs von The Sunday Leader. In einem posthum veröffentlichten Artikel schrieb er vor seinem Tod: »Wenn ich schließlich ermordet werde, wird es die Regierung sein, die mich umbringt.«
Hemmathagama glaubt, die neue Regierung wird Journalisten mehr Sicherheit und Unabhängigkeit garantieren können. »Um die Demokratie zu schützen, muss die Regierung in erster Linie Rechtsstaatlichkeit durchsetzen«, sagte er. »Ohne Rechtsstaatlichkeit sind unsere Medien überhaupt nicht geschützt.«
Ohne Rechtsstaatlichkeit ist überhaupt wenig geschütz. Vor Sirisena steht die große Aufgabe, das Land neu zu gestalten, das über ein Jahrzehnt von Korruption und Nepotismus geprägt war. Vor den Wahlen wurde das Wort »Wandel« in Sri Lanka zum Mantra für Millionen Bürgerinnen und Büger. Falls Sirisenas Koalition effektiv zusammenarbeiten kann, um Aussöhnung zu erreichen, den undemokratischen 18. Verfassungszusatz abzuschaffen und korrupte Verträge zu überprüfen, könnte das der Wandel sein, den Sri Lanka braucht.

Aus dem Englischen von Nicole Tomasek.