Über »Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen. Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land«

Koscherer Merlot

In dem Sammelband »Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen« schreiben israelische und deutsche Autoren über das jeweils andere Land.

Es begann mit einem Fußballspiel: 2008 reiste der Journalist und Schriftsteller Norbert Kron als Mitglied der deutschen Autorennationalmannschaft nach Tel Aviv, spielte dort mit seinem Team gegen eine Auswahl israelischer Autoren und verbrachte ein paar Tage in der Stadt. »Anfangs bin ich dort mit schweren Schuldgefühlen und Verklemmungen herumgerannt«, erzählt er. »Wenn mich zum Beispiel ein Taxifahrer gefragt hat, wo ich herkomme, war ich bei der Antwort sehr verunsichert. Aber dann war das alles weniger problematisch, als ich befürchtet hatte. Die deutsche Geschichte stand bei meinen vielen Begegnungen zwar im Raum, war aber nie das erste Thema. Es ging eher um Popmusik und Fußball.« Seitdem reist er, wie viele andere Deutsche, regelmäßig nach Tel Aviv. Unter jungen Israelis wiederum gibt es seit Jahren ein großes Interesse an Berlin, etwa 20 000 Israelis leben in der deutschen Hauptstadt.
Diese durchaus erstaunliche Annäherung haben Norbert Kron und sein israelischer Kollege Amichai Shalev, die sich damals beim Fußball kennenlernten, zum Ausgangspunkt ihres Sammelbandes »Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen« gemacht. Darin schreiben israelische und deutsche Autoren über das jeweils andere Land. Die meisten von ihnen gehören zur sogenannten dritten Generation beider Länder. Zu jener Generation also, die nicht aus Kindern von Tätern und Opfern des Holocaust besteht und sich auch deshalb auf andere Weise begegnet als ihre Eltern und Großeltern. Das Buch erscheint zeitgleich in Deutschland und Israel.
Nun könnte man befürchten, dass es ganz viel Hauptstadt-Hype und Party-Anekdoten vom Mittelmeer zu lesen gibt, aber dem ist nicht so. Die oft autobiographisch geprägten Geschichten handeln häufig von persönlichen Begegnungen, an denen sich trotz aller vermeintlichen Lockerheit das besondere Verhältnis zwischen Israelis und Deutschen zeigt. Manchmal scheitern die Beziehungen, und dabei geht es bisweilen komisch zu. So erzählt die in Tel Aviv lebende Deutsche Sarah Stricker unter dem Titel »Der neue Deutsche« brillant von der Romanze zwischen einer Israelin und einem deutschen Touristen. Sie lernen sich am Strand kennen, er schenkt ihren Eltern koscheren Merlot, leitet sämtliche Marotten der Familie direkt aus dem Holocaust ab und muss dann, kurz bevor es endlich zur Vereinigung von Mann und Frau kommen soll, doch noch etwas loswerden: » … es sei ihm aber auf jeden Fall ein Anliegen, auch die Menschenrechtsverletzungen in den Siedlungsgebieten anzusprechen, nein, seine Pflicht sei es, auch als Deutscher, gerade als Deutscher, denn: Wer, wenn nicht wir, weiß, wie schnell man den schleimigen Pfad des Faschismus ins Verderben rutscht. ›You cannot repeat our mistakes!‹, rief er und reckte den Arm in die Luft.« Das ist schon ziemlich gut getroffen, solche Leute gibt es ja leider.
Lesenswert sind auch einige der Beiträge, in denen Israelis ihre ersten Eindrücke von Berlin schildern. Sarah Blau ist hinreißend unbeeindruckt (»Berlin ist nett«) und wundert sich über die Disziplin der Besucher ihrer Lesung, die keinen Mucks von sich geben: »Zurück in Israel werde ich nicht mehr aufhören, von diesem intensiven, beinahe unmenschlichen Zuhören zu reden.« Amichai Shalev analysiert bei seinem Besuch den Klang der deutschen Sprache: »Nichts Zartes. Keine Liebe« und entdeckt die auffällige Abwesenheit des Wortes »Nazi«. Originell und schön erzählt ist Jochen Schmidts wunderbare Geschichte »Briefmarken aus Israel«, in der er von der Brieffreundschaft mit einem Israeli berichtet, die seine Familie zu DDR-Zeiten pflegte.
Aber wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Einige Beiträge haben einen politisch unangenehmen Beigeschmack, manchmal nur in einem Nebensatz verpackt. Eva Menasse, die als Österreicherin gar nicht so recht in das Buchkonzept passt, lässt sich zu dem Satz hinreißen: »Ich kann das Damals – Schoah – und das Heute – Israel und Palästina nicht wegstecken wie andere Verbrechen der Geschichte.« Als wären der Mord an sechs Millionen Juden und der Nahostkonflikt irgendwie vergleichbar. Auch nicht gut: Moritz Rinke recycled Teile seines 2007 im Tagesspiegel erschienenen Textes »Der Palästina Blues«, in dem es vor brutalen Israelis und unterdrückten Palästinensern nur so wimmelte und in dem er empfahl, »differenzierter über Terrorismus nachzudenken«. Letztere Passage fehlt in der neuen Variante, das macht diese aber nicht viel besser. Der empfindsame deutsche Künstler leidet immer noch sehr unter dem Nahostkonflikt, kennt die Schuldigen recht genau und träumt von seiner ganz persönlichen Friedensmission. Das hat dort gerade noch gefehlt.
Über all dies wird sich trefflich diskutieren lassen: Die Herausgeber belassen es nicht bei der Buchveröffentlichung, sondern stellen die Texte öffentlich zur Debatte. Auf der Buchmesse in Jerusalem gab es bereits eine gut besuchte Veranstaltung, weitere Lesungen und Symposien folgen in beiden Ländern, zum Beispiel am 12. und 13. April im Jüdischen Museum in Berlin. Und abends wird getanzt.

Norbert Kron und Amichai Shalev (Hg.): Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen. Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land. S. Fischer, 2015, 320 Seiten, 19,99 Euro