Jihadisten in Belgien

Fritten, Bier und Jihadisten

Nach den Anti-Terror-Einsätzen bleibt man in Belgien alarmiert. Das Land gilt weiterhin als Jihadistenhochburg Westeuropas.

Ein ganzer Schwung kriegstauglicher Waffen, 15 Festnahmen, ein minutenlanger Schusswechsel im islamistischen Safe House im belgischen Verviers und zwei Tote – das ist die Bilanz der konzertierten Anti-Terror-Einsätze vom Donnerstag voriger Woche. Aus Furcht vor neuen Anschlägen bleibt in Belgien bis zum 26. Januar die zweithöchste Bedrohungsstufe in Kraft. Zudem bleibt international der Eindruck, dass Belgien, jenes auf Bier, Fritten und Surrealismus reduzierte Land, relativ zur Bevölkerungszahl die meisten Jihadisten in Westeuropa aufweist.

In den Tagen danach scheint es, als hätte sich ein Prozess in Gang gesetzt, der seit langem vorbereitet wurde. Seit zwei Jahren schon warnen Bürgermeister vor zurückkehrenden Syrien-Kämpfern, die per Videobotschaft ankündigen, den ­Jihad ins Land zu bringen. Auch die weitreichenden Anti-Terror-Maßnahmen, die die Regierung umgehend in Kraft setzte, waren lange diskutiert worden: Einziehen von Ausweispapieren und Entzug der Staatsbürgerschaft, Zugriff auf Konten Verdächtiger, isolierte Inhaftierung aller islamis­tischer Häftlinge in zwei besonderen Gefängnissen – und der Einsatz der Armee im Inneren. Seit Samstagmorgen bewachen Soldaten Gebäude in Brüssel und Antwerpen.
Wenn man die Attentate von Paris als »europäisches 9/11« begreift, nimmt die Post-9/11-Phase damit auch in Belgien Formen an. Die Suche nach den Ursachen der Malaise steht dabei nicht an erster Stelle, spielt aber gelegentlich eine Rolle, wie etwa der Jihad-Experte Montasser AlDe’emeh von der Universität Antwerpen in einem Interview vom Wochenende sagt: »In Flandern bleibst du immer fremd.« Er bezieht sich damit auf die dominante xenophobe Stimmung zumal in der nördlichen Landeshälfte. Zudem fehle ein moderater, belgischer Islam, der Jugendlichen Perspektiven eröffnen könne, anstelle desjenigen ultrakonservativer saudischer »Import-Imame«. Ein gängiges Erklärungsmuster nach dem Prinzip: Je stärker die Ausgrenzungserfahrung, desto ausgeprägter die Hinwendung zum Jihadismus? Tatsächlich führt AlDe’emeh im Gespräch mit der Jungle World »Gruppendruck« als weiteren Faktor an.

Unabhängig davon ist es typisch für Belgien, dass sich die gegenwärtige Bedrohung wieder einmal gegen die jüdische Bevölkerung des Landes richtet – und mehr denn je in der chassidischen Hochburg Antwerpen, deren Bewohnerinnen und Bewohner und große jüdische Infrastruktur besonders exponiert sind. Nicht umsonst stellt das jüdische Quartier rund um den Bahnhof »Antwerpen Centraal« bislang den Haupteinsatzort der Soldaten dar.
Damit ist dieses Viertel auch der Ort, an dem stellvertretend für den Rest des Landes die Frage verhandelt wird, ob und wie viel Freiheit man für Sicherheit aufgibt. Zahlreichen Belgierinnen und Belgiern wird möglicherweise nun erst deutlich, an welchen Verlust von Freiheit sich die Bewohner des Viertels bereits gewöhnt haben. Schon nach dem antisemitischen Attentat auf das Jüdische Museum in Brüssel im Mai 2014 war die Gegend wochenlang eine Hochsicherheitszone.

Für Hans Knoop, einen der bekanntesten jüdischen Journalisten des Landes, steht fest: »Das letzte, was wir wollen, ist ein Polizeistaat, und jede Eingrenzung unserer Freiheit und Rechte kann nur von begrenzter Dauer sein. Um unseren demokratischen Rechtsstaat längerfristig zu erhalten, ist es darum wünschenswert, dem Staat vorübergehend mehr Machtmittel zuzugestehen, um effektiver gegen Terrorismus vorgehen zu können.«
Es ist das Dilemma eines Diskurses, der sich in ganz Europa abzeichnet. Sein Ausgang ist absehbar, und auch in Belgien regen sich Stimmen wie die des Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Bruno Tobback. Er mahnte zuletzt, bei Anti-Terror-Maßnahmen das »Gleichgewicht zwischen Rechten und Pflichten« zu wahren. Extremismus könne zudem nicht mit Extremismus beantwortet werden. Auf die existentielle Bedrohung der bel­gischen Jüdinnen und Juden hat aber auch er keine andere Antwort.