Die AfD nach dem Parteitag

Aluhüte für Deutschland

Die Alternative für Deutschland hat sich für eine dezidiert rechte Agenda entschieden. Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen war sie mit Nationalchauvinismus und Sozialpopulismus erfolgreich, bei der Hamburger Bürgerschaftswahl setzt sie auf Law and Order gegen links.

Mit dem Ergebnis des Bremer Parteitags der Alternative für Deutschland (AfD) kann Bernd Lucke hochzufrieden sein. Der beurlaubte Hamburger Wirtschaftsprofessor ist bislang neben der sächsischen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und dem konservativen Publizisten Konrad Adam einer der drei Parteisprecher der »Eurokritiker«. Dieses Modell war zuletzt heftig umstritten. »Stümperhaft« habe die Parteiführung gearbeitet, sagte Lucke in seiner Rede. Bis November wird es vorerst zwei Vorsitzende geben. Und nach der Verabschiedung des Parteiprogramms soll ab Jahresende nur noch ein Vorsitzender die Partei führen. Bernd Lucke ist der Kandidat, auf den diese Satzung zugeschnitten ist.
Auf dem Parteitag wurde vor laufenden Kameras derart pedantisch um Satzungsfragen gerungen, dass selbst die obsessivsten Änderungsantragssteller der Linkspartei vor Neid erblassen müssten. Ohnehin erinnert die Heftigkeit, mit der der selbststilisierte homo oeconomicus in der AfD interne Kontroversen via Brandreden und Hass-Mails ausficht, eher an den kriegerischen Urzustand vorbürgerlicher Gesellschaften. Homo homini lupus ist das Leitmotiv des Flügelstreits in der AfD.

Der Bremer Parteitag hat die bisherigen Auseinandersetzungen dennoch vorerst befriedet. Aber das neue Modell enthält viel Zündstoff. Lucke agiert schon jetzt wie ein Alleinherrscher. Die Führungsdebatte in der AfD ist ein Lehrstück dafür, wie schnell die Forderung nach »direkter Demokratie« auf die Etablierung der Akklamationsherrschaft eines »starken Mannes« hinausläuft. Allerdings ist Luckes Erfolg keineswegs ein Indiz für die Fortführung eines gemäßigten »wirtschaftsliberalen« Kurses der AfD. Die Partei hat sich in wesentlichen Punkten bereits für den Rechtskurs entschieden – und auch der vermeintlich »moderate« Lucke hat die programmatische Verlagerung von der Europolitik hin zu den Reizthemen der inneren Sicherheit und des »Kulturkampfs« faktisch mitgetragen.
In Brandenburg, Thüringen und Sachsen war die AfD mit einem nationalkonservativen und sozialpopulistischen Kurs erfolgreich. Am 15. Februar könnte die Partei auch in die Hamburger Bürgerschaft einziehen. In der Hansestadt, die gerne mit ihrem liberalen und weltoffenen Imgage kokettiert, will die AfD vor allem enttäuschte Christdemokraten und Liberale gewinnen. Beim Wahlkampfauftakt in seiner Heimatstadt hob Lucke im Januar deshalb zu einer pointierten Rede an. »Manche unserer Gegner können es sich nicht verkneifen, uns in der Zuwanderungsdiskussion in die rechtsextreme Ecke zu rücken«, sagte er. Weiter warnte er vor der »Gefahr von Parallelgesellschaften«. Notwendig sei zudem eine »Begrenzung von Zuwanderung«. Während seine Zuhörer lebhaft klatschten, setzte Lucke sein typisches, spitzbübisches Lächeln auf und rief: »Ich hätte gar nicht gedacht, dass Sie Frau Merkel so viel Beifall spenden, wie sie das gerade getan haben.« Lucke hatte unangekündigt aus einer Rede Angela Merkels zitiert, die die diese auf dem Leipziger Parteitag der CDU gehalten hatte. Zwar deklarierte Lucke das Jahr von Merkels Rede fälschlicherweise auf 2005 statt auf 2003 – aber die Pointe saß. Dann beklagte er, dass derzeit ähnliche Vorwürfe aus der Union kämen. Dabei wurde gerade in der Hamburger AfD vehement über das rechte Verhältnis zu den »Hooligans gegen Salafisten« (Hogesa) gestritten.
Ansonsten zünden im laufenden Wahlkampf eher die unfreiwilligen Gags. Vor allem dem Spitzenkandidaten der Hamburger AfD, dem emeritierten Wirtschaftsprofessor Jörn Kruse, fehlt das Gespür für den großen Auftritt. Unfreiwillige mediale Aufmerksamkeit erhielt Kruse, als er nach dem Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo zu einer pathetischen Rede ansetzte. Er könne unter dem Eindruck der Pariser Ereignisse nicht über lokale Themen wie »Elbvertiefung« sprechen, sagte Kruse beim Wahlkampfauftakt. Schon lange habe er »so etwas« befürchtet. »Leider ist es viel früher passiert, als ich gehofft habe«, entfuhr es Kruse unter ungläubigem Gelächter im Saal.

Im Programm für die Bürgerschaftswahlen feiert die AfD neben der »abendländischen Geschichte« facettenreich die »altehrwürdige Kultur des Hanseatentums«. Doch das Wahlprogramm verfällt nicht nur in den Duktus von Imagebroschüren. Mit ihrer Warnung vor den »wiederkehrenden Gewaltexzessen um die ›Rote Flora‹« nimmt die AfD die Law-and-Order-Stimmung in der einstigen »Gefahrenzone« Hamburg auf. Ganze Seiten sind dem »Linksextremismus« und dem »politischen Islamismus« gewidmet. Befeuert wird die Feind­aus­rich­tung gegen »links« derzeit durch die Zerstörung der Plakate der AfD, die sich noch als unfreiwillige Wahlhilfe erweisen könnte. Aufgrund der »geänderten Bedrohungs­lage« sollen laut AfD zudem die staatlichen Programme gegen den Rechtsextremismus teilweise »zu Gunsten der Bekämpfung von Linksextremismus und Islamismus« umgewidmet werden.
Die Kandidatenliste der Hamburger AfD gibt dem 28 Seiten umfassenden Wahlprogramm besonderen Nachdruck. »Eltern- statt Frauenförderung« lautet eine der Schlüsselforderungen der Partei. »Die AfD lehnt Gleichstellungspolitik durch Quoten als normierenden Zwang ab«, heißt es dort. Tatsächlich agiert die AfD angesichts dieser Positionen im Wahlkampf absolut glaubwürdig. Auf der Hamburger Liste befinden sich unter den 30 Kandidaten auf den Plätzen 6 und 22 lediglich zwei Frauen. Ansonsten setzen auf der Homepage der Hamburger AfD meist ältere Hanseaten das gewinnende Lächeln eines Versicherungsmaklers auf. Damit bietet die AfD Stoff für Satiriker und beerbt die FDP wenigstens in ihrer Funktion als »Spaßpartei«. In seinem »Jahresrückblick 2014« spottete der Hamburger Kabarettist Henning Venske süffisant, dass der »Ausländeranteil« in der AfD geringer sei als im Ku-Klux-Klan und die Frauenquote niedriger als im Islamischen Staat. Auch Luckes Axiome wie »Wir vertreten die Inhalte, die wir für richtig halten, und zwar deshalb, weil sie richtig sind«, erfreuen Venske, der in seinen Programmen und Büchern mit Verve den wutbürgerlichen Jargon des »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen« seziert. Jenseits der Stilblüten findet der Altmeister des linken Kabaretts den Straßenwahlkampf der AfD jedoch eher »langweilig«. Die AfD sei gerade in Hamburg eine »Wellness-Sekte von unsozialen Besserverdienenden«, sagt Venske der Jungle World. Für den Bürgerschaftswahlkampf sei die Agitation gegen »Brüssel« und »Europa« kaum geeignet. In Hamburg fehle der »biederen Professorenpartei« zudem das »erfolgversprechende sozialpopulistische Element«, das 2001 die Voraussetzung für den Erfolg des »Richter Gnadenlos« Ronald Barnabas Schill mit seiner »Partei Rechtsstaatliche Offensive« (PRO) war. Venske beobachtet die AfD mit Ironie und Skepsis. Repräsentativ für das mehrheitlich liberale Hamburger Bürgertum sei die Partei nicht. Auf sechs Prozent kommt die AfD derzeit laut Infratest dimap – Schill erreichte seinerzeit mit Hilfe der Springer-Blätter 19,4 Prozent.

In der Tat wirken manche Kandidaten der Hamburger AfD eher wie die Kellerkinder aus der Elbchaussee. Fünf Bewerber kommen aus den Reihen der einstigen »Schill-Partei«, unter ihnen auf Platz 3 der Jurist Dirk Nockemann. Der ehema­lige Hamburger Innensenator war zuvor bereits in der SPD aktiv, wechselte nach dem Scheitern der »Schill-Partei« zur CDU und gründete 2007 einen Hamburger Landesverband der »Deutschen Zentrumspartei«.
Nicht nur gescheiterte Politiker wie Nockemann finden ihr Asyl in der AfD. Obwohl Lucke im vergangenen Herbst angekündigt hatte, die Partei wolle keine »Psychopathen und Paranoiker« mehr aufnehmen, agieren in allen Bundesländern allerlei »Einzelfälle«, die selbst in einer überdrehten Politsatire unglaubwürdig wirken würden. So bezeichnete der Vorsitzende des Landesschieds­gerichts in Baden-Württemberg den Präsidenten der USA als »Quotenneger Obama«. Auf dem Parteitag der baden-württembergischen AfD, der Mitte Januar in Karlsruhe stattfand, warnte Christina Baum, die Kandidatin des nationalkonservativen Flügels für das Amt der Landessprecherin, vor einem »schleichenden Genozid« in Deutschland. Inspiriert von dieser Stimmung wandte sich der Frankfurter Allgemeine Zeitung zufolge auch Lucke in Karlsruhe gegen die politische Korrektheit: »Wenn man in Pippi Langstrumpf aus dem Negerkönig einen Monarchen der Maximalpigmentierten macht, dann mache ich das nicht mit.«

Der schrille Tonfall Luckes zeigt, dass die Fraktionskämpfe zwischen dem »wirtschaftsliberalen« und dem »nationalkonservativen« Flügel der AfD, die auch den Bremer Parteitag prägten, überbetont werden. Der Kampf um die Parteiposten ist die wutbürgerliche Karikatur des survival of the fittest. Die oberste Parteiriege unterscheidet sich jenseits realer außenpolitischer Differenzen vor allem darin, welche Leidenschaft stärker ausgelebt wird – die Bekämpfung des Islam oder des Euro, dem Migranten im vormals nationalen Währungssystem. »Punkte mit Schmackes« wünschte sich Lucke schon in den zurückliegenden Wahlkämpfen der AfD, wie der Spiegel mit der Veröffentlichung parteiinterner E-Mails dokumentierte. Der Mythos von Luckes »Rechtsabgrenzung« ist längst unglaubwürdig. Die AfD hat aus der Konkursmasse von Kleinparteien wie dem »Bund Freier Bürger« nicht nur die alten Ordnungspolitiker, sondern auch die Querulanten der Republik übernommen. Diese haben in allen Gliederungen der Partei einen Basar des politischen Obskurantismus eröffnet. Die im Internet andauernde Polemik der AfD-Anhänger gegen »Zwangsgebühren« und den »Faschismus« der »EUdSSR« legt zudem die Umbenennung der Partei in »Aluhüte für Deutschland« nahe. Lucke ist hier keine tragische Figur, sondern der Zauberlehrling, der die parteiinternen Plagegeister selbst gerufen hat. Die liberalen »Eurokritiker« in der AfD, die angesichts der deutschen Krisenpolitik mit ordnungspolitischen Argumenten davor warnen, dass durch die Bevorzugung der »systemrelevanten« Banken die Marktwirtschaft zur »Machtwirtschaft« degradiert wird, haben bereits einen Realitätsschock erlitten. »Ich kann nicht der Steigbügelhalter eines deutschen Front National sein«, zitiert die FAZ beispielhaft die ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der AfD in Rheinland-Pfalz, Beatrix Klingel.
Die Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft sind ein Stimmungsbarometer für die Erfolgsaussichten des rechtskonservativen Kurses in den »libe­ralen« Hochburgen des Westens. Am 10. Mai wird auch in Bremen gewählt. Schon jetzt ist aber deutlich, dass sich die Partei bereits Monate vor der endgültigen Verabschiedung ihres Parteiprogramms für eine dezidiert rechte Agenda entschieden hat.