Razzien in der salafistischen Szene

Einmal Jihad und wieder zurück

Nach den Terroranschlägen in Paris gab es in Berlin Razzien bei Salafisten. Die Stadt gilt als Hochburg der Szene.

Reda Seyam lebt. Ende Januar meldete das Magazin Stern, dass der als ranghöchster Deutscher innerhalb der Terrormiliz »Islamischer Staat« (IS) geltende Islamist nicht bei Kämpfen südlich der irakischen Stadt Mossul ums Leben gekommen sei. Dies hatten im Dezember vorigen Jahres deutsche Medien berichtet. Seyam halte sich noch immer im Nordirak auf. Dies bestätigen dessen ältester Sohn T. und ein Freund der Familie. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen dem Tagesspiegel zufolge ebenfalls davon aus, dass er am Leben ist. Erst kürzlich habe man von ihm Lebenszeichen abgefangen, heißt es aus Geheimdienstkreisen.

Dhul-Qarnayn, so Seyams Kampfname, ist in der Hierarchie der Terrormiliz weit aufgestiegen. Wie die Welt berichtete, soll er als »Bildungsminister« der vom IS kontrollierten Universität im irakischen Mossul Anweisungen gegeben haben, ebenso Schulen, die vom IS kontrolliert werden. So soll er unter anderem den Musik-, Kunst-, Geographie- und Sozialkundeunterricht untersagt haben. An der Universität habe er die Studenten auf den bewaffneten Kampf und die Studentinnen auf das Tragen des Gesichtsschleiers eingeschworen haben. Zudem soll Seyam mehrere Studentinnen mit Jihadisten zwangsverheiratet.
Während des Ramadan 2010 eröffnete Seyam gemeinsam mit anderen Glaubensbrüdern die as-Sahaba-Moschee im Berliner Stadtteil Wedding, die einzige rein salafistische Moschee in der Hauptstadt. Dem Verfassungsschutz zufolge gehen dort keine gemäßigten Muslime beten. Zuletzt geriet die Moschee im vorigen Jahr in die Schlagzeilen, als der dortige Prediger Ahmad A. den »Heiligen Krieg« in Syrien verherrlichte und Gewalt gegen die Alawiten legitimierte: »Die Alawiten sind keine Muslime, weil sie die nächsten sind zu den Christen.« Für den Verfassungsschutz ist Berlin eine Hochburg der sogenannten Salafisten. Etwa zehn Prozent der knapp 6 000 in Deutschland bei den Sicherheitsbehörden registrierten Islamisten leben in der Hauptstadt. Die Zahl der Anhänger steige stetig. Mitte Januar durchsuchte die Polizei bei mehreren Razzien in der Salafistenszene mehr als zehn Wohnungen in Berlin, Brandenburg und Thüringen, um die »islamistische Logistikzelle« um Ismet D. und Emin F. auszuheben. Vornehmlich soll die Gruppe aus Türken und russischen Staatsangehörigen tschetschenischer und dagestanischer Herkunft bestehen. Dem 41jährigen Ismet D. wird vorgeworfen, als selbsternannter »Emir« mit dieser Gruppe eine »schwere staatsgefährdende Gewalttat« in Syrien vorbereitet zu haben. Er steht darüber hinaus im Verdacht, Rekruten für die Terrormiliz IS geworben und sie mit militärischer Ausrüstung, wie zum Beispiel Nachtsichtgeräten, ausgestattet zu haben. Konkrete Anschlagsplanungen in Deutschland lagen nicht vor. Der Polizei besitzt aber Hinweise darauf, dass sich Ismet D. offenbar selbst ins Kampfgebiet nach Syrien absetzen wollte. Man habe entsprechende Flugticktets gefunden und diese beschlagnahmt, teilte ein Polizeisprecher mit.
Eine weitere Gruppe, die den Behörden Sorgen bereitet, sind jene deutschen Jihad-Touristen, die ihre Kinder mit nach Syrien nehmen. So reisten im vergangenen Jahr eine Frau aus Osnabrück mit ihrer vierjährigen Tochter sowie ein Salafist aus Mainz mit sechs seiner Kinder außer Landes und schlossen sich islamistischen Terrororganisationen an.

»Wir haben Dutzende von Kindern interviewt, die in diesen Gruppen gekämpft haben«, berichtet Fred Abrahams von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. »Sie wurden zu militärischem Training gezwungen und mussten sich Videos von Enthauptungen anschauen.« Ziel sei es dabei, eine »neue Generation von Jihadisten aufzubauen«, sagt Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz. Die größte Gefahr geht hierzulande, den Sicherheitsbehörden zufolge, von den gut ausgebildeten Rückkehrern aus dem syrischen Bürgerkrieg aus.

Die Zahl der kampferprobten Bürgerkriegsrückkehrer nach Deutschland liegt derzeit bei rund 200, allein in Nordrhein-Westfalen sollen es bis zu 50 Personen sein, für Berlin geht man von einer Zahl im »unteren zweistelligen Bereich« aus. Unter diesen Islamisten gibt es auch desillusionierte Kämpfer. So beklagen die Eltern des Wolfsburgers Ayoub B. die mediale Berichterstattung über die Festnahme ihres Kindes im Januar. »Aus einem Aussteiger« wurde in der Öffentlichkeit »der Kopf einer Terror-Zelle«. »Ayoubs Flucht ist in den Augen des IS ein Verrat, auf den die Todesstrafe steht«, schreibt die Familie in einem offenen Brief. »Ayoub wurde nach seiner Flucht als Verräter bezeichnet und umgehend auf verschiedene Todeslisten gesetzt. Dieser Umstand war den Sicherheitsbehörden bekannt. Ayoub erhielt in regelmäßigen Abständen Morddrohungen und auch davon hat er die Behörden in Kenntnis gesetzt.«
»Schon am Tag seiner Rückkehr aus Syrien« habe sich der 26jährige »bei den Behörden gemeldet« und detailliert seine Erlebnisse geschildert. Auf den »gängigen deutschen Salafisten-Seiten« wurde zur Solidarität mit den Verhafteten in Berlin, Belgien und Frankreich aufgerufen, nicht jedoch mit dem Aussteiger aus Wolfsburg. »Was Sie mit Sicherheit nicht der Presse entnehmen konnten«, so das Fazit der Eltern, »ist, dass unser Sohn Ayoub B. sein Handeln zutiefst bereut«. In Niedersachsen ermitteln die Sicherheitsbehörden gegen mehr als ein Dutzend Islamisten, die nach Syrien aufgebrochen sind. Der Bild-Zeitung zufolge sollen allein in Wolfsburg rund 50 Unterstützer des IS aktiv sein. In Nordrhein-Westfalen wurden im Januar ebenfalls drei Syrien-Rückkehrer festgenommen. Ihnen wird die Mitgliedschaft in der Terrorgruppe »Islamischer Staat« vor­geworfen.