Nachkriegsdeutschland

»Der Präsident, den die Deutschen liebten«, titelte die Hamburger Morgenpost. Am Samstag ist der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) gestorben. Die FAZ würdigt ihn als »Ersten Bürger der Nation«, für den Stern war er »ein Präsident wie aus dem Bilderbuch«. Diese Verehrung verrät viel über deutsche Befindlichkeiten und wenig über den Politiker, dem sie zuteil wird. Berühmt wurde Weizsäcker mit einer Rede, die er zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1985 hielt. Während des Nationalsozialismus war Weizsäcker Offizier der Wehrmacht. »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.« Weizsäcker sprach nicht von »Kollektivschuld«, er sagte, Hitler habe »das ganze Volk zum Werkzeug« gemacht. Von »Befreiung« hatten vor ihm schon Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU) gesprochen. Der enorme Eindruck, den Weizsäckers Rede im In- und Ausland machte, dürfte auch ihrem Timing geschuldet sein. Drei Tage vorher hatte Bundeskanzler Kohl den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan genötigt, auf dem Bitburger Soldatenfriedhof die Gefallenen der Waffen-SS zu ehren. Weizsäcker nannte in seiner Rede erstmals alle Opfer des Nationalsozialismus, Juden, Sinti und Roma, Widerstandskämpfer, Kommunisten, Homosexuelle und psychisch Kranke. »Kohl hatte die Macht, Weizsäcker das Ansehen«, resümiert die Süddeutsche Zeitung ihre gemeinsame Amtzeit. Weizsäcker wird als »ewiger Präsident« (Welt) und »Versöhner von Geist, Macht und Nation« (FAZ) in die Geschichte eingehen. Fast vergessen scheint hingegen einer seiner Amtsvorgänger, Gustav Heinemann (SPD), der während des NS Flugblätter für die Bekennende Kirche verteilte. »Ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau«, sagte er kurz vor seinem Amtsantritt. Heinemann wurde von einigen geschätzt, aber sicher nicht von allen Deutschen geliebt.