Die Debatte zum Alkohol-Verbot in Berlin

Billig will ich!

Politiker wollen den Verkauf von Alkohol in der Nacht untersagen. Das ist ein Affront vor allem gegen die Armen.
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In Berlin will der Bezirk Mitte das jährliche Straßenfest in der Weddinger Müllerstraße verbieten, vor allem der Ordnungsstadtrat Carsten Spallek (CDU) macht sich dafür stark. Grund: Das Fest sei nicht »im öffentlichen Interesse«. Was das sein soll, weiß man in der Bezirksvertretung offenbar sehr genau. Die Berliner Morgenpost schreibt: »An der Müllerstraße gebe es statt Kultur und Kunsthandwerk vor allem exzessiven Alkoholkonsum: Bierselige Besucher hätten die Straßen mit leeren Getränkedosen verdreckt und gegen die Geschäftshäuser uriniert, sagen Beobachter.« Und Herr Spallek klagt: »Da gibt es ganz viele, die saufen sich die Birne weg.« Um Gottes Willen! Ja, wer würde so was vor der eigenen Haustür haben wollen? Das kann man verstehen. Stellt sich nur die Frage, wo der Unterschied zum Karneval oder zum Oktoberfest sein soll – mal davon abgesehen, dass es im Wedding nie zu ausgewachsenen Maßkrugschlägereien kommt wie jedes Jahr in München. Die Antwort findet sich im nächsten Satz des Artikels. Da heißt es: »Stände mit billigen Waren und Imbissbuden beherrschten die Müllerstraße, warfen die Bezirksverordneten den Organisatoren vor.« Und genau das ist das Problem: zu billig! Nicht, dass das Bier, die Brezeln oder Bratwürste beim Oktoberfest, bei der Berliner »Biermeile« oder bei anderen Volks- und Sauffesten besser wären – aber teurer ist es dort allemal. Diese störrischen Weddinger aber, die wollen sich einfach nur billig betrinken und einen Döner oder eine Currywurst für wenig Geld verspeisen. Und das nennen die dann Straßenfest! Skandal, das muss natürlich verboten werden! Das »öffentliche Interesse« definiert immer noch das Bezirksamt.
Das Ganze wäre nur eine lokalpolitische Bagatelle aus der Berliner Provinz, wenn es nicht im Zusammenhang mit der nicht nur in Berlin geführten Debatte gesehen werden müsste, den Alkoholverkauf an Tankstellen, Spätverkaufsstellen und Kiosken zwischen 22 Uhr und fünf Uhr komplett zu untersagen, wie es in Baden-Württemberg schon seit 2010 der Fall ist. Auch bei dieser Debatte geht es nur darum, das Konsumieren preiswerten Alkohols zu untersagen, während der mindestens immer doppelt so teure Konsum in Lokalen, Kneipen und Restaurants selbstverständlich weitergehen soll. Für wen das nicht erschwinglich und wer dazu auch noch wohnungslos ist, könnte dann künftig nirgendwo mehr nach 22 Uhr etwas trinken. Gerade diesen Menschen gilt die Kampagne.
Auch die wieder neu befeuerte Debatte über die zu senkende Promillegrenze bei Radfahrern hat denselben Hintergrund. Wer sich nach dem Kneipenbesuch den Heimweg mit dem Taxi nicht leisten kann, der ist, sofern keine öffentliche Verkehrsanbindung besteht, und das ist ab ein Uhr nachts in den meisten Gegenden Deutschlands der Fall, oft auf das Fahrrad angewiesen. In keiner Statistik erscheinen betrunkene Radfahrer als relevantes Problem, dass sie dennoch immer wieder ins Visier genommen werden, folgt demselben Sozialchauvinismus wie die Debatte um das Billigstraßenfest im Wedding. Zeit für Widerstand. Alkohol für alle, sonst gibt’s Krawalle!