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Eine unversöhnliche Front scheint sich aufzubauen. Auf der ganzen Welt. Zwischen denen, die »Je suis Charlie« sagen. Und denen, die bekunden: »Je ne suis pas Charlie«. Ist das bereits ein antagonistischer Widerspruch, wie gewitzte Marx-Kenner behaupten mögen?
Abgesehen von islamistischen Ideologen wie Tariq Ramadan, der sofort alle Welt wissen lassen musste, dass er nicht Charlie sei, abgesehen von den iranischen Mullahs, die nun zur Vergeltung für die Charlie-Karikaturen einen »Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb« veranstalten wollen, um den Unterschied zwischen Geschichtsfälschung und Satire zu verwischen, abgesehen davon gab es auch einen respektablen Grund, nicht aus spontaner Empathie mit den Opfern Charlie sein zu wollen: die Weigerung, sich mit den Staatschefs aus aller Welt gemein zu machen, und sei es auch nur in diesem einen Punkt. Mit jenen Staatschefs, die sich auf der Pariser Charlie-Demonstration um einen Platz in der ersten Reihe prügelten, um sich für die Titelseiten ins Bild zu quetschen. Jenen Staatschefs, die bereits tags darauf begannen, darüber zu grübeln, ob die berühmte »Verletzung religiöser Gefühle« nicht brachial unterbunden werden müsse.
Es ist ja kein Geheimnis: In der kleinen, aber feinen Redaktion Ihrer Lieblingszeitung tendieren viele zu »Je suis Charlie«. Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem Paul Berman schrieb: »The ridiculous needs to be ridiculed. I am Charlie.« Deshalb hat die Jungle World das Titelblatt der ersten Charlie Hebdo-Ausgabe nach dem Gemetzel groß, auf zwei Seiten gedruckt, nun schmückt es die Wände in vielen WGs. Der Zeichner dieser großartigen, auch ein wenig rätselhaften Karikatur, Luz, hat dem Magazin Vice vor einigen Tagen ein Interview gegeben. Luz hat das Massaker in den Redaktionsräumen überlebt, weil er an diesem Tag Geburtstag hatte, mit seiner Frau im Bett herumlümmelte und deshalb zu spät zur Redaktionskonferenz kam. In dem Interview meint Luz: »Plötzlich sagt Saudi-Arabien ›Ich bin Charlie‹, aber das ist es nicht.« Stimmt. Und er skizziert eine neue Aufgabe für die Charlie-Redaktion: »Charlie hat gegen Symbole gekämpft. Wie lassen wir die Blase dieses Symbols platzen, des Symbols, zu dem wir geworden sind?« Eine Antwort findet sich vielleicht bereits in der kommenden Ausgabe von Charlie Hebdo, die am 25. Februar ­erscheinen soll.