Die Kunst der Didaktik

Anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz präsentierte die ARD einen Themenschwerpunkt. Saloppe Ankündigungen wie »Auschwitz – für viele nur Geschichte« oder »Auschwitz und ich« ließen auf ein merkwürdiges Verständnis von Didaktik schließen. Zur besten Sendezeit – eine halbe Stunde vor Mitternacht – zeigte sie dann doch die großartige Dokumentation »Night will fall« von André Singer, die am 26. Januar auch in Israel, den USA, Großbritannien, Polen und anderen Ländern ausgestrahlt wurde. Bei Zeit Online sorgte man sich vor allem um das Wohlergehen des deutschen Publikums: »Und man kann durchaus die Frage stellen, ob eine reguläre Fernsehübertragung, wenn auch um 23.30 Uhr, für diesen Film die richtige Form ist. Oder ob historisch-pädagogisch begleitete Kino-Sondervorführungen von ›Night will fall‹ vielleicht sinnvoller gewesen wären?« Der Film zeigt Aufnahmen der Kamerateams, die amerikanische, britische und sowjetische Soldaten bei der Befreiung der Konzentrationslager begleiteten. Man sieht Leichenberge, Nahaufnahmen der entstellten Gesichter der Ermordeten, zertrümmerte Schädel, Berge von Kleidern, Brillen, Haaren und Überlebende. »Night will fall« erzählt die Geschichte eines Films, der nie gezeigt wurde. »German Concentration Camp Factual Survey« war der Arbeitstitel des britischen Filmprojekts, der Produzent Sidney Bernstein engagierte Alfred Hitchcock für die Fertigstellung. »Es sollte eine Lehre für die Menschheit werden, und auch für die Deutschen«, sagt Bernstein. Die britische Regierung entschied im September 1945, den Film ins Archiv zu verbannen. Zu Zeiten des Kalten Kriegs und im Zuge ihrer Palästina-Politik (Stichwort »Exodus«) schien ihr ein »Gräuelfilm« nicht opportun. Hitchcock konzipierte eine graphische Gestaltung mit Landkarten, die zeigt, wie nah die Konzentrationslager an Städten lagen. So viel zur deutschen Standardformel: »Davon haben wir nichts gewusst.«