Die Werke des Klangkünstlers Thomas Köner

Mitschnitt aus der Kälte

Für seine audiovisuellen Arbeiten hat Thomas Köner zahlreiche Auszeichnungen erhalten. »La Barca«, eine Art akustische Weltreise, verdeutlicht einmal mehr Köners Bedeutung als Musiker und Klangkünstler.

Es ist schwierig bis unmöglich, über die Musik von Thomas Köner zu sprechen, ohne dabei auch Konzepte von Raum und Ort zu thematisieren. Zu präsent sind sie als übergeordnete Topoi in seinem Werk, und das schon von Beginn an. Als er 1990 damit anfing, Musik zu veröffentlichen, war er an der Musikhochschule Dortmund immatrikuliert. Es war sein zweites Studium, zuvor hatte er bereits ein Studium in elektronischer Musik in Arnheim absolviert.
Dortmund bedeutete für ihn eine Rückkehr ins Ruhrgebiet, Köner ist in Bochum geboren und aufgewachsen. Auf dem Ruhrschnellweg braucht man keine halbe Stunde, um vom Zentrum Bochums nach Dortmund zu gelangen, mit der S-Bahn kaum mehr als zehn Minuten.Eine Zeit, die ihn geprägt hat. Der Klang des Ruhrgebiets ist zum unauslöschlichen Teil seiner Musik geworden. »Das Hören der feinen Klangspektren nächtlicher Güterzüge in der Ferne, das ewig changierende graue Rauschen des nie endenden Verkehrs, die dräuende Stille in den Vororten«, all das war eine »positive essentielle ästhetische Erfahrung, die von enormem Wert für meine künstlerische Entwicklung war«, so Köner.
Noch heute sind es vor allem die leisen Töne und feinen Nuancen, die seine Musik so interessant machen. Und die Leere dazwischen, eine beinahe erschreckende Stille. Manche Stücke werden von dermaßen wenigen akustischen Ereignissen zusammengehalten, dass sie permanent am Rande des Zerfallens stehen. Raum wolle er lassen, hat Köner vor Jahren einmal gesagt – Raum, den andere mit ihren Erinnerungen und Gedanken füllen können.
Dennoch ziehen sich seine Gedanken als Spur durch die Musik. Immer wieder bezieht sich Köner auf die Arktis. Ob auf das ewige Eis rund um den Nordpol oder einen fast schon jenseitigen Sehnsuchtsort, wird offen gelassen. Wahrscheinlich stimmt beides. Zumindest teilweise. Tatsächlich hat Köner schon einige kleine Expeditionen in die Arktis unternommen, wie er erzählt. Doch weiß er auch, dass sein Bild der eisigen Kälte immer das eines Menschen sein wird, der nicht dort aufgewachsen ist. Seine Wahrnehmung dieses Orts ist durch die eigene Sozialisation geprägt – selbst in Eis und Schnee lässt ihn das Ruhrgebiet nicht los. Und umgekehrt: »Erst nach der Rückkehr aus der Arktis kann man den Schmutz, der auf allem klebt, in seiner Totalität erkennen«, sagt Köner und man ist geneigt, ihm zu glauben.
Auch auf seinem jüngsten Album »Tiento de las Nieves« spielt die Arktis eine wichtige Rolle, wie schon der Titel – nieves heißt auf Spanisch Schnee – andeutet. Dabei sind die Unterschiede zum Vorgänger »Novaya Zemlya« durchaus drastisch. Erzeugte dieser passend zu seinem Namen, der sich auf eine arktische Doppelinsel bezieht, auf der die Sowjetunion Atomtests durchführte, vielfach Gefühle von Bedrohung und Unwohlsein, wirkt »Tiento de las Nieves« in weiten Teilen so klar und rein wie frisch gefallener Schnee.
Ebenfalls einen spürbaren Unterschied macht die stärkere Präsenz wenig bis gar nicht verfremdeter Klavierklänge – durchaus passend für ein Album, dessen Titel sich auf eine musika­lische Form bezieht, die zumeist auf Tasteninstrumenten gespielt wird. Seinen Ursprung hat der Tiento auf der iberischen Halbinsel des 15. Jahrhunderts. Köners Stücke haben – zumindest ihrer Klanglichkeit nach – wenig mit ihm gemeinsam. Die Verbindung besteht eher auf einer anderen Ebene. Der Tiento entwickelte sich aus der freien Improvisation und leitet seinen Namen von dem Verb »tentar« (tasten) ab. Auch Köner tastet, seine Musik hat etwas Forschendes, auf das Element der Wiederholung verzichtet er weitestgehend.
Das war nicht immer so. Gemeinsam mit dem Produzenten Andy Mellwig veröffentlichte Köner als Porter Ricks in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine Reihe wegweisender Dub-Techno-Platten. 1999 sorgten Porter Ricks mit einem Remix für Nine Inch Nails für Aufsehen, gingen danach jedoch für eineinhalb Jahrzehnte wieder getrennte Wege. Erst 2013 betraten Köner und Mellwig wieder gemeinsam die Bühne, im Rahmen des Unsound Festivals in Krakau.
Für Köner macht es keinen großen Unterschied, ob er sich in der Club- oder Hochkultur bewegt. »Für mich sind es keine unterschiedlichen Welten«, sagt er. Zuhause fühle er sich in beiden. Ohnehin sei die Trennung in Kunst und Nicht-Kunst »total bösartig« und werde »vom kapitalistischen System bewirkt«.
Irgendwo zwischen highbrow und lowbrow, zwischen E-Musik und Noise-Underground bewegt sich auch Köners Projekt »La Barca«, dessen lange vergriffene Aufnahmen nun als Edi­tion erschienen sind. In 22 fragmentartigen Stücken erkundet Köner Orte in fast allen Erdteilen und verschmilzt Field Recordings mit minimalistischen Klangcollagen. Kein unbedingt neues Vorgehen, allerdings ist es wenigen anderen Künstlern bislang so gut gelungen wie Köner, das Studio mit der Straße und die einzelnen Aufnahmen miteinander zu einem sinnhaften Ganzen zu verbinden. »La Barca« lässt sich als eine Art geruhsame Bootsfahrt genießen; allerdings führt die Route nicht durch den Spreewald, sondern durch Tokio über Buenos Aires nach Hamburg – mit Umweg über Spitzbergen.
Ob nun Galerie, gefeiertes Festival für innovative elektronische Musik oder nach Schweiß und MDMA miefender Technoschuppen – wichtig scheint für die Musik Köners ohnehin weniger der Rahmen zu sein als die Bereitschaft, sich auf den Sound einzulassen. Köners Kunst dient sich nicht als bildungsbürgerlicher Konsumartikel an. »Ich stürze mich nicht in den Mainstream, weil dort die Nuance, um die es mir geht, systembedingt sofort weggeschliffen wird«, sagt Köner. Trotzdem will ihn die Offizialkultur durchaus in die Arme schließen. Beiderseits des Atlantiks hat er an unzäh­ligen Ausstellungen teilgenommen und diverse Auszeichnungen erhalten – für seine audio­visuellen Arbeiten. Seine Platten erscheinen wie eh und je in überschaubaren Auflagen auf Indielabels.
Dabei würde sich Köner, so renommiert er als Künstler ist, oberflächlich betrachtet durchaus eignen als Aushängeschild für den E-Musik-Standort Deutschland. Ohne Stockhausen würde seine Musik anders klingen. Seine Zusammenarbeit mit Asmus Tietjens, dem Hamburger Altmeister der Klangkunst, verbeugt sich vor dem wohl bedeutendsten Komponisten der Nachkriegs-BRD schon im Namen: Kontakt der Jünglinge.
Aber Köner lässt sich nicht vereinnahmen. Ohnehin scheint seine Musik eher anderswo als hierzulande rezipiert zu werden. Wenn er überhaupt in Deutschland auftritt, dann fast nur in Berlin. Und wer einmal eines seiner Konzerte besucht hat, dürfte bemerkt haben, dass ein solcher Abend eine sehr internationale Angelegenheit ist. Es würde auch nicht zu Köners ortloser, sich ihren Raum schaffender Musik passen, wenn Nationen eine Rolle spielten. Dann doch lieber die Arktis. Solange es sie noch gibt.

Thomas Köner: La Barca – Complete Edition (self-released/Bandcamp)