Charlie Enthüllung

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Verschwörungstheoretiker zum Thema Charlie Hebdo die ganz große Enthüllung verbreiten würden. Darin geht es erfahrungsgemäß immer darum, dass ein Mitglied der Familie Rothschild in Terroranschläge, Katastrophen oder Skandale aller Art verwickelt ist, denn bei der internationalen Knalltüteria steht der Name Rothschild stellvertretend dafür, dass »die Juden« schuld sind. Im Fall Charlie Hebdo war es vermutlich nicht so einfach, den üblichen Bullshit zu erfinden, aber Verschwörungstheoretiker zeichnet neben bedingungslosem Glauben an die jüdische Weltverschwörung auch ein alles andere als zimperlicher Umgang mit den von ihnen verwendeten Quellen aus: Da man anscheinend davon ausgeht, dass niemand in kleineren Ländern verbreitete Sprachen spricht, verlinkt man als Beleg für Unsinn aller Art zum Beispiel gern skandinavische Zeitungsartikel, in denen in aller Regel zwar gar nicht das drinsteht, was man der eigenen Verschwörungsblase als sensationelles Endlichsagtjemanddiewahrheit verkauft, aber geglaubt wird’s natürlich trotzdem. Und so muss ein Interview der niederländischen Quote mit Philippe de Rothschild Verschwörungstheoretikern wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein, denn der Artikel hatte alles, was sie brauchten: 1. war er in Niederländisch, also einer Sprache, die das Klientel kaum beherrscht, und 2. enthielt er alle notwendigen buzzwords, also Rothschild und Charlie Hebdo. So dass 3. die sensationelle Enthüllung folgen konnte: Charlie Hebdo gehört den Rothschilds. Blöd nur, dass davon im Quote-Text gar nicht die Rede ist. In Wirklichkeit geht es im Artikel nur darum, dass die Familie Rothschild die französische Tageszeitung Libe­ration gekauft hatte. Dass die Redaktion Charlie Hebdo nach den Anschlägen Unterschlupf bot, wird nur in einem Satz thematisiert. Denn nein, Charlie gehört nicht den Rothschilds.