Griechenland nach den Wahlen

Querfront für die Würde

Nach dem Wahlsieg des linken Bündnisses Syriza hoffen viele in Griechenland auf einen Politikwechsel, doch einige bleiben skeptisch.

Weniger als 24 Stunden nach den Wahlen hat Griechenland einen neuen Ministerpräsidenten. Der Vorsitzende Syrizas, Alexis Tsipras, hat sich am Montag mit der rechtsnationalistischen Partei »Unabhängige Griechen« (ANEL), die 4,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte, auf eine Regierungskoalition geeinigt, seine Partei (36,3 Prozent) hat mit 149 von 300 Sitzen im Parlament knapp die absolute Mehrheit verfehlt. Trotz der unterschiedlichen politischen Richtungen verbindet beide Parteien eine klare Haltung gegen den von den Gläubigern durchgesetzten Sparkurs.
Tsipras wurde am Montag vereidigt. Der 40jährige ist der jüngste Ministerpräsident Griechenlands und der erste linke Politiker, der die Regierung eines EU-Landes führt. In einer bedeutenden symbolischen Geste besuchte er als erstes nach seiner Ernennung die Gedenkstätte beim Schießstand von Kesariani, der der deutschen Besatzungsmacht im Zweiten Weltkrieg für Hinrichtungen diente. Beobachter deuten die Kranzniederlegung als klare Botschaft an Deutschland, vor allem hinsichtlich der Forderungen Griechenlands wegen des Besatzungskredits und der Kriegsentschädigungen.

Auch die Tatsache, dass Tsipras sich als Koalitionspartner für ANEL entschieden hat und nicht für die neugegründete linksliberale Partei To Potami (6,1 Prozent), deutet darauf hin, dass er eine harte Linie bei den Verhandlungen mit den Gläubigern verfolgen wird.
Giannos Giannapoulos freut sich über den Wahlsieg. Der 28jährige hat für das linke Bündnis Syriza kandidiert, nun steht er in Athen vor dem Parteistand und gibt pausenlos Interviews. »Zusammen mit der Freude fühle ich auch eine schwere Last auf meinen Schultern. Wir können diese Last nicht alleine tragen. Wir brauchen die Unterstützung aller griechischen Bürger. Ich glaube, sobald wir anfangen, unser Programm umzusetzen, werden wir diese Unterstützung bekommen«, meint er, sich der bevorstehenden Aufgaben bewusst.
Er übergebe ein Land, das sich auf dem Weg des Wachstums befinde, ein Land, das Teil der Euro-Zone und der EU sei, sagte Antonis Samaras, der bisherige Ministerpräsident, noch am Wahl­abend. Dies solle die neue Regierung auch weiter so pflegen. Die Stimmung bei den Konservativen ist trüb, die Partei Nea Dimokratia lag mit 27,8 Prozent der Stimmen fast zehn Prozentpunkte hinter Syriza. Theodoris Matalas, ein hochrangiges Mitglied der Partei, fürchtet die Folgen des Wahlergebnisses. »Wir hoffen, dass diese Entscheidung der Griechen nicht schicksalhaft sein wird für die Teilnahme des Landes an der Euro-Zone und für die EU. Wir hoffen, dass all das, was Syriza vor den Wahlen versprochen hat, nicht umgesetzt wird und dass die neue Regierung dem Weg der Vernunft und der Zustimmung folgt, damit wir diese schwierige Zeit hinter uns bringen.« Die sozialdemokratische Partei Pasok, die mit den Konservativen bisher die Regierung stellte, kam nur auf 4,7 Prozent der Stimmen.

Vor der Universität von Athen versammelten sich am Sonntagabend Hunderte Anhängerinnen und Anhänger Syrizas. Sie feierten den Wahlsieg und Tsipras. Griechenland lasse die Austeritätspolitik hinter sich, Griechenland gehe nach vorne in ein Europa, das sich verändere, betonte er in seiner Siegesrede. Und vor allem würden die Griechen ihre Würde zurückbekommen, versprach er.
»Mal abwarten«, sagt leise eine der Anwesenden, die die Rede mit ein paar Freunden skeptisch verfolgt. Sie ist mit ihrer Skepsis nicht alleine. »Es ist gut, dass sich die Griechen für etwas anderes entschieden haben, aber ich glaube, es wird sich nichts ändern«, sagt Alexandra, eine 40jährige Angestellte. Sie ist nicht optimistisch, weil sie meint, dass ihr Land kein souveräner Staat mehr sei, nach all den Abkommen, die die vorige Regierung mit den Gläubigern unterschrieben habe.
Besonders distanziert war die Reaktion der griechischen Kommunistischen Partei (KKE) (5,5 Prozent) auf den Sieg Syrizas. Der Parteivorsitzende Dimitris Koutsoubas hat nach dem Wahlergebnis ein Treffen mit Ministerpräsident Tsipras ausgeschlossen, ebenso eine mögliche Unterstützung der neuen Regierung durch die KKE. Die Regierungskoalition von Syriza und den Unabhängigen Griechen werde den gleichen unpopulären Verpflichtungen gegenüber der EU und Kreditgebern folgen wie die vorige Regierung und der Sieg Syrizas bedeute keinen Politikwechsel zugunsten der Bevölkerung, meinen die Kommunisten. »Syriza hat schon zugegeben, dass es am Tag nach den Wahlen ein Programm im Einvernehmen mit Kreditgebern geben wird. Dieses Programm, auch wenn es nicht als Memorandum bezeichnet wird oder nicht die typische Form des aktuellen Memorandums hat, enthält unpopuläre Bedingungen«, so die KKE.
Die antikapitalistische Partei Antarsya hat es mit 0,64 Prozent der Stimmen nicht ins Parlament geschafft, obwohl sie im Vergleich zu den Wahlen von 2012 ihren Stimmenanteil erhöhen konnte. In einer Stellungnahme nach den Wahlen betont Antarsya, dass die Hoffnungen der Arbeiterbewegung und der Menschen ohne einen Zahlungstopp der Schulden, eine Konfrontation mit der EU, einen Ausstieg aus der Euro-Zone und der Verstaatlichung der Banken und Großunternehmen, um sie unter die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter zu stellen, nicht erfüllt werden können. Die Partei bezeichnet es als extrem negatives Ergebnis, dass die Neonazipartei Chrysi Avgi drittstärkste Partei wurde. Obwohl die Führung Chrysi Avgis hinter Gittern sitzt, hat die Partei 6,3 Prozent der Stimmen bekommen. Wichtig ist Antarsya zufolge nicht nur, gerichtlich gegen die Neonazis vorzugehen, sondern auch, ihre Unterstützung in Polizei und Staat umfassend zu kappen. »Das faschistische und rassistische Gift soll aus den Nachbarschaften, den Schulen und Arbeitsplätzen beseitigt werden«, so die Antikapitalisten in ihrer Stellungnahme.

Bei dieser Wahl haben sich sogar einige Anarchisten dazu entschieden, wählen zu gehen, und zwar Syriza. »Da die Revolution nicht in der Art und Weise stattfinden kann, wie ich es mir vorstelle, habe ich mich entschieden, mit meiner Stimme dazu beizutragen, dass eine linke Regierung gebildet wird«, sagt Michalis, ein 44jähriger Anarchist, der zum ersten Mal seit vielen Jahren gewählt hat. Andere Linke sind schockiert, dass Syriza nun mit den Rechtsnationalisten koaliert.
Vor der Wahl wurde Griechenland mit einem Rausschmiss aus der Euro-Zone gedroht, nun ist der Tonfall gelassener. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz wird am Donnerstag zu einem Treffen mit Tsipras in Athen erwartet, Jeroen Dijsselbloem am Freitag. Der Vorsitzende der Euro-Gruppe sagte am Montag in Brüssel, für einen Forderungsverzicht gegenüber der griechischen Regierung gebe es nicht viel Unterstützung. Trotzdem herrscht Optimismus in Athen. Giannis Kibouropoulos, Journalist und Blogger, meint, dass die neue Regierung eine gute Chance auf einen Schuldenkompromiss mit den Gläubigern habe, insbesondere nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank, die Wirtschaft im Euro-Raum mit einem riesigen Anleihenkaufprogramm zu fördern. Ob die neue Regierung langlebig sein wird, ist noch offen. Es hänge von der Regierung selbst ab, wie schnell sie die Erwartungen der Bürger erfüllen werde, aber auch von der Haltung der übrigen Europäer, meint Kibouropoulos: »Wichtig ist, dass es eine demokratische Entwicklung gibt. Die europäische Führung ist mit diesem Wahlergebnis aufgefordert zu zeigen, wie kompatibel sie mit den Entscheidungen der Bürger ist.« In Griechenland wie im Ausland ist auch die Rede von einer »linken Parenthese«, einer kurzen, katastrophalen Amtszeit der Linken, die erneut die Konservativen an die Macht bringt.