»Kamelwolle und Hightech. Starke Frauen in Israel« von Daniela Segenreich

Hat hier jemand eine Putzfrau gesehen?

Daniela Segenreich porträtiert faszinierende Frauen in Israel. Entscheidende Fragen aber bleiben unbeantwortet.

Starke Frauen in Israel – wer würde nicht gern mehr über sie erfahren? Und welche fällt uns spontan ein? Golda Meir, Tzipi Livni, aber dann? Esther Ofarim wirkt als starke Frau nicht überzeugend, kurzum, schön, ein paar mehr kennenzulernen. Ehe es losgeht mit den Porträts der starken Frauen, muss sich die geneigte Leserin allerdings durch zwei Vorworte durchfressen, beide verfasst von Personen, über die das Buch zumindest nicht verrät, was sie dafür qualifiziert.
Danielle Spera (Google sei Dank lässt sich in Erfahrung bringen, dass sie das Jüdische Museum in Wien leitet) erzählt, dass Frauen in Israel seit der Staatsgründung schon immer wichtige Rollen gespielt haben, zum Beispiel Golda Meir, auch als »der einzige Mann in der Regierung« bezeichnet – Spera scheint diese sexistische Beleidigung als überaus witziges Kompliment aufzufassen. Der zweite Vorwortschreiber, Ben Segenreich, ist als Gatte der Autorin sicher absolut der Richtige, das Buch zu loben, und so bezeichnet er seine Frau als die perfekte Autorin für das Thema. Anders als Spera lässt er indes an Golda Meir kein gutes Haar. Beide schreiben gern von »die Frau«, als ob alle Debatten der vergangenen 40 Jahre über diesen vereinnahmenden Sprachgebrauch an ihnen vorbeigegangen wären, und auch Herr Segenreich hat einen kleinen Hang zu sexistischen Späßchen. In Kibbuzim arbeiten Frauen, die bei der Arbeit Shorts tagen, das findet er zum Beispiel »sexy und maskulin«. Dass es in Deutschland schon seit längerem keine Wehrpflicht mehr gibt, hat er nicht mitbekommen, was hoffen lässt, dass er besser informiert ist, wenn es um Israel geht, aber eigentlich ist das auch egal, denn wir wollen ja lesen, was Frau Segenreich erzählt.
Und die stellt uns wirklich faszinierende Frauen vor. Es beginnt mit Chaja, einer »Kibbuznikit«, die früher einmal Liselotte hieß und aus Wien stammt. Ihr gelang mit einem Kindertransport noch rechtzeitig die Ausreise aus Österreich, sie arbeitete also in einem Kibbuz und lebt noch heute dort. Als nächste kommt Ruth Dayan zu Wort, seit vielen Jahren Chefin eines großen Modehauses, das noch heute vielen Frauen die dringend benötigten Arbeitsplätze zur Verfügung stellt. Sie wird bezeichnet als die »erste Frau« von Moshe Dayan, dem legendären General und Außenminister, wir hören viel über ihre Arbeit, aber auch über ihre Romanze mit Moshe, wie verliebt er war und welche Bücher er seiner Angebeteten vorlas. Aber wenn da steht, »erste Frau«, dann muss die schöne Romanze doch irgendwann geendet sein? Immerhin erfahren wir in diesem Kapitel, was der Unterschied zwischen Kibbuz und Moschaw ist: Im Gegensatz zum Kibbuz gibt es im Moschaw Privateigentum und Eltern und Kinder wohnen zusammen.
Wir lesen dann über Rivka, Universitätsdozentin, die als orthodoxe Jüdin ihre Haare nicht zeigen darf und deshalb für ihre Kopftücher berühmt ist. Sie betrachtet sich als Feministin, ihr Mann, den sie als »noch feministischer« bezeichnet als sich selbst, kann Hüte nicht leiden, deshalb trägt sie nie einen, sondern lieber das Kopftuch, auch wenn ihr darunter bisweilen glühendheiß ist. Ihre Tochter wird ihre Bat Mitzwa in einer »feministisch-orthodoxen« Synagoge feiern, heißt es, und an solchen Stellen wünschen wir uns eine kritische Frage der Interviewerin und eine Erklärung: feministisch-orthodox, wie geht das vor sich?
Auf die kopftuchtragende Rivka folgt die hi­jab­tragende Hanan, Archäologiestudentin und Karatemeisterin, die versucht, ihre Identitäten als arabische Israelin (oder wie auch immer man das definieren kann, was ihr selbst auch schwerfällt) miteinander zu verbinden. Anders als Rivka hat sie allerdings mit Feminismus, egal welcher Art, nichts im Sinn, sie wünscht sich einen Mann, »zu dem ich aufschauen kann, der mehr weiß und darstellt als ich«. So einer wird schwer zu finden sein, meint die Autorin Daniela Segenreich, und sicher hat sie recht, aber abermals wünscht sich die Leserin eine kritische Frage und nicht nur Bewunderung für die tolle starke Frau, die hier gerade interviewt wurde.
Wir lernen als nächstes Doris kennen, eine christliche Araberin, die mit ihrem Konzept, bei sich zu Hause Touristengruppen zu empfangen, Erfolg hat und neue Maßstäbe setzt, und nach ihr Sofi, erfolgreiche Sängerin und ehemalige Samaritanerin. Die Samaritaner definieren sich als die Bewahrer des ursprünglichen Judentums und bringen zum Beispiel noch heute Tieropfer dar. Sofi allerdings mochte die strengen Regeln nicht mehr auf sich nehmen und wurde abtrünnig, hat sich später aber mit ihrer Familie wieder ausgesöhnt. Nach Sofi wird uns Khadra vorgestellt, eine Beduinin, die eine Weberei aufgemacht hat und für beduinische Frauen damit ganz neue Möglichkeiten eröffnet, sich von der männlichen Vorherrschaft zu befreien und ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Auf Khadra folgt die mehrfach geschiedene erfolgreiche Malerin Danielle, und so geht es weiter. Jedes Kapitel, jede Frau in diesem Buch erzählt eine Erfolgsgeschichte, und sogar M., anonymer weiblicher Flüchtling aus Eritrea und bislang ohne irgendwelche Aussichten in einem Flüchtlingslager interniert, will, wenn sie erst eine Aufenthaltsgenehmigung und Bewegungsfreiheit hat, Karriere als Journalistin machen.
Eigentlich wird beim Lesen sehr bald klar, dass für die Autorin stark und erfolgreich Synonyme sind, aber die Leserin fragt sich ebenso bald: Gibt es in Israel gar keine Verkäuferinnen, Putzfrauen, Busfahrerinnen? Wir lesen über eine Frau, die mit Taubblinden Theaterprojekte macht, aber vielleicht wäre es auch sinnvoll gewesen, eine taubblinde Schauspielerin zu Wort kommen zu lassen. Und alle Frauen in diesem Buch sind religiös, ob nun jüdisch, samaritanisch, drusisch, muslimisch, christlich … gibt es also in Israel keine Atheistinnen? Und noch eine Frage: Alle hier porträtierten Frauen haben oder hatten Beziehungen zu Männern, gibt es denn keine Lesben in Israel? Diese Frage scheint sich zu beantworten, als im Kapitel »Unter dem Regenbogen« zunächst ein Besuch in einer schwullesbischen Bar geschildert wird. Doch dann wird Gil Naveh interviewt, ein in Israel bekannter Dragkünstler, der gern als die Diva Gallina Port Des Bras auftritt. Zweifellos ein verdienstvoller Mann, aber in einem Buch über starke Frauen doch irgendwie eine Fehlbesetzung. Immerhin, eine Putzfrau wird erwähnt, Tsega, äthiopische Jüdin und Gründerin einer erfolgreichen Kaffeerösterei, wird auf dem Weg ins Büro immer wieder von Frauen angesprochen, die verzweifelt eine Putzfrau suchen …
Daniela Segenreich hat ein interessantes Buch geschrieben, leicht lesbar, voller Informationen, spannend und unterhaltsam und letztlich doch unbefriedigend – weil immer Fragen nicht gestellt werden, alles so nett an der Oberfläche plätschert und eben, wie gesagt, die Putzfrauen fehlen. Dazu wäre ein aktives Lektorat wünschenswert gewesen, das Widersprüche behoben, oder, wenn die Autorinnen und Autoren darauf bestanden hätten, die Widersprüche erklärt hätte. So behauptet Vorwortschreiberin Spera, seit 1980 seien in der israelischen Armee alle Funktionen nach und nach für Frauen geöffnet worden. Armeepilotin Limor dagegen berichtet, dass inzwischen 90 Prozent der Posten, die es in der Armee gibt, für Frauen zugänglich sind – also was nun? Und was sind denn die zehn Prozent, die für Frauen nicht zugänglich sind?

Daniela Segenreich: Zwischen Kamelwolle und Hightech. Starke Frauen in Israel. Styria-Verlag, 2014, 173 Seiten, 22, 99 Euro