Vince Ebert im Gespräch über die Wissenschaftsfeindlichkeit der Deutschen

»Wir glauben einfach«

Der Diplom-Physiker und Kabarettist Vince Ebert sprach mit der Jungle World über »Informationswasser«, die Verklärung der Natur und das Imageproblem der Wissenschaft in Deutschland.

Sie sind Wissenschaftskabarettist. Begreifen Sie sich als Aufklärer?
Aufklärer ist ein großes Wort (lacht). Ein bisschen schon. Es ist jedenfalls mein Anspruch, Menschen über das Thema Wissenschaft zu informieren. Und zwar nicht nur über bestimmte Fakten, sondern auch darüber, was Wissenschaft im Kern ist: eine Methode, selbstständig zu denken. Skeptisch zu sein, Hypothesen zu überprüfen und nicht alles blind zu glauben, nur weil es gerade so schön ins eigene Weltbild passt.
Die sogenannte Impfdebatte hat gezeigt, wie gesellschaftsfähig Wissenschaftsfeindlichkeit in Deutschland geworden ist. Warum hat die Schulmedizin einen so schlechten Ruf?
Ich kann nur mutmaßen. Es geht uns allen gesundheitlich unfassbar gut. Wir werden zum Glück nicht mehr in unserem Alltag damit konfrontiert, an relativ simplen Dingen wie Cholera oder der Pest zu sterben. Vor 130 Jahren hat jedes vierte Neugeborene in Europa die ersten Monate nicht überlebt. Um 1900 war Tuberkulose die häufigste Todesursache. Dann kam Lungenentzündung, gefolgt von Durchfall. Wir alle sind Nutznießer von lebensrettenden Maßnahmen, die im vorigen Jahrhundert entwickelt wurden: sauberes Wasser, Impfungen, Insulin, Hormone, schmerzstillende Mittel. Dadurch hat sich die Lebenserwartung in kürzester Zeit fast verdoppelt. Bedauerlicherweise vergessen das viele Leute ziemlich schnell und sehen unseren derzeitigen Gesundheitsstatus als vollkommen selbstverständlich an.
Aber es ist heute schick, auf die böse Pharmaindustrie zu schimpfen.
Ja, solange den Leuten nichts Schlimmes zustößt. Nach einem Verkehrsunfall oder bei einer Niereninsuffizienz soll dann aber bitteschön alles vom Feinsten sein! Ein OP mit Klimaanlage, Bakterienschleuse und vorab natürlich ein Kernspin. Meine Nachbarin, die gerne auf die böse Schulmedizin schimpft, wurde voriges Jahr von einer Zecke gebissen und mit Borreliose angesteckt. Vor ein paar Jahrzehnten wäre sie damit auf dem sicheren Weg in den Rollstuhl gewesen. Inzwischen ist sie sehr froh, dass die rücksichtlose Pharma­lobby so etwas Geniales wie Antibiotika hergestellt hat.
Hat die Wissenschaft nur in Deutschland ein solches Imageproblem?
Nicht nur, aber wir Deutschen sind in puncto Technik- und Wissenschaftsfeindlichkeit schon Marktführer. Wir fürchten uns vor Fracking, vor Gentechnik, vor Stammzellenforschung, Elektrosmog und Pestiziden. So eine Stimmung vor 500 000 Jahren und die Sache mit dem Feuer wäre bei uns nie genehmigt worden.
Warum ist die »Schulmedizin« gerade für viele Menschen quasi zum Feindbild geworden?
Wir Deutschen haben – neben unserem Drang zum Tüfteln, Erfinden und Entwickeln – auch die Romantik in uns. Bei einigen führt sie leider dazu, die Natur völlig zu verklären. Die Vorstellung, im Einklang mit ihr zu leben, ist für viele eine fixe Idee geworden. Paradoxerweise genau von denen, die in Großstädten in kernsanierten Altbauwohnungen leben und gerne auch mal mit dem Porsche Cayenne zum Bio-Bauern fahren. Vielleicht ist es ja auch ein gewisser Selbsthass gepaart mit einem schlechten Gewissen, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen Menschen auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Wissenschaftsfeindliche Ignoranz kommt oft als »gesunde Skepsis« daher und wird sogar mit pseudowissenschaftlichen Argumenten verteidigt. Was bewegt vernünftige Menschen dazu, vor den Fakten zu fliehen?
Wir Menschen haben die natürlich Tendenz, uns in die eigene Tasche zu lügen. Und zwar relativ unabhängig von Bildung und Intelligenz. Hochintelligente Menschen sind problemlos in der Lage, den absurdesten Blödsinn zu glauben. Bei den meisten unserer Überzeugungen pfeifen wir auf Fakten, wir glauben einfach. Und wir glauben vornehmlich das, was sich gut anfühlt. Wäre es nicht schön, wenn sich mit billigen Zuckerkügelchen Krankheiten heilen ließen? Deshalb fallen wir auf jeden Quatsch rein, der zu gut ist, um wahr zu sein.
Welche wissenschaftlichen Wahrheiten werden in Deutschland am meisten angezweifelt?
Tendenziell alles, was von der Großindustrie kommt. Denn die wollen ja nur Geld machen. Andererseits glauben im Gegenzug viele Menschen ungefragt und ohne irgendeinen Einwand alles, sofern es nur von PETA, Friends of the Earth oder dem BUND kommt. Als ob diese Organisationen keine Interessen hätten. Ich bin mir sicher, wenn Greenpeace morgen verkünden würde: »Die Erde ist eine Scheibe!« würden einige nicht mehr zur Arbeit fahren, aus Angst, hinter der Stadtgrenze über die Kante zu rutschen.
Welche sind die verrücktesten Überzeugungen, mit denen Sie konfrontiert werden?
Im Kern ist fast jede pseudowissenschaftliche Heilmethode total durchgeknallt. Mein Lieblingsbeispiel ist tatsächlich die Homöopathie: In Belladonna D30 etwa wird die Ausgangssubstanz durch ein Lösungsmittel wie Alkohol oder Milchzucker 30mal hintereinander verdünnt. Und zwar nicht durch Rühren, sondern durch Schütteln. Ab der 24. Verdünnungsstufe ist dann nachweislich kein einziges Belladonna-Molekül mehr in der Lösung, aber es soll angeblich trotzdem wirken. Die Homöopathen erklären das Phänomen folgendermaßen: Durch das ständige Schütteln wird die Information des Belladonna-Moleküls mit Hilfe einer »geistartigen Kraft« auf das Lösungsmittel übertragen. Und weil das Lösungsmittel ein Gedächtnis hat, speichert es die Information und erinnert sich auch nach mehreren Monaten noch dran. Das ist so ähnlich, wie wenn ich in Stuttgart einen Autoschlüssel in den Neckar werfe und dann in Heilbronn versuche, mit dem Neckarwasser das Fahrzeug zu starten. Faszinierend, oder? Es gibt Menschen, die sitzen in geschlossenen Psychiatrien für weit weniger.
Anhänger der Alternativmedizin argumentieren, es stehe ja jedem frei, Zuckerkügelchen statt Antibiotika einzuwerfen. Wie klärt man diese Menschen darüber auf, dass keine freie Entscheidung auf Ignoranz basieren kann?
Das ist in der Tat schwierig, wenn nicht sogar unmöglich. Viele Menschen wollen ja gar nicht aufgeklärt werden. Sie fühlen sich in ihren Weltbildern vollkommen wohl. In der Impfdebatte ist das extrem heikel. Eine Impfpflicht für Masern, Mumps und Röteln wäre da zwar eine Lösung, dennoch habe ich als klassisch liberaler Mensch mit solch gesetzlichen Holzhammermethoden durchaus Bauchschmerzen.