Die Rolle Deutschlands bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex

Wir sind Frontex

Die Grenzagentur Frontex ist für die Überwachung der EU-Außengrenzen zuständig. Seenotrettung gehört nur bedingt dazu.

Mit ihrer Gründung vor zehn Jahren ist die »Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen«, kurz Frontex, eine der jüngeren Einrichtungen der Europäischen Union. Verglichen mit allen anderen EU-Agenturen wächst ihr Budget rasant: Innerhalb der ersten vier Jahre verdoppelten sich die Ausgaben jährlich, 2013 verfügte Frontex über 85 Millionen Euro aus dem Haushalt der EU.
Obwohl hauptsächlich Migranten ins Visier geraten, besteht die offizielle Aufgabe von Frontex im Aufspüren von sogenannten »Schleuserorganisationen«. Dass manche Menschen aus der Not von Geflüchteten Kapital schlagen, ist wahr. Andererseits gehen sie aber auch ein hohes Risiko ein, denn ihnen drohen hohe Strafen. Das Vokabular von »Schleppern« und »Schleusern« kriminalisiert auch jede Fluchthilfe aus politischen oder humanitären Gründen. So behauptet auch das Bundesinnenministerium, »Schleuserorganisationen« trieben »bedenkenlos Flüchtlinge in großer Zahl auf Boote im Mittelmeer«.

Derart verbal aufgerüstet können weitere polizeiliche Partner eingebunden werden. Frontex arbeitet mit der kriminalpolizeilichen Agentur Europol zusammen, für 2015 sind Operationen auch mit Interpol geplant. In einem »Flight Tracking Project« werden Frühwarnsysteme für Flughäfen entwickelt, um unerwünschte Migranten schon vor der Landung zu erkennen. Die Arbeit der Agentur verlagert sich durch solche Maßnahmen immer mehr ins sogenannte Vorfeld: Frontex produziert vierteljährliche Risikoanalysen, in denen zukünftiger »Migrationsdruck« prognostiziert wird. Hierfür verarbeitet die Agentur Statistiken von EU-weiten Polizeioperationen, in denen über einen Zeitraum von zwei Wochen an Bahnhöfen und Flughäfen Migranten kontrolliert werden. Zuletzt hatten die Polizeien der EU-Mitgliedstaaten im Oktober die Operation »Mos Maiorum« durchgeführt, Anfang April folgt eine ähnliche Aktion unter dem Namen »Amberlight 2014«. Auch die Bundespolizei wird sich wieder beteiligen.
Frontex soll einen Ausgleich schaffen für den Wegfall der Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten. Die EU ist von rund 12 000 Kilometern Landgrenze und 45 000 Kilometern Seegrenze umgeben. Faktisch ist Frontex aber vor allem an der östlichen Landgrenze und im Mittelmeer aktiv. Mittlerweile verfügt Frontex über Daten aus der Satellitenaufklärung und einem elektronischen Überwachungsnetzwerk, an das alle Mitgliedstaaten angeschlossen sind. Wie alle anderen EU-Agenturen hat Frontex lediglich eine unterstützende Funktion und wird nur auf Ersuchen der Mitgliedstaaten tätig. Dann wird im Hauptquartier in Warschau eine Mission zusammengestellt, einzelne Regierungen stellen Ausrüstung und Personal zur Verfügung. Frontex führt auch Sammelabschiebungen durch, allein für 2015 sind bis zu 40 solcher »Rückführungseinsätze« geplant. Hierfür will Frontex eigene Verbindungsbeamte in der Türkei und in Libyen stationieren. Mit Weißrussland verhandelt Frontex über eine Abschiebeabkommen, ähnliche Verträge sind mit Ägypten und Libyen geplant.

Immer wieder kommt es im Rahmen von Frontex-Missionen im Mittelmeer zu illegalen »Push-back-Operationen«, also der Zurückschiebung in jene Länder, von deren Küsten die Geflüchteten in See gestochen waren. Griechenland zwang Bootsinsassen bereits in türkische Gewässer zurück, in einem Fall ertrank dabei fast die Hälfte der Passagiere. Die italienische Küstenwache fährt gemeinsame Patrouillen mit libyschen Soldaten, mehrmals wurde von rechtswidrigen Zurückweisungen an libysche Behörden berichtet. Die Betroffenen werden auf diese Weise daran gehindert, in der EU Asylanträge zu stellen. Weder die Türkei noch Ägypten oder Libyen verfügen über funktionierende Asylsysteme.
Vergangenen Monat wurde mit Fabrice Leggeri ein neuer Frontex-Direktor benannt. Er gilt im Gegensatz zu seinem Vorgänger, einem finnischen Brigadegeneral, als Bürokrat. Angeblich erfand er den Namen »Frontex« (als Abkürzung für »frontières extérieures« – Außengrenzen). Gegenüber der Wochenzeitung Die Zeit beteuerte Leggeri, »Push-back-Operationen« verstießen »gegen EU-Recht, gegen internationales Recht und gegen die Menschenrechte«. Verantwortung für die EU-Migrationsabwehr mag er aber nicht übernehmen: »Ich als Frontex-Direktor habe keine politische Aufgabe in dieser Frage. Ich setze nur die politischen Entscheidungen um.«

Wichtige Entscheidungen für die Arbeit von Frontex werden aber nicht nur in Brüssel getroffen, sondern auch im Verwaltungsrat der Agentur, in dem sich alle beteiligten Mitgliedstaaten (auch Norwegen, Island und die Schweiz) organisieren. Der Frontex-Verwaltungsrat beschließt das jährliche Arbeitsprogramm und den Haushalt. Er wird von Ralf Göbel geleitet, einem früheren Vizepräsidenten des Bundespolizeipräsidiums und mittlerweile hohen Beamten im Bundesinnenministerium. Mit den Zehntausenden Toten im Mittelmeer will aber auch Göbel nichts zu tun haben. Frontex mache keine Politik, sondern führe nur aus.
Frontex verfügt über einen eigenen Direktor für die operativen Missionen. Auch dieser Posten ist durch Klaus Rösler mit einem Deutschen besetzt. Rösler ist unter anderem mit der Leitung von »Triton« beauftragt, der wohl bekanntesten Frontex-Operation vor der italienischen Küste. »Triton« gilt als Nachfolgerin der italienischen Operation »Mare Nostrum«, innerhalb derer in kurzer Zeit über 140 000 Geflüchtete auf See aufgegriffen worden waren. Schnell stellte sich »Triton« allerdings als Etikettenschwindel heraus: Während Italien für »Mare Nostrum« monatlich rund neun Millionen Euro ausgab, verfügt »Triton« lediglich über maximal 2,8 Millionen Euro. Auch das Einsatzgebiet wurde auf italienische Hoheitsgewässer verkleinert.
Dass in »Triton« eingesetzte Schiffe der isländischen oder portugiesischen Küstenwache dennoch zu Rettungseinsätzen auf hoher See aufbrechen, erzürnt den für die Operation zuständigen Frontex-Direktor. Laut italienischen Nachrichtenagenturen hatte Rösler ein Schreiben an die für Migration zuständigen Abteilungen des italienischen Innenministeriums gerichtet und gefordert, Notrufe zu ignorieren. Der frühere Bundesgrenzschützer habe demnach mitgeteilt, »dass nicht jeder Anruf von einem Satellitentelefon, getätigt von Bord eines Flüchtlingsbootes, auch ein Hilferuf sei«. Offenbar wird diese Haltung nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt. Nachdem vergangene Woche wieder 14 Schiffe vor Lampedusa in Seenot gerieten, brachen auch Schiffe der »Triton«-Mission zur Rettung auf. Dem neuen Frontex-Leiter Leggeri war es wichtig zu versichern, dass dies im Notfall auch zukünftig so gehandhabt werden solle.

Angesichts der staatlichen Ignoranz haben sich mittlerweile private Initiativen zur Seenotrettung etabliert. Ein Millionärsehepaar aus Malta war hierfür voriges Jahr mit einem Schiff und einer Drohne auf dem Mittelmeer unterwegs, nun werden Spenden für eine weitere Saison gesammelt. Aktivisten aus Europa und Nordafrika haben sich in der Initiative »Watch the Med!« zusammengeschlossen und verteilen in Tunesien und Marokko Flugblätter, um die gefährlichen Überfahrten wenigstens etwas sicherer zu gestalten. Seit vier Monaten hat »Watch the Med!« ein eigenes Notruftelefon geschaltet. Bald werden weitere Aktivisten auf dem Mittelmeer kreuzen: Mehrere Familien aus Brandenburg finanzieren den Kauf, Umbau und Betrieb eines »Sea Watch« getauften Schiffes. 1 000 Rettungswesten wurden bereits aus China importiert, im Mai soll es mit der »zivilen Seenotrettung« losgehen. »Die EU ist nicht willens dazu«, heißt es in dem Aufruf der Gruppe. »Deshalb ergreifen wir die Initiative.«