Die Motive der rechten und linken Putinisten

Im Bann des Chamäleons

Getrieben von antiamerikanischen Ressentiments, sammeln sich Rechte und Linke hinter Wladimir Putin.

Das Erfolgsrezept ist simpel. Man bietet jedem, was er haben möchte. »Rechte europäische Nationalisten werden mit einer Anti-EU-Botschaft verführt, die radikale Linke wird mit der Erzählung vom Kampf gegen die US-Hegemonie kooptiert, religiöse Konservative in den USA werden durch den Kampf des Kreml gegen Homosexualität überzeugt«, schreibt Peter Pomerantsev, der selbst für einen russischen Fernsehsender arbeitete, in seinem Buch »Nothing is true and everything is possible«. So entstehe durch Stimmen aus verschiedenen Richtungen eine »kumulative Echokammer« zur Unterstützung der russischen Politik.
Ein passenderes Symboltier als der Bär wäre für Wladimir Putin daher ein Chamäleon, aus dessen schillerndem Spektrum der Betrachter sich seine Lieblingsfarbe aussucht. Da vergisst der Nazi den Opa in Stalingrad und huldigt einem ehemaligen KGB-Agenten, während Linke übersehen müssen, dass die soziale Ungleichheit in Russland größer ist als in jedem westlichen Land und Putin in aller Öffentlichkeit mit rechtsextremen Gewalttätern wie den »Nachtwölfen« fraternisiert.
Den Rechten präsentiert Putin sich als starker Mann, der sich von niemandem etwas bieten lässt, für die Linken gibt er den vom Imperialismus Bedrohten, der in Notwehr handelt. Er identifiziert sich mit dem mittelalterlichen Herrscher Wladimir I., der das Christentum zur Staatsreligion machte, beruft sich aber auch auf das Erbe der atheistischen Sowjetunion. Die Schaffung von peitschenschwingenden Kosakeneinheiten und das Posieren mit Raubtieren bedienen die Liebe zum Archaischen. Für die intellektuellen Sympathisanten beruft sich unterdessen Putins Hofphilosoph Alexander Dugin auf die Postmoderne, die er gegen das »widernatürliche System« in Stellung bringen will.
Putins postmoderne Autokratie verbreitet Erzählungen, das geneigte Publikum bringt aber auch selbst entsprechend den eigenen Bedürfnissen neue hervor. Bei aller Vielfalt gibt es jedoch einen gemeinsamen Nenner, die Abscheu vor dem »widernatürlichen System«. Der Antiamerikanismus vereint rechte und linke Unterstützer Russlands, und er ist mehr denn je eine Chiffre mit einem allenfalls lockeren Bezug zur realen Innen- und Außenpolitik der USA.

Der rechte Antiamerikanismus kritisierte schon immer die Zersetzung traditioneller Verhältnisse durch Kommerzialisierung, Unterhaltungsindustrie und diverse Gruppen von Verschwörern. Die Identifizierung mit der antiliberalen Politik Putins ist hier konsequent, denn obwohl es in den USA nicht an Anhängern einer nationalistisch-christlichen Leitkultur und einer patriarchalen Familien- und Sexualpolitik fehlt, ist die Gefolgschaft nicht mehr zwingend. In Russland hingegen kämpfen Staatsgewalt, Propagandaapparat und von diesen ermunterte Rechtsextremisten vereint gegen Abweichungen von der patriarchalen Norm.
Auch die Vorstellung, Russland sei der beste Bündnispartner gegen den zersetzenden Liberalismus – derzeit mit den USA und der EU-Bürokratie identifiziert – hat eine lange Tradition in der europäischen Rechten. Putin repräsentiert die christliche Leitkultur des »dritten Rom«, aber auch die Idee ethnischer Hegemonie. Da der russische Präsident nicht dafür bekannt ist, Schwächere mit Großmut und Respekt zu behandeln, bleibt allerdings unklar, wie sich die europäischen Rechten das eurasische Bündnis vorstellen. Rechte bewundern militärische Stärke und Rücksichtslosigkeit, sofern sie sich gegen ihre Feinde richten, doch je näher sie den Grenzen Russlands sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, selbst als Feind ausgemacht zu werden. Solche Widersprüche sind dem Ethnonationalismus inhärent, umso bemerkenswerter ist, dass sich jenseits der Nachbarstaaten Russlands die extreme Rechte mit wenigen Ausnahmen auf die Seite Russlands geschlagen hat.
So wenig überraschend die Bewunderung der Konservativen und Rechtsextremisten für Putin ist, so erstaunlich erscheint auf den ersten Blick die Parteinahme vieler Linker. Der linke Putinismus verzichtet in der Regel auf eine offene Identifizierung mit dem russischen Präsidenten und verbreitet stattdessen eine eigene Erzählung: Auf den vom Westen initiierten »Putsch« in der Ukraine und die Bedrohung durch die Nato sowie ukrainische Faschisten habe Putin reagieren müssen, notwendig seien daher Zugeständnisse an Russland.
Über viele Fragen, etwa die Bedeutung der Nato-Osterweiterung und die Ziele der westlichen Regierungen in der Ukraine, ließe sich streiten. Unumstritten ist jedoch beispielsweise, dass Putin im April 2014 den Einsatz »unserer Truppen« auf der Krim vor dem Referendum eingeräumt, sich also faktisch zur militärischen Aggression bekannt hat. Angesichts dessen erfordert es große Glaubensbereitschaft, darauf zu beharren, dass der Einsatz russischer Truppen in der Ost­ukraine eine Erfindung westlicher Propaganda ist.
Wohl am deutlichsten wird die Parteinahme in der unterschiedlichen Bewertung des Rechtsex­tremismus in der Ukraine und Russland. Bereits Putin steht rechts von AfD und Pegida, erst recht gilt dies für zahlreiche seiner Verbündeten von Dugin über diverse Medienpropagandisten bis zu den »Nachtwölfen«. Auch wer sich angesichts der mageren Wahlergebnisse der ukrainischen Rechtsextremisten – deren Regierungsbeteiligung Russland vor dem Sturz Viktor Janukowitschs übrigens zugestimmt hatte – nicht beruhigt zurücklehnen mag, wird einräumen müssen, dass die extreme Rechte in Russland größeren Einfluss hat.
Unbequeme Fakten zu ignorieren, hat auch in der Linken eine lange Tradition. Stalinisten, aber auch viele andere Fraktionen der Linken wollten nie so genau wissen, dass etwa in der Sowjetunion Homosexualität eine Straftat darstellte. Es ist kein Zufall, dass Nationalbolschewisten und ehemalige Angehörige des realsozialistischen Milieus bei der Unterstützung Russlands an vorderster Front stehen. Ihnen gilt Putin als Verwalter des sowjetischen Erbes, obwohl offensichtlich ist, dass er sich allein auf den Status der UdSSR als Großmacht beruft, von deren ursprünglich antinationaler Tradition er aber ebenso wenig etwas wissen will wie von sozialer Gleichheit und Rätedemokratie. Handelt es sich hier nur um bedauerliche Ignoranz?
»Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, nu kopieren müssen?« geißelte Walter Ulbricht 1965 die »Monotonie des Je-Je-Je«. Zwar wandte sich der linke Antiamerikanismus gegen die Zersetzung einer imaginierten proletarischen Kultur, die im wirklichen Leben aber mit ihrer Betonung von Kleinfamilienidylle, Gehorsam und Arbeitsdisziplin dem Ideal der Rechten so fern nicht war. Feminismus und homosexuelle Emanzipation galten nicht nur Stalinisten lange als »bürgerliche« Verirrung, die meisten linken Gruppen öffneten sich solchen Ideen erst unter dem Druck der gesellschaftlichen Veränderungen und oftmals widerwillig.

Militarismus und Männlichkeitskult waren vielen Linken nicht fremd. Mit Che Guevara wurde ein starker Mann und Chauvi bewundert, der seinen kongolesischen Verbündeten vorwarf, »wie Weiber« zu kämpfen und sich mit größter Selbstverständlichkeit nicht um die von ihm gezeugten Kinder kümmerte. Doch Guevara war wenigstens noch ein romantischer Verlierer und wurde eben deshalb dem mächtigeren Fidel Castro als Identifikationsfigur vor- und Leonid Breschnew als solche gar nicht erst in Erwägung gezogen.
Denn was immer man gegen den damaligen Antiimperialismus sagen mag – es ist eine Menge –, irgendetwas mit Sozialismus sollten Bewegungen und Staaten, die man seinerzeit unterstützte, schon zu tun haben. Seit den achtziger Jahren war es überdies erforderlich, dass man ihnen auch zuerkennen konnte, für Frauenrechte einzutreten. Die Art und Weise, mit der »nationale Befreiungskämpfe« und »nichtkapitalistische Staaten« als fortschrittlich gedeutet wurden, war oftmals abenteuerlich, wenigstens aber gab es den Anspruch, Guevaras »Schafft zwei, drei, viele Vietnam« nicht als »Wer die Amis hasst, kann kein schlechter Mensch sein« zu deuten.
Die Parteinahme für Russland stellt daher einen Rückfall noch hinter den obskurantistischsten Antiimperialismus der Epoche des Kalten Krieges dar. Erstmals wird eine Großmacht unterstützt, der auch bei großzügigster Auslegung kein Vorzug im Hinblick auf Freiheit, Lebensstandard und sozialpolitische Ambitionen zugesprochen werden kann. Da eine Ablehnung der Politik von EU, USA und Nato auch anders zu haben wäre – durch Äquidistanz, revolutionären Defaitismus oder eine pragmatisch-reformistische Haltung, die für die Bevölkerung beider am Krieg beteiligten Lager politische Freiheit und soziale Standards fordert – drängt sich die Frage auf, warum Putin in Schutz genommen werden soll.
Die Vermutung liegt nahe, dass autoritäre Linke, die von den Emanzen schon immer genervt waren und nun auch noch mit Queer- und Transgedöns behelligt werden, eine gute Gelegenheit sehen, sich von den ihnen aufgezwungenen emanzipatorischen Grundsätzen zu verabschieden. Dass immer mehr in Vergessenheit gerät, was es eigentlich mit diesem rätselhaften Sozialismus auf sich hat, dürfte auch eine Rolle spielen. Bereits mit Hugo Chávez’ »Sozialismus des 21.Jahrhunderts« wurde ja ein autoritär-patriarchaler Sozialstaat bewundert, der allerdings wenigstens noch Erfolge in der Armutsbekämpfung vorweisen konnte. Bei Putin muss man sich damit begnügen, dass immer mal wieder ein Oli­garch hinter Gittern oder auf dem Friedhof landet. Die Schadenfreude entschädigt vielleicht für den Verlust der Hoffnung auf soziale Befreiung.

Am deutlichsten wird die autoritäre Haltung in der Abneigung gegen Aufstände, die bereits bei den arabischen Revolten geäußert wurde und mit voller Härte dann den Maidan traf. »Angesichts der (vor den Umstürzen absehbaren) ukrainischen und ägyptischen Desaster spricht vieles dafür, dass sich die Staaten mit nicht-tödlicher Gewalt hätten behaupten müssen – wenn es in ihrer Macht gestanden hätte«, sinniert etwa Tobias Riegel im Neuen Deutschland. Das trotzkistische Internationale Komitee der Vierten Internationale spricht von »gekauften ›Demokratie‹-Aktivisten und faschistischen Schlägern« auf dem Maidan. Es ist nicht meine Revolution, wenn ich nicht kommandieren darf. »Wer Chaos sät, ohne dass eine stramme linke Organisation ins Machtvakuum stößt, befördert das Recht des Stärkeren«, mahnt Riegel und meint natürlich nicht Putin.
Bürgerrechte und Demokratie gelten als nebensächlich, so kann die Entscheidung über außenpolitische Bündnisse der ukrainischen Bevölkerung entzogen und angeblichen geopolitischen Notwendigkeiten untergeordnet werden. »Man hätte von vornherein sagen müssen, die Ukraine kann auch eine Brücke sein zwischen der EU und Russland«, meint Gregor Gysi. Dass sich Linken eine gute Gelegenheit für die endgültige Anpassung an kapitalistische Verhältnisse bietet, wenn Sahra Wagenknecht »die Ablehnung von Sanktionen durch deutsche Unternehmen nachvollziehen« kann, ist wohl ebenso ein erwünschter Nebeneffekt wie die Annäherung an das ebenfalls putinistische AfD-Milieu.
Im linken Putinismus erreicht die Entwicklung von Stalinismus und linker Reaktion ihr letztes Verfallsstadium. Die Schuld dafür liegt nicht bei Putin, dessen Pose leicht durchschaubar und dessen Interesse vorrangig die Anbindung der wesentlich einflussreicheren Rechten ist. Vielmehr sind es die linken Putinisten selbst, die sich der letzten Bezüge auf den Sozialismus und die gesellschaftliche Emanzipation entledigen wollen.