Neonazis in Dortmund werden aggressiver

Verbot oder Tod

Der Sturm auf das Rathaus, Hetze gegen Anne Frank, eine antisemitische Anfrage, Bedrohung von Journalisten: Die Dortmunder Naziszene tritt so offen und antisemitisch auf wie seit langem nicht mehr.

Der 21. Dezember verlief nicht so, wie es die Dortmunder Neonazis geplant hatten. Eigentlich wollten sie wie in den vergangenen Jahren in der Nähe von Politikern und Journalisten demonstrieren und später dann im Stadtteil Hörde in Hörweite zur Chanukka-Feier der Jüdischen Gemeinde am Phoenixsee eine Kundgebung ab­halten. Daraus wurde nichts: Zum Auftakt der braunen Tour durch Dortmund im Stadtteil Eving kamen nur 40 Personen, die dann von Blasmu­sikern und Anwohnern beschimpft, verlacht und weggetrötet wurden. Der nächste Halt in der Nordstadt geriet für die Neonazis und ihre Partei »Die Rechte« zum Desaster. Der Zugang zum vorgesehenen Platz der Kundgebung wurde von Gegendemonstranten blockiert, die Polizei kesselte die Rechtsextremen ein.

Daran gehindert, ihren Kundgebungsort zu erreichen, ließen die Nazis ihrem Hass freien Lauf. Sie brüllten Parolen wie »Anne Frank war essgestört!« und »Wer sitzt im Schrank? Anne Frank!«. Mit Sprüchen wie »Thomas Schulz, das war geil!« und »Thomas Schulz, das war Sport!« verhöhnten sie den Punk Thomas »Schmuddel« Schulz, der von dem Dortmunder Neonazi Sven Kahlin im Jahr 2005 umgebracht worden war. Nur 400 Meter vom ehemaligen Kiosk des vom NSU ermordeten Mehmet Kubasi entfernt grölten sie »Mehmet hat’s erwischt«. Auch Thomas Berger wurde gefeiert. Der Neonazi hatte 2000 erst drei Polizeibeamte getötet und dann Selbstmord begangen.
»Am 21. Dezember haben die Nazis gezeigt, welches Gewaltpotential in ihnen steckt. Viele in Dortmund glauben, dass es in diesem Jahr noch einen Toten geben wird«, sagt Ricardo*, ein langjähriger antifaschistischer Aktivist. »Die Nazis sind wieder stärker dazu übergangen, Menschen zu bedrohen. Auf Bürgerversammlungen werden alle gefilmt, die gegen ihre Hetze Stellung beziehen, was den Effekt hat, das viele sich nicht mehr trauen, den Mund aufzumachen.« Es bleibt nicht mehr beim Filmen: Das Haus von Peter Bandermann, einem kritisch über die Szene berichtenden Redakteur der Ruhr-Nachrichten, wurde Ende des Jahres mit Farbbeuteln beworfen. Auch vor seinem Haus sollte am 21. Dezember eine Kundgebung stattfinden, die aber ebenfalls verhindert wurde. Adressen und Fotos von Nazigegnern werden online veröffentlicht, Journalisten bedroht.
»Die Dortmunder Szene«, sagt Ricardo, »hat sich immer offen zum Nationalsozialismus bekannt. Sie trägt heute Transparente mit Schriftzügen wie ›Neue, sachliche und demokratische Aktivisten-Partei‹, in denen beides steckt: NSU und NSDAP. Und ein Bekenntnis zum National­sozialismus ist immer auch ein Bekenntnis zu Gewalt und Vernichtung.« Auch ihren Antisemitismus leben die Nazis immer offener aus: Im Sommer wurde eine israelische Fußballjugendmannschaft, die in Dortmund zu Gast war, bedroht und beschimpft. Dennis Giemsch, der für »Die Rechte« im Stadtrat sitzt, stellte im November eine Anfrage zur Zahl und zu den Wohnorten der Juden in der Stadt. Gedenkveranstaltungen wurden gestört, Denkmäler beschmiert.

Nachdem sich die örtlichen Nazis nach dem Verbot des »Nationalen Widerstands Dortmund« eine Zeit lang ruhig verhalten haben, sind sie nun wieder recht aktiv. Das beobachtet auch Jan Schedler, der an der Ruhr-Universität Bochum zum Rechtsextremismus forscht. Ihn irritiert vor allem das Verhalten der Polizei beim Aufmarsch am 1. Mai in Dortmund und während des Rathaussturms am 25. Mai. Schedler sieht zwar keine heimliche Sympathie für die Nazis auf Seiten der Polizei, aber eine Mischung aus taktischen Fehlern und politischer Naivität: »Am 30. April löste die Polizei die Vorabenddemonstration der Nazis auf, weil die Parole ›Deutschland den Deutschen, Ausländer raus‹ gerufen worden war. Als die Nazis einen Tag später auf ihrer großen Demonstration zum 1. Mai die Parole wieder skandierten, griffen die Beamten nicht ein. Das ist ­inkonsequent.«
Beim Sturm der Nazis auf das Dortmunder Rathaus gut drei Wochen später war die Polizei zunächst gar nicht an Ort und Stelle. Rathausbesucher und Kommunalpolitiker stellten sich den Rechtsextremen in den Weg. Es gab Verletzte. Die Polizei musste erst herbeigerufen werden. Der Staatsschutz hatte sich auf Aussagen der Neonazis verlassen, die zugesichert hatten, nicht zum Rathaus zu gehen. »Nach dem Verbot war man wohl zunächst ein wenig verunsichert, jetzt lotet man offenbar wieder offensiv seine Freiräume aus«, sagt Schedler.
Hinzu kommt seiner Ansicht nach ein weiterer Aspekt: »In Dortmund gab es in den vergangenen Jahren eine sehr hohe Zahl an Aufmärschen und Kundgebungen der Nazis. Das führt zu einem Gewöhnungseffekt. Die Anmeldung eines Naziaufmarsches stößt in Städten wie Münster, Köln oder Freiburg bei den Bürgern auch deshalb auf viel mehr Empörung, weil sie dort seltener sind. Dort lässt sich einfacher Widerstand organi­sieren.«
Im nordrhein-westfälischen Innenministerium macht man keinen Hehl daraus, dass man »Die Rechte« gerne verbieten würde. »Wir beobachten, wir sammeln, wir suchen nach einem Verbotsgrund«, lautet die Aussage. Doch ein Parteienverbot ist kompliziert. Wahrscheinlicher ist es, dass Innenminister Ralf Jäger (SPD) versuchen wird, der »Rechten« den Status der Partei abzusprechen und sie dann als Verein zu verbieten.
Für Schedler ist offensichtlich, dass die Nazis sich allein wegen des Parteienprivilegs als Partei organisiert haben: »Wenn ein Landesvorsitzender erklärt, die Kreisverbände seien für ihre inhaltliche wie aktionsorientierte Ausrichtung völlig selbstverantwortlich und der Landesverband sei vor allem eine Verwaltungseinheit, dann spricht das Bände«, sagt der Wissenschaftler. »Eine Landespartei ist in der Regel nicht nur ein Rahmen für Kreisverbände, sondern hat ein eigenes po­litisches Profil.« Es gebe, anders als bei der NPD, keine starke Parteiidentität. »Für das politische Engagement ihrer neonazistischen Mitglieder ist ›Die Rechte‹ nur eine Hülle, ein organisatorischer Rahmen.«

Ricardo kann sich vorstellen, dass ein Verbot der Partei bevorsteht: »Die Polizei lässt zurzeit viel zu. Ich hoffe, das hat seine Gründe im Sammeln von Material, um ein Verbot durchsetzen zu können.« Komme das Verbot nicht, da ist er sich sicher, werde der Rechtsextremismus in Dortmund bald wieder Menschenleben kosten.

* Vollständiger Name der Redaktion bekannt.