Fabian Molina im Gespräch über die Migrationspolitik in der Schweiz

»Wir werden uns gegen Kontingente einsetzen«

Vor einem Jahr wurde in der Schweiz die Volksinitiative »Gegen Masseneinwanderung« der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) knapp angenommen. Die Initiative fordert Kontingente bei der Einwanderung und einen Vorrang für Schweizerinnen und Schweizer auf dem Arbeitsmarkt. Beide Forderungen ver­stoßen gegen das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU. Falls dieses aus­gesetzt wird, fallen auch die übrigen bilateralen Verträge. Vergangene Woche hat der Bundesrat erste Vorschläge zur Umsetzung der Initiative präsentiert. Zusammengefasst lauten sie: Kontingente für EU-Bürger ja, aber nur, wenn die EU diese der Schweiz zugesteht. Über die Schweizer Migrations- und Arbeitsmarktpolitik sprach die Jungle World mit Fabian Molina. Er studiert an der Universität Bern, ist Präsident der Jusos Schweiz und arbeitete früher als nationaler Jugendsekretär bei der Gewerkschaft Unia.

Die Neue Luzerner Zeitung meint, dass der Bundesrat eine »weiche Linie« fahre und die Zuwanderungsinitiative nur umsetze, »falls die EU der Schweiz Sonderregeln gestattet«. Welche Strategie steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Vorschlag des Bundesrats?
Der Bundesrat versucht mit seinem Umsetzungsvorschlag die Quadratur des Kreises. Die Masseneinwanderungsinitiative widerspricht der Personenfreizügigkeit, das war von Anfang an klar. Mit Verhandlungen soll das Unmögliche trotzdem möglich gemacht werden. Die EU wird aber keinesfalls Kontingente und eine Diskriminierung ihrer Bürgerinnen und Bürger auf dem Schweizer Arbeitsmarkt akzeptieren. Das heißt, es läuft auf eine erneute Volksabstimmung hinaus, bei der sich die Schweizer Stimmbevölkerung zwischen einer strikten Umsetzung der Initiative und der Personenfreizügigkeit wird entscheiden müssen.
Die Festsetzung von Kontingenten lässt sich mit den bilateralen Verträgen kaum in Einklang bringen. Bei einer Einführung würden sich die Beziehungen mit der Europäischen Union daher schwierig gestalten. Einige Beobachter, wie die Zeitung Le Temps, vermuten, dass, um dieses Problem zu umgehen, am Schluss der Verhandlungen EU- und EFTA-Bürgerinnen und -Bürger weiterhin von der Personenfreizügigkeit profitieren können, während für andere Zuwanderer Kontingente gelten sollen. Was halten Sie von dieser Vermutung?
Das ist sehr plausibel. Wobei es faktisch schon heute Kontingente für Personen gibt, die nicht aus EU- oder EFTA-Staaten kommen. Entscheidend wird sein, was der Bundesrat mit der EU-Kommission aushandelt und was die Stimm­bevölkerung anschließend dazu sagen wird. Wir werden uns aber auf jeden Fall mit aller Kraft für den Erhalt der Bilateralen (Verträge mit der EU, Anm. d. Red.) und gegen Kontingente einsetzen und ich bin zuversichtlich, dass wir damit am Schluss auch erfolgreich sein werden.
Die Gewerkschaft Unia zeigte im November 2014 die historische Ausstellung »Baracken, Fremdenhass und versteckte Kinder« zum Thema Saisonnierstatut in der Schweiz, das Arbeitgebern bis 1991 eine befristete Anstellung ausländischer Arbeitskräfte erlaubte, aber die Niederlassung jener Arbeitskräfte verbat. Für Nicht-EU-Bürger galt das Statut sogar bis 2002. Mit der Ausstellung wollte Unia das Schweizer Verhältnis zu Europa, aber auch die Rechte aller Arbeiterinnen und Arbeiter diskutieren. Wie schätzen Sie die künftige Situation für ausländische Arbeitskräfte in der Schweiz ein?
Das Saisonnierstatut ist ein trauriges Kapital der Schweizer Geschichte, das erst vor knapp 20 Jahren endete. Weil den ausländischen Gastarbeitern der Familiennachzug nicht erlaubt war, mussten Abertausende Kinder über Jahre im Verborgenen und unter prekären Bedingungen leben. Die SVP hat im Abstimmungskampf offen gesagt, dass sie mit ihrer Initiative genau dieses menschenunwürdige Regime wieder anpeilt. Diese Idee hat der Bundesrat inzwischen glücklicherweise verworfen. Sollten die bilateralen Verträge mit der EU allerdings fallen, rückt ein solches System für ausländische Arbeitskräfte wieder in greifbare Nähe.
Obwohl bis jetzt nur ein Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative gemacht wurde, ist heute alles anders als vor einem Jahr. Grund dafür ist die Aufhebung des Mindestwechselkurses des Frankens zum Euro durch die Schweizer Nationalbank am 15. Januar, was wie ein Schock auf die Wirtschaft wirkte. Das hat Folgen für die Zuwanderung, sie dürfte schon 2015 zurückgehen. Wie schätzen Sie die Bedeutung der Aufwertung des Frankens für die Einwanderung ein?
Die Schweiz hat in den letzten Jahren ein massives Standortdumping betrieben. Mit dem Steuerhinterzieher-Geheimnis und Tiefststeuern für Konzerne wurde ausländisches Kapital angelockt und damit wurden auch zahlreiche neue Unternehmen angesiedelt. Diese Firmen holten auch vermehrt ausländische Arbeitskräfte ins Land. Von dieser Entwicklung profitierten allerdings die Arbeitenden in der Schweiz kaum, die Reallöhne stagnierten, während der Wettbewerbsdruck weiter stieg. Die Problematisierung der Migration ist nur vor dem Hintergrund dieses Klassenkampfes zu verstehen. Und ich befürchte, dass sich die Situation mit dem »Frankenschock« noch verschärfen wird. Die Schweiz ist nun nämlich auf dem besten Weg in eine Rezession.
Soeben sind die Ergebnisse eines Berichts im Auftrag des Innendepartements EDI zu rassistischen und diskriminierenden Einstellungen in der Schweiz bekannt geworden. Fast jeder vierte Befragte zeigte im Jahr 2014 eine fremdenfeindliche Haltung – vier Jahre zuvor war es allerdings noch jeder dritte. Seltsamerweise hat aber die Bedeutung der Nationalität bei potentiellen Arbeitskollegen zugenommen, 2010 gaben 18 Prozent der Befragten an, die Nationalität ihrer Kollegen spiele eine Rolle, 2014 waren es bereits 27 Prozent. Haben Sie eine Idee, warum?
Es ist sehr erfreulich, dass Rassismus in der Schweiz offenbar insgesamt rückläufig ist. Über die Gründe will ich nicht spekulieren. Die Angst vor dem Fremden am Arbeitsplatz hängt aber eindeutig mit der realen Abstiegsangst der Arbeitenden zusammen. Diese wird nur abnehmen, wenn der Wohlstand in Zukunft wieder gerechter verteilt wird.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hört nicht auf mit ihrem repressiven Rechtspopulismus zum Thema Migrationspolitik und hat vergangenen Sommer bereits die »Asyl-« und die »Völkerrechts-Initiative« angekündigt. Was erwartet uns in der Zukunft?
Die SVP hat sich im Verlauf des letzten Jahres noch einmal erschreckend radikalisiert. Als erste europäische Regierungspartei stellt sie das Asylrecht als solches in Frage und möchte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention austreten. Damit verabschiedet sie sich nicht nur von den Werten der Aufklärung, sondern stellt sich auch auf eine Stufe mit rechtsextremen Parteien. Diese Entwicklung ist sehr gefährlich. Im Wahljahr 2015 stehen uns damit sehr schwierige Auseinandersetzungen bevor.