Der neue Roman von Sibylle Berg

Die Traurigkeit der Doppelverdiener

In ihrem neuen Roman »Der Tag, als meine Frau einen Mann fand« hat es Sibylle Berg auf das Selbstmitleid von linksliberalen Kulturliebhabern in der Midlife-Crisis abgesehen.

Es ist ein Elend. Chloe und Rasmus sind seit 20 Jahren verheiratet. Rasmus ist ein mittelmäßig erfolgreicher Theaterregisseur mit einem Traum: Deutsche Lyrik soll sich heilsam auf die Bevölkerung der Dritten Welt auswirken. Zwar äußert er sich gern abwertend über Frauen, die bloß »Arte-Sendungen schauen und Stuss reden«, während die Männer echte Arbeit erledigen. Aber er ist stolz darauf, das Binnen-I immer mitzudenken. Chloe ist »esoterisch und belesen« und jobbt ohne Begeisterung in einem Antiquariat, um sich nicht bloß als die Frau des Regisseurs fühlen zu müssen, obwohl sie genau das ist. Seinen Traum findet sie albern, unterstützt ihren Mann trotzdem tatkräftig.
In kurzen inneren Monologen schildern Chloe und Rasmus immer abwechselnd die Durchschnittlichkeit und Trostlosigkeit ihres Daseins, die Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit, vor dem Alter und davor, nicht mehr begehrenswert zu sein. Bei Sibylle Berg artet das zu einem einzigen großen, selbstgerechten Gejammer der Protagonisten aus. Die Ängste und Verzweiflung von Chloe und Rasmus wecken kein Verständnis, sie werden als mit bildungsbürgerlichem Geschwafel durchzogenes Selbstmitleid vorgeführt.
Rasmus zitiert zum Beispiel gerne Gedichte – Huchel, Lentz und selbstverständlich Grass – und klagt im gleichen Atemzug, dass er sich nur von den Teenagern auf Youporn verstanden fühlt. Die Verlogenheit seines Lebensentwurfes ahnt er zwar und blickt mit ironischer Distanz auf sich und sein Elend – er reflektiert es aber nicht wirklich. Was schief läuft, wird auf die Gesellschaft geschoben. Schlüsse zieht er daraus keine, und so reagiert Rasmus mit Resigna­tion und der Abwertung anderer.
Besonders originell ist das alles nicht und stellenweise nervt die ständige Wiederholung der Klagen über den körperlichen Verfall und die Dummheit der anderen im immergleichen Tonfall. Aber Sibylle Berg schafft es, damit ein ziemlich deutliches und entlarvendes Bild jenes Milieus zu zeichnen, dessen Eigenschaften Rasmus zusammenfasst: »linksliberal, künst­lerisch interessiert, impotent, zehn Jahre verheiratet, ein bis zwei Kinder, Eigentumswohnung, amerika- und israelkritisch, antikapitalistische Doppelverdiener«.
Einen Nazi haben Chloe und Rasmus nach eigener Auskunft noch nie gesehen, aber mit ihren eigenen Vorurteilen und Ressentiments sowie der als Menschenfreundlichkeit getarnten Herablassung »einfühlender Sozialdemokraten« halten sie nicht hinterm Berg. Vor allem Rasmus nicht, dessen Kulturprojekt irgendwo in der Dritten Welt – ein Land wird nicht genannt, was eigentlich auch egal ist, denn Rasmus scheint davon überzeugt zu sein, dass alles außerhalb Europas ohnehin verloren ist – vor ­allem der Selbstversicherung dient. Der eigenen Erbärmlichkeit soll beigekommen werden, ­indem man den Ahnungs- und Mittellosen ein bisschen Kultur bringt. Als Rasmus feststellen muss, dass die Projektteilnehmer kein besonders großes Interesse an deutscher Befindlichkeitslyrik zeigen, kann er das nur auf deren Dummheit schieben. »Hier laufen die weißen Menschen zu einem Brei der Geschmacklosigkeit zusammen«, denkt Chloe. Sie und Rasmus stecken mitten in diesem Brei.
Nach dem Scheitern seines Versuchs, die ungebildeten Armen, die deutsche Poesie und vor allem sich selbst zu retten, wartet auf Rasmus schon der nächste Schock: Chloe zieht aus dem gemeinsamen Hotelzimmer aus. Er ist also gekommen, »der Tag, als meine Frau einen Mann fand«. Chloe und Rasmus wollen verzweifelt noch einmal jung sein, wobei die Würde auf der Strecke bleibt.
An einem Abend verirren sie sich in einen schmutzigen Massagesalon, rauchen Opium und der Sexarbeiter Benny bringt Chloe zum Orgasmus. Die Hoffnung, dass sie in ihrem Leben noch mal einen Orgasmus haben würde, den sie nicht selbst erzeugt, hatte sie schon aufgegeben. Benny wird für sie zur Sehnsuchts­figur, verkörpert genau das, was in ihrer Beziehung zu Rasmus nicht vorhanden ist: Sex, der mehr ist als eine routinierte, unbefriedigende Pflichtübung, die eben dazugehört, wenn man ein Paar ist. Die Beziehung der beiden ist eine Zweckbeziehung, die aufrechterhalten wird, weil es ihnen zu anstrengend wäre, noch einmal neu anzufangen, und die Angst vor der Einsamkeit zu groß ist. Ihnen gefällt die Vertrautheit und die Sicherheit, aber sie interessieren sich nicht wirklich füreinander. Die sexuelle Trostlosigkeit scheint Rasmus nicht weiter zu stören, Chloe schon eher: »Ab und zu, wenn ich betrunken bin, werde ich ein wenig unglücklich, dem Umstand geschuldet, dass ich meine sexuell aktivsten Jahre mit einem Dildo verbringe.«
Ist also Monogamie das Problem? Die Vorstellung, dass einem nur die Wahl bleibt zwischen Sex mit dem Ehemann und dem Dildo? Chloe will es wissen, nimmt Benny mit zurück nach Hause, wo er in die gemeinsame Wohnung von Chloe und Rasmus einzieht. Rasmus beschließt, die »fleischgewordene Midlifecrisis« seiner Frau auszusitzen. Er merkt, dass er es gar nicht so schlimm findet, mit dem Geliebten seiner Frau am Tisch zu sitzen, und berauscht sich an dem Gefühl, wahnsinnig tolerant zu sein. Kurz zweifelt er am Konzept der Ehe, dem »Einander-Gehören«, weil es auszuschließen scheint, dass man außerhalb ein bisschen Spaß hat. Doch sobald Chloe das Interesse an Bennys Körper verliert und ein wenig Zeit vergangen ist, ist alles fast wieder beim Alten.
Letztlich bleibt die Lust für Chloe ein Unfall, ein kurzzeitiger Kontrollverlust, den es zu bereuen gilt. Sie bezeichnet zwar Sex als die einzige Möglichkeit, den trostlosen Lebensentwürfen ihres Milieus zu entkommen: »Die einzige Hoffnung auf Veränderung kommt aus dem Genitalbereich.« Aber der Ausbruch funktioniert nur für begrenzte Zeit und niemals vollständig: Chloe kann sich weder wirklich fallenlassen, ständig sucht sie nach rationalen Erklärungen für ihr Verhalten – es müssen wohl die Hormone sein –, noch ist sie fähig, in Benny mehr als ein Sexobjekt zu sehen, das am besten den Mund halten sollte.
Sex und Liebe werden in Bergs Roman als sich quasi ausschließende Beziehungen dargestellt. Beides voneinander getrennt zu leben, schaffen Chloe und Rasmus dennoch nicht, zu sehr sitzt die Monogamie in den Köpfen. Von Liebe ist ohnehin nicht viel zu merken. Chloe kommt für sich zu dem Schluss, dass Beziehungen wahrscheinlich generell keine gute Idee sind, da sie nur dazu führen, die Probleme anderer zu den eigenen zu machen, anstatt Bücher zu lesen und Fremdsprachen zu lernen. Am Ende sitzt sie aber doch wieder mit Rasmus in der Wohnung und hofft, dass alles so weitergeht, ohne jede Aufregung.
Was bleibt übrig von diesem Roman? Die Ahnung, dass die Unfähigkeit, gelingende Beziehungen zu führen, weit verbreitet sein dürfte, dass der weiterhin vorherrschende Standard der Monogamie dabei nicht hilfreich ist und dass die meisten Menschen selbstgerecht sind. Eigentlich auch nichts Neues. Aber immerhin sehr viel besser als einer dieser Romane von alternden männlichen Befindlichkeitsschriftstellern, die in Rasmus wahrscheinlich eine angemessene Verkörperung finden würden.

Sibylle Berg: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand. Carl-Hanser-Verlag, München 2015, 256 Seiten, 19,90 Euro