Die Bundesanwaltschaft lehnt die Klage wegen des israelischen Vorgehens gegen die »Gaza-Flottille« ab

Ein Schlag ins Wasser

Ende Mai 2010 brachten israelische Soldaten die »Gaza-Flottille« auf, bei der auch Abgeordnete der Linkspartei an Bord waren. Anschließend erstatteten die Parlamentarier Strafanzeige. Nun hat der Generalbundesanwalt über den Fall entschieden.

Wer als Linker oder Linke Post von der Bundesanwaltschaft bekommt, wird in den seltensten Fällen darum gebeten haben und dem zu erwartenden Inhalt im Zweifelsfall auch eher mit mulmigem Gefühl entgegensehen. Bei Inge Höger liegt der Fall anders. Die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei wartete – wie auch ihre Parteikollegen Annette Groth und Norman Paech – seit dem 4. Juni 2010 auf eine Antwort der Behörde auf ihre Strafanzeige, die sie an diesem Tag »gegen unbekannte Verantwortliche der israelischen Streitkräfte wegen sämtlicher in Betracht kommender Straftatbestände, insbesondere wegen Kriegsverbrechen und Freiheitsberaubung« gestellt hatte.

Vier Tage zuvor hatte eine israelische Spezialeinheit vor der Küste des Gaza-Streifens einen Schiffskonvoi aufgehalten, der die israelische Seeblockade durchbrechen wollte. Auf dem größten Schiff dieser »Hilfsflotte«, der »Mavi Marmara«, befanden sich neben mehreren Dutzend Islamisten auch antiisraelische »Friedensaktivisten« aus Europa, darunter Höger, Groth und Paech. Beim Entern waren die israelischen Soldaten von den Islamisten mit Messern, Äxten und Eisenstangen angegriffen worden. Die daraus resultierende Auseinandersetzung endete mit neun toten Aktivisten und mehreren Verletzten. Die Politikerinnen und Politiker der Linkspartei wurden festgenommen und kurze Zeit später nach Deutschland abgeschoben.
Ende des vergangenen Jahres lag dann endlich das ersehnte Schreiben des Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof in Högers Briefkasten. Nur stand nicht das drin, was sich die Parlamentarierin erhofft haben dürfte: Ihre Anzeige wurde in allen Punkten zurückgewiesen. »Nach Auswertung der hier vorliegenden Abschlussberichte der verschiedenen nationalen und internationalen Untersuchungskommissionen und weiterer Quellen ergeben sich keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Begehung verfolgbarer Straftaten zum Nachteil deutscher Staatsangehöriger«, heißt es in dem achtseitigen Brief trocken. Das Aufbringen der Flotte habe keinen strafbaren Angriff »gegen die Zivilbevölkerung als solche oder einzelne Zivilpersonen« dargestellt, weil das israelische Vorgehen allein »die Übernahme der Kontrolle über die Schiffe« bezweckt habe, »aber nicht die Schädigung von Einzelpersonen«. Dass es zu Blutvergießen kam, sei dem Umstand zuzuschreiben, dass etliche Passagiere den israelischen Soldaten »Widerstand entgegenbrachten«, der in »erheblicher, organisierter und gewaltsamer Weise« ausgeübt worden sei.
Überhaupt, so befand der Generalbundesanwalt, seien die Schiffe keine zivilen Objekte gewesen, sondern vielmehr militärische Ziele, »die nach den Regeln des humanitären Völkerrechts angegriffen werden durften«. Der »Gaza-Flottille« sei es nämlich nicht in erster Linie um die Lieferung von Hilfsgütern gegangen, sondern darum, die Seeblockade vor dem Gaza-Streifen zu brechen. Zudem habe insbesondere die Besatzung der »Mavi Marmara« sich geweigert anzuhalten und mit Gewalt versucht, die Aufbringung und Durchsuchung zu verhindern. Durch all dies habe sich die Flotte »aktiv gegen eine militärische Maßnahme« gewandt und sei dadurch »zum Beteiligten am Konfliktgeschehen« geworden. Die Anwesenheit von Zivilisten an Bord habe ändere daran nichts.

Auch an der Behandlung durch die israelischen Soldaten, die Höger und ihre Genossen nach dem Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen erfuhren, konnte die Bundesanwaltschaft nichts Strafwürdiges finden. Weder die kurzzeitige Fesselung noch der »erzwungene Aufenthalt auf Deck mit den damit verbundenen Beschwernissen« erfülle den Tatbestand der entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung. Die vorübergehende Inhaftierung in Israel und die anschließende Abschiebung nach Deutschland seien ebenfalls nicht zu bemängeln, weil sie nicht als rechtswidrige Gefangenhaltung beziehungsweise als Vertreibung oder zwangsweise Überführung betrachtet werden könnten. Die Verhaftung sei vom Seekriegsrecht gedeckt gewesen und eine Vertreibung setze die »unfreiwillige Verbringung einer Person aus ihrem Wohngebiet an einen Ort außerhalb der Staatsgrenzen« oder die »Umsiedlung innerhalb der Staatsgrenzen« voraus. Das sei hier jedoch erkennbar nicht der Fall gewesen.
Und schließlich, so der Generalbundesanwalt, sei auch die Beschlagnahme von Högers Reisegepäck rechtmäßig gewesen. Der völkerstrafrechtliche Eigentumsschutz beziehe sich nämlich nur auf das Eigentum der jeweils gegnerischen Konfliktpartei und ihrer Staatsangehörigen und Gefolgsleute. Da es sich aber um einen Konflikt zwischen Israel und der Hamas handle und weder Höger noch ihre Mitstreiter »der Hamas (als Kämpfer oder Gefolgsleute) angehören«, könne ihr Privateigentum »auch nicht der Hamas zugerechnet werden«. Eine Einschätzung, die die tapferen Streiter wider den Judenstaat besonders geschmerzt haben dürfte, und das durchaus zu Recht. Schließlich kann man ihnen eigentlich nicht vorwerfen, es habe ihnen an Einsatz für die Propaganda der Hamas – also: an Gefolgschaft – gefehlt.
Inge Höger war jedenfalls erbost über den Brief des Generalbundesanwalts. »Schäbig, zynisch, opportunistisch«, das seien die Attribute, die ihr zur Begründung der Klageablehnung einfielen, schrieb sie auf ihrer Website. Es gebe »kein Wort des Bedauerns, kein Infragestellen der israelischen Politik« seitens der Behörde – als sei das deren Aufgabe. Bei der israelischen Botschaft in Deutschland dagegen ist man zufrieden mit der Einschätzung. Man habe »den Beschluss des Generalbundesanwalts, die Beschwerde von Frau Höger abzulehnen, positiv aufgenommen«, sagte eine Sprecherin der Jungle World. Er bestätige sowohl internationale Entscheidungen als auch die Untersuchungsergebnisse der von der israelischen Regierung eingesetzten Turkel-Kommission. Schon diese habe festgestellt, »dass die Soldaten gezwungen waren, mit Gewalt zu reagieren, um sich vor organisierter, geplanter und tödlicher Gewalt zu schützen«.

Mit ihrem Versuch, den jüdischen Staat auch auf juristischer Ebene zu dämonisieren und zu delegitimieren, sind Höger und ihre Genossen also auf ganzer Linie gescheitert – zumindest in diesem Fall. Die Bundesanwaltschaft hat einen bemerkenswerten Beschluss gefällt, aus dem unmissverständlich hervorgeht, dass Israel bei seinem Vorgehen gegen die »Mavi Marmara« mitnichten Kriegsverbrechen oder andere schwere Straftaten begangen hat. Zudem hat sie klargestellt, dass der Sinn und Zweck der »Gaza-Flottille« keineswegs ein humanitärer war, sondern vielmehr ein militärischer. Daraus ergibt sich auch, dass Höger und ihre Parteikollegen nicht bloß harmlose Friedensfreunde auf hoher See waren, die notleidenden Palästinensern helfen wollten – sondern de facto freiwillige Kombattanten im Krieg gegen den jüdischen Staat.