Pegida und die Gegendemonstrationen

An der Spitze der Abwehr

Was treibt die Anhänger von Pegida und ihre Gegner um? Während viele Analysen nur Diffuses zutage fördern, erlaubt der Umweg über die neueste Bertelsmann-­Studie bedenkenswerte Rückschlüsse.

Anhänger der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida), so heißt es oft, seien dort besonders zahlreich anzutreffen, wo ihr islamischer Gegenpart kaum in Erscheinung trete, wie im sächsischen Dresden, dem Ausgangsort der gerade strohfeuerartig verlöschenden Pegida-Bewegung. Wie überall, wo solch schändliche »Islamkritik« den ihr gebührenden Außenseiterstatus überwinde, mangele es den Verantwortlichen und Sympathisanten an praktischer Alltagsanschauung der persönlichen und kulturellen Resultate des Islam. Dies begünstige die Entstehung »diffuser Ängste«, die ihrem Objekt in keiner Weise gerecht würden, sondern vielmehr geeignet seien, den klaren Verstand des Staatsbürgers auf emotional unheilvolle Weise zu verwirren.

Nun mag analytischem Verstehen eine aufs Diffuse gründende Erklärung nicht nützlich erscheinen. Doch die Ereignisse fanden und finden schließlich nicht auf philosophisch rationalem, sondern auf deutschem Territorium statt. Hier hatte die Minorität der Anhänger der Pegida – ihre größte Demonstration vermochte in Dresden 25 000 Menschen zu mobilisieren, anderenorts gelangten sie kaum über einige Hundert hinaus – eine bemerkenswerte Massenmobilisierung von Gegendemonstranten zur Folge. Auf die Straßen geschickt auch von Regierung, politischen Parteien und Massenmedien setzten sich No-Pegida-Märsche in Bewegung, auf denen von traditionell rechten CSU-Größen bis zu hilfsautonomen Lauti-Schützern Menschen ganz unterschiedlicher politischer Prägung anzutreffen waren.
Ein böses Zauberwort der »Pegidisten«, das sie bereits in ihrem Namen tragen, war »Islamisierung«. Das war für viele Gegendemonstranten in seiner negativen Betonung offenbar inakzeptabel und erforderte das Eintreten »gegen Islamfeindlichkeit«. Die Märsche folgten zumeist den bestimmenden Losungen »für eine tolerante« oder »für eine weltoffene« Heimatstadt. Unbefangene Beobachter hätten die Marschierer fragen können, ob es folglich dort am tolerantesten und weltoffensten zugeht, wo sicherlich keine »Islamfeindlichkeit« herrscht, also beispielsweise in Teheran, Gaza-City oder in Raqqa unter der Herrschaft des »Islamischen Staats«.
Zudem gilt: je weniger Pegida, umso mehr No-Pegida. Teilnehmerzahlen der No-Pegida-Manifestationen in westdeutschen Städten belegen das. In Bielefeld mit 328 000 Einwohnern und Münster mit 300 000 Einwohnern gingen im Januar jeweils 10 000 Menschen auf die Straße. Dies waren nicht nur proportional zur Einwohnerzahl die größten Demonstrationen dieser Art, sondern auch in der Demonstrationsgeschichte beider Orte. Pegida-Anhänger hat man dort bislang jedoch nicht gesehen, jedenfalls nicht außerhalb des Virtuellen. Anfang des Jahres hatte sich auf Facebook ein Münsteraner Ableger zu Wort gemeldet und es auf 188 Likes gebracht, am 27. Januar waren es dann stolze 368. Auch für Bielefeld soll eine Pegida-Filiale nur im Internet bestehen.
Wer nach Gründen der öffentlichen Erregung gegen Pegida sucht, wird auch hier fast zwangsläufig ins Diffuse verwiesen. Die Lokalpresse kann nur provisorische Anhaltspunkte liefern. Bereits in seiner letzten Ausgabe 2014 hatte das in Bielefeld gelesene Westfalenblatt über die Organisatoren von No-Pegida informiert: »Man wolle mit der Kundgebung ›pro-aktiv‹, also voraushandelnd tätig werden.« Wer »voraushandelnd« durch »vorauseilend« ersetzt und mit »Gehorsam« ergänzt, ist vielleicht schon zu sehr von Diffusem befangen und gelangt kaum noch zu den klarstellenden Worten der Westfälischen Nachrichten: »Als die Pegida-Demonstranten in Dresden Deutschland entsetzten, setzten sich Münsteraner an die Spitze der Abwehr.« Abwehr gegen Verursacher deutschen Entsetzens? Ja, das könnte auch das Motto jener 1928 unter sozialdemokratischer Ägide gegründeten »Abwehr« gewesen sein, jenes reichsdeutschen Militärgeheimdienstes, der unter der NS-Herrschaft zur Blüte gelangte.
Aus dem Diffusen ins Faktische gelangt, wer von Bielefeld und Münster den Weg ins unweit gelegene Gütersloh nimmt. Dort hat die Bertelsmann-Stiftung ihren Sitz, die vor knapp zwei Wochen die Ergebnisse der demoskopischen Zwei-Länder-Studie »Deutschland und Israel heute« vorlegte. Sie waren hierzulande zunächst mit Wohlwollen aufgenommen worden, hatten die Nachrichtenagenturen doch zunächst die für überzeugte Deutsche positiven Ergebnisse aus Israel präsentiert: Eine Mehrzahl von Israelis aller Altersgruppen – insgesamt 68 Prozent, Tendenz steigend – betrachtet Deutschland, dessen Regierung und deren Politik als sehr positiv. Nachdem die Stiftung ihre Studie zum kostenlosen Download ins Internet gestellt hatte, wurde die Freude verhaltener und verebbte alsbald. »Der Nahostkonflikt prägt offenbar immer mehr das Israel-Bild der Deutschen«, druckste der Tagesspiegel herum.
Ein Blick in die Studienergebnisse offenbart in der Tat groteske Missverhältnisse: 83 Prozent der befragten Israelis sind der Meinung, Deutschland solle im Konflikt mit den Palästinensern Israel unterstützen, nicht einmal jeder zweite Deutsche möchte diesem Wunsch nachkommen. 81 Prozent der Israelis befürworten deutsche Waffenlieferungen an Israel, dem stimmt jedoch nur weniger als ein Fünftel der Deutschen zu. Auf die Frage »Wen sollte die deutsche Regierung im Nahostkonflikt unterstützen?« votierten 69 Prozent der Israelis, hingegen nur 15 Prozent der Deutschen für »eindeutig/eher Israel«. Wenngleich nur fünf Prozent der Deutschen für »eindeutig/eher die Palästinenser« stimmten, waren 42 Prozent von ihnen für die Antwort »beide zu gleichen Teilen«. Für die Möglichkeit »keinen von beiden« konnten sich immerhin 32 Prozent der Deutschen, aber nur sechs Prozent der Israelis erwärmen.
Derzeit gehen 23 Prozent der Deutschen davon aus, dass »Juden zuviel Einfluss auf der Welt« hätten, 20 Jahren zuvor waren es noch 36 Prozent. Heutzutage aber setzen 35 Prozent der Deutschen die israelische Politik mit der des NS gleich, 2007 waren dies nur 30 Prozent. Hier wird eine Metamorphose des traditionellen antisemitischen Bildes des »Geldjuden« hin zum israelischen »Staatsjuden« deutlich, eine Verschiebung des Antisemitismus manifester Nazis ins vielbeschwätzte »Zentrum der Gesellschaft«, unter Mithilfe intellektuell bankrotter Linker. Dazu passt auch, dass insgesamt 66 Prozent der befragten Deutschen der Aussage »Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden« ihre Zustimmung erteilen. Hier sind besonders die jüngeren Altersgruppen signifikant: Sind es bei den 50 bis 59jährigen 65 Prozent, erreichen die 18- bis 29jährigen schon 79 Prozent Zustimmung.

Wenn diese Ergebnisse tatsächlich repräsentativ sind, dann treffen sie auch auf die Anhänger von Pegida und No-Pegida zu. Ein weiterer Schritt aus dem Diffusen ins Faktische könnte die analytische Sichtung der vielen Youtube-Videos von den Demonstrationen sein. Außer dem unheilvollen deutschen Lappen wird dort neben mancherlei Organisationsemblemen auch mit der türkischen, der palästinensischen und – der israelischen Flagge gewunken. Wer mit welcher Flagge winkt, lässt sich meist noch ausmachen. Was diese Menschen damit zum Ausdruck bringen wollen, ist weitaus schwieriger zu beantworten.