Antisemitische Verschwörungstheorien in den argentinischen Medien

Viva la Contrainformación!

Wie iranische und russische Medien antisemitische Verschwörungstheorien in Argentinien verbreiten.

Die Kamera schwenkt über das Studio. Ein Mitarbeiter drückt ein paar Knöpfe und es erscheint ein Musikclip, in dem Sound und Ästhetik alle Bedingungen für einen Hit in der globalisierungskritischen Popkultur à la Manu Chao erfüllen: Rock gemixt mit lateinamerikanischen Rhythmen und ein zu Widerstand aufrufender spanischsprachiger Gesang, unterlegt mit Fernsehbildern von in traditionellen Trachten demonstrierenden südamerikanischen Indigenen, die von riot cops mit Wasserwerfen attackiert werden. Im Finale des Songs spielt die Band so schnell wie sie nur kann, während die Sängerin energisch Parolen anstimmt: »Verschwindet aus unseren Augen! Verschwindet von palästinensischem Boden! Wir sind Lateinamerikaner, wir sind Afrikaner, wir sind die Besitzer der Erde!« Erneut erscheint das Studio und der unterbrochene Talk geht weiter.

Sehen kann man das alles im Magazin »Continentes« des Fernsehsenders Hispan TV, einer Tochter des iranischen Staatssenders IRIB, 2011 gegründet für eine – laut Selbstdarstellung – unabhängige Berichterstattung für die spanischsprachige Welt. Talkmaster Sebastián Salgado spricht in seinem Studio mit Marta Berreta Coliqueo, die eine Indigenenvereinigung vertritt, und Rafael Araya Masry, dem Präsidenten der Palästinensischen Föderation in Argentinien. Vorgeblich geht es um die Kampagnen der Mapuche gegen die Pläne der Bergbau- und Ölindustrie im argentinischen Patagonien. Die Mapuche-Aktivistin darf aber nur zu Beginn über die Verunreinigung von Trinkwasser und die Rodung von Wäldern in ihrer Region sprechen. Als sie auf die staatliche Repression gegen den Protest zu sprechen kommt, wendet sich Salgado Masry zu und fragt: »Diese Eskalation der Gewalt, richtet die sich nur gegen die Mapuche?« Die Antwort ist erwartbar: »Wir müssen sehen, dass diese Konjunktur der Gewalt Teil eines kolonialen Krieges gegen die ursprünglichen Völker dieser Welt ist. Wir sehen es in Palästina, in Südamerika, überall«, sagt Masry und zieht Verbindungen zu jedem staatlichen Einsatz gegen Indigenas auf dem südamerikanischen Kontinent. Salgado nickt dabei beständig und leitet den Übergang zu seiner Schalte ein.

Der Führer der »Bewegung für die zweite argentinische Republik«, Adrian Salbuchi, wird nun per Livestream eingeschaltet und klärt über die großen Zusammenhänge auf. Er behauptet, es gebe eine falsche Mapuche-Organisation, gegründet in Chile während Pinochets Diktatur und mit Sitz im englischen Bristol, die Gewaltakte gegen argentinische Polizeieinheiten verübe, um so einen Keil zwischen die Mapuche und deren argentinische Mitbürger zu treiben. Ziel sei die Enteignung der Indigenengemeinden und die Destabilisierung Argentiniens. Mit dabei seien natürlich auch die USA, schließlich gibt es an der argentinischen Küste Patagoniens eine Basis der US-Navy, das könne ja kein Zufall sein. Und außerdem hätten die USA auch die Menschen im Irak, in Libyen und in Syrien schon in den Bürgerkrieg getrieben.

Endlich kommt Talkmaster Salgado zum Punkt: »Welche Rolle spielt der Zionismus bei all dem?« Salbuchi liefert: »Das ist ein Problem, mit dem sich Argentinien und Chile schon seit 150 Jahren herumschlagen. Es gibt ein großes zionistisches Interesse an Patagonien, und vor allem die Mapuche haben den Agenten des Zionismus, den großen Finanzkonglomeraten, immer Widerstand geleistet. Darüber ist schon viel veröffentlicht worden, doch die zionistische Lobby schafft es immer wieder, dass in der argentinischen Presse gleich das Geheule über Antisemitismus anfängt, wenn diese Bedrohung angesprochen wird.«

Gut zwei Wochen nach der Ausstrahlung dieser Ausgabe von »Continentes« attackierten Anwohner das Hostel Onda Azul im argentinischen Patagonien. Die Angreifer schmissen die Fenster ein, stürmten das Haus, verprügelten alle, die sie vorfanden, setzten den Flüchtenden nach und verletzten drei Polizisten schwer. Auch Schüsse sollen gefallen sein. Nach Angaben des Betreibers wurde bei dem Angriff immer wieder ein Satz skandiert: »Ihr Scheißjuden wollt uns Patagonien wegnehmen!« Wie viele andere in der Region hatte sich dieses Hostel auf Rucksacktouristen aus Israel spezialisiert, insbesondere die jungen Menschen, die nach dem Militärdienst üblicherweise um die Welt reisen. Die Begeisterung für Patagonien bei jungen Israelis wird jedoch immer mehr getrübt. In Blogs sowie in etablierten Medien und sogar bei angesehenen Politikern verbreitet sich in Argentinien der Glaube, Israel wolle sich in Patagonien einen Ableger schaffen. Die Theorie von der Existenz eines zionistischen »Andenplans« nach Theodor Herzl geistert dort zwar schon lange im Umfeld antisemitischer Militärangehöriger herum, droht sich nun aber weiter auszubreiten.

Der Sender Hispan TV hat daran einen nicht unwesentlichen Anteil: Professionell im Stil US-amerikanischer Nachrichtensender und mit einem Hauch Aktivismus produziert, werden seine Clips, die nach der Ausstrahlung ins Internet gestellt werden, zum Hit. Sind die Schriften akademischer Antisemiten wie etwa Adrian Salbuchis vor allem für ein pseudo-politikwissenschaftliches Publikum konzipiert, wird dank Hispan TV nun auch die Jugend mit passendem Material versorgt. Israelische Touristen tauschen sich derweil im Internet darüber aus, an welche Orte in Patagonien man lieber nicht fahren sollte.

Salbuchi ist ein Extrembeispiel für die politische Paranoia im krisengeplagten Argentinien. Sich selbst sieht er als einen »politischen Analysten«, der sich für die Visionen des früheren Präsidenten Raúl Alfonsín stark mache: Die Überwindung des Zentralismus durch die Verlegung des Regierungssitzes von Buenos Aires nach Patagonien, um (in der Version Salbuchis) die politische Klasse gegen den Einfluss des internationalen Finanzkapitals abzuschirmen, die Stärkung der Autonomie der Provinzen, mehr direkte Demokratie und eine von den Bürgern selbst kontrollierte Justiz. Unablässig predigt er, dass Argentinien immer noch kolonial regiert werde und alle Missstände der Durchsetzung fremder Interessen geschuldet seien. Ein besonderer Dorn im Auge sind ihm die »zionistischen Verbände« in der Hauptstadt und natürlich die als Rucksacktouristen getarnten israelischen Soldaten in Patagonien. Um vor ihnen zu warnen, tritt Salbuchi nicht nur beim iranischen Hispan TV auf, sondern ist auch Kolumnist bei Russia Today (RT).

Dass er selbst im Interesse ausländischer Mächte arbeitet und mit seinen als Anstiftung zur Gewalt zu wertenden Verschwörungstheorien die Destabilisierung Argentiniens vorantreibt, merkt Salbuchi wahrscheinlich noch nicht einmal Für RT hatte er nun auch gleich die erwartbare Verschwörungstheorie zu dem antisemitischen Anschlag 1994 in Buenos Aires parat: Selbstverständlich sei dies eine Tat des Mossads gewesen. 2006 hätten Nestor und Cristina Kirchner dann auf einem »geheimen Treffen im Waldorf-Astoria Hotel in New York von acht mächtigen zionistischen Organisationen« ein Angebot bekommen, dass sie »offensichtlich« nicht ablehnen konnten. Als Resultat hätten sie den »fanatischen Zionisten« Alberto Nisman als Staatsanwalt für die Aufklärung des Anschlages eingesetzt. Seine Mission? Das Verbrechen dem Iran in die Schuhe zu schieben, um die Wahrheit zu verschleiern und einen neuen Golfkrieg der USA propagandistisch vorzubereiten.