Yassir Abdalla und Maissara Saeed im Gespräch über die Proteste sudanesischer Flüchtlinge in Deutschland

»Diese Diktatur muss gestürzt werden«

Am 11. Februar wurde die Botschaft der Republik Sudan in Berlin besetzt. Es war der bisher aufsehenerregendste Protest innerhalb Deutschlands, der sich gegen die seit 1989 bestehende islamistische Militärdiktatur unter Präsident Omar al-Bashir richtete. Wegen Völkermords liegt gegen Bashir ein Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs vor, der die Ermittlungen jedoch Ende 2014 wegen mangelnder internationaler Unterstützung eingestellt hat. Während Sudanesen aus Berlin vor der Botschaft Flugblätter verteilten, gelang es einer vom Refugee Protest Camp aus Hannover angereisten Gruppe, in das Gebäude einzudringen. Sudanesischen Flüchtlingen ist es nur in Niedersachsen erlaubt, einen Antrag auf Asyl zu stellen. Seit 2011 ist es für sie deutlich schwieriger geworden, als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden, denn der Bürgerkrieg gilt mit der Anerkennung eines unabhängigen Südsudans durch die Regierung in Khartoum seither offiziell als beendet. Außerdem gebe es für politisch Verfolgte mit den UN-Flüchtlingscamps um Darfur eine inländische Fluchtalternative, heißt es seitens der Behörden. Die Jungle World sprach mit Yassir Abdalla und Maissara Saeed, die sich an der Botschaftsbesetzung in Berlin beteiligten, über die Opposition gegen das sudanesische Regime und den Kampf um politisches Asyl in Deutschland.

Wird die Aktion ein juristisches Nachspiel für Sie haben?
Saeed: Das wissen wir noch nicht. Die Polizei hat von allen Personalien aufgenommen, die an der Aktion beteiligt waren. Uns gegenüber haben sie versichert, dass wir keine Angst vor Repressalien haben müssen, und die Botschaft hat keine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gestellt. Was aber passiert, wenn wir weitermachen, bleibt abzuwarten.
Bislang haben Sie in Hannover für eine kollektive Anerkennung als politische Flüchtlinge und gegen die Einzelfallprüfungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Braunschweig gekämpft. Wieso jetzt diese direkte Aktion gegen die sudanesische Botschaft in Berlin?
Abdalla: Wir haben uns von Anfang an als oppositionelle Gruppe gegen das sudanesische Regime verstanden und sind damit ja auch in Hannover an die Öffentlichkeit gegangen. Natürlich hängen der Kampf um unsere Rechte in Deutschland und der gegen die Diktatur im Sudan direkt zusammen. Allerdings gibt es nun eine neue Dynamik, die aus dem Sudan selbst kommt: Die Opposition hat begonnen, sich zu vereinigen. Das ist ein gewaltiger Prozess, der quer durch alle Lager geht, ob liberal, kommunistisch oder sogar islamistisch, ob Parteien, NGOs, soziale Bewegungen oder bewaffnete Gruppen. Gemeinsames Ziel ist die Beendigung der Diktatur, die Absetzung al-Bashirs und – nach einer Übergangsphase – durch die Afrikanische Union beobachtete freie und allgemeine Wahlen. Wir verstehen uns als Teil dieses Prozesses.
Islamisten beteiligen sich an der Opposition gegen al-Bashir?
Saeed: Der »Arabische Frühling« hat im Lager der Islamisten sehr unterschiedliche Fraktionen geschaffen. Es gibt einige, für die etwa die tunesische Revolution ein Vorbild ist, auch weil sie Angst haben, ein Umsturz im Sudan könnte eine Situation wie in Ägypten zur Folge haben. Da haben sie nun lieber gleich ihren Fuß in der Tür.
Abdalla: Es ist wirklich ein schwieriges Bündnis und ein langer Weg. Deswegen finden wir es auch wichtig, von hier aus unseren Beitrag zu leisten. Das Refugee Protest Camp Hannover, das ja ausschließlich von Menschen aus dem Sudan getragen wird, vereint die unterschiedlichsten politischen Strömungen. Natürlich bringt das viele ­interne Diskussionen mit sich, doch angesichts der doppelten Konfrontation – mit dem sudanesischen Regime und den deutschen Behörden – haben wir eine Einheit gebildet, die vorbildhaft für die Gruppen im Sudan sein kann. Um Fortschritt im Sudan erreichen zu können, also die furchtbaren ethnischen und religiösen Konflikte zu beenden, einen Ausweg aus der staatlichen Gewalt zu finden und den zahllosen Binnenflüchtlingen im Land zu helfen, muss diese Diktatur endlich gestürzt werden. Deswegen können auch wir uns in dem Bewegungsslogan »Verschwinde, al-Bashir!« wiederfinden.
Sie halten mit dem Refugee Protest Camp seit Mai 2014 den Weißekreuzplatz in der Nähe des Hannoveraner Hauptbahnhofes besetzt und fordern eine Anerkennung als politische Flüchtlinge. Warum sperrt sich das Bundesinnenministerium so sehr dagegen, obwohl die humanitäre Lage im Sudan und die brutalen Methoden des Regimes vielfach dokumentiert sind?
Abdalla: Das ist wirklich kaum zu verstehen und nötigt zu Spekulationen. Wir meinen, dass es für die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft einfach schlecht aussehen würde, wenn sie wie im Jahr 2013 eine große Wirtschaftsdelegation aus dem Sudan empfängt und Geschäftsbeziehungen aufbaut und gleichzeitig Menschen hier Schutz vor Verfolgung durch die neuen Partner finden würden. Damit würde sich die Bundesrepublik ja offiziell auf die Seite von Regimegegnern stellen – und das will sie offensichtlich nicht. Dabei braucht man sich doch nur einmal die Berichte des UN-Flüchtlingshilfswerks anzusehen: In den Camps in der Region Darfur droht die schlimmste Flüchtlingskrise, die die Welt je gesehen hat, Hunderttausende sind unterversorgt. Und was das Treiben der regierungsnahen islamistischen Milizen angeht, könnte sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier anstatt an die türkisch-syrische Grenze auch mal an diejenige zwischen dem Tschad und dem Sudan stellen. An letzterer dürfte er sich deutlich unsicherer fühlen.
Saeed: Ein großes Thema für Asylbewerber in Deutschland ist auch die Ungleichbehandlung. Dass zurzeit syrische Flüchtlinge in Deutschland hinsichtlich ihres Aufenthaltstitels relativ bevorzugt behandelt werden, liegt einfach an dem großen medialen Interesse am dortigen Bürgerkrieg. Für Menschen, die vor Krieg und Folter aus dem Sudan geflohen sind, ist das nur schwer nachvollziehbar. Sie fragen sich: wo liegt der Unterschied?
Die deutsche Regierung unterstützt die demokratische Opposition im Sudan nicht?
Abdalla: Ganz klar: nein! Das hat sie noch nie getan, in der gesamten Geschichte des Sudans seit der Unabhängigkeit 1956. Die derzeitige Oppositionsbewegung bezieht sich ja – abgesehen vielleicht von den Islamisten – nicht auf den »Arabischen Frühling«, sondern auf die Jahre 1964 und 1985. Das sind Jahreszahlen, die eine wichtige politische Rolle im Sudan spielen, denn was Westeuropa 1968 erlebte, gab es im Sudan in diesen Jahren: Eine breite Bewegung von Jugendlichen, Gewerkschaften, Studierenden und vielen anderen für Freiheit und echte Demokratie. Die Bundesrepublik hat sich nie für diese Bewegungen interessiert und hat nie Kontakt zur Opposition im Sudan aufgenommen.
Saeed: Und sie ignoriert auch die sudanesische Opposition im eigenen Land. Wir werden, wenn überhaupt, als Asylbewerber wahrgenommen, aber als politische Akteure, die etwas zur Situation im Sudan zu sagen haben, die Einfluss auf die Lage dort nehmen wollen, sieht man uns nicht. Die Situation ist also einfach die, dass ein wegen Völkermord per internationalem Haftbefehl gesuchter Staatschef seine Delegation nach Berlin schickt, aber jenen, die sich hier in Deutschland für Demokratie und Menschenrechte im Sudan einsetzen, nicht einmal zugehört wird.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Saeed: Das war jetzt ein Auftakt, ein neues Kapitel für uns. Wir sind nun sowohl Teil der bundesweiten Flüchtlingsproteste als auch der sudanesischen Opposition. Diese Verbindung werden wir weiter festigen. Im April werden wir in Hannover eine Ausstellung zur Menschenrechtssituation im Sudan eröffnen, die dann hoffentlich auf Tour gehen wird. Wir wollen wachsen: Über das Protest Camp in Hannover hinaus zu einer europäischen Bewegung gegen die sudanesische Diktatur.
Abdalla: Wir wollen alle hier lebenden Sudanesinnen und Sudanesen organisieren. Natürlich gibt es auch hier Vertretungen der sudanesischen Opposition, doch die sind sehr mit ihrer Organisa­tion nach innen beschäftigt. Wir wollten durch die Besetzung und das mediale Echo ein Moment schaffen, von dem sich alle Exilsudanesen angesprochen fühlen: Das betrifft mich und meine Familie, meine Geschichte und Zukunft. Wir werden nun verstärkt mit diesem Thema an die Öffentlichkeit gehen und so ansprechbar sein und wir hoffen, auch einige Menschen zu eigenen Ak­tionen zu inspirieren. Das ist natürlich sehr prekär, denn wir kämpfen parallel immer noch um das Bleiberecht. Doch die stagnierende Situation der Platzbesetzung in Hannover hat uns auch angetrieben, neue Felder zu erobern, wieder in die Offensive zu kommen. Denn bisher haben sich die Behörden auf lokaler, auf Landes- und auf Bundesebene nur marginal bis gar nicht bewegt.