Ein Friedensabkommen in Mali ist gescheitert

Entwaffnung ist geschäftsschädigend

Die Bemühungen, den Konflikt in Nordmali durch ein Friedensabkommen zu beenden, sind vorläufig gescheitert.

Die Ermittlungen waren als schwierig bezeichnet worden, doch nach einer knappen Woche konnten die Fahnder in Mali einen Erfolg vermelden. Es gelang ihnen jedoch nicht, den von ihnen ausfindig gemachten Verdächtigten, der sich bewaffnet widersetzt hatte, lebend festzunehmen. Am Freitag vergangener Woche wurde gemeldet, einer von ingesamt zehn Männern, die verdächtigt werden, sieben Tage zuvor einen Franzosen, einen Belgier und drei malische Staatsbürger bei einem Attentat getötet zu haben, sei in der Hauptstadt Bamako von der Polizei erschossen worden.
Zum ersten Mal seit Ausbruch der Staatskrise in Mali im Jahr 2012, die zur mehrmonatigen Abspaltung des Nordens unter Kontrolle von Tuareg-Separatisten und Jihadisten und im darauffolgenden Jahr zur französischen Militärintervention geführt hatte, wurden Europäer in Mali jenseits militärischer Kampfhandlungen getötet. Die Attentäter griffen in der Nacht vom 7. zum 8. März in Bamako das Restaurant La Terrasse mit Handgranaten und Gewehrschüssen an. Der getötete belgische Staatsbürger war Sicherheitsoffizier bei der EU-Mission, die die militärische Ausbildung malischer Soldaten übernommen hat, der Franzose Fabien Guyomard war im Im­mo­bi­liensektor tätig. Unter den Verletzten befinden sich auch zwei Minenräumexperten der UN-Truppe für Mali (Minusma).
Bei dem getöteten Tatverdächtigen soll es sich um einen mutmaßlich 1993 geborenen »hellhäutigen« Malier – also einen Tuareg oder Berber – aus Bourem im Norden des Landes handeln. War er tatsächlich einer der Attentäter, so hat die hinter dem Anschlag stehende Organi­sation auch einheimische Kämpfer rekrutieren können, zumindest unter den Nordmaliern. Denn zu dem Attentat bekannt hat sich eine Gruppe, deren harter Kern vorwiegend aus algerischen Staatsbürgern besteht: al-Mourabitoun, benannt nach der früheren arabischen Dynastie der Almoraviden. Die von Mokh­tar Belmokhtar geführte Gruppe gab an, ihren »im Westen beleidigten Propheten«, aber auch ihren militärischen Anführer Abderrahmane Ould al-Amar alias Ahmed al-Tilemsi gerächt zu haben. Dieser wurde am 11. Dezember von der französischen Armee in Nordmali getötet.

Seit Monaten verstärken die Jihadisten ihre Aktivitäten im Norden Malis. Auf ihr Konto gehen viele der dort verübten militärischen oder terroristischen Attacken, auch wenn die Tuareg-Rebellen ebenfalls Angriffe verüben. Zuletzt wurde am vorvergangenen Sonntag eine Basis der Minusma in Kidal, einer Stadt im Nordosten Malis, die faktisch von den Tuareg-Separatisten kontrolliert wird, mit Raketenwerfen angegriffen. Dabei kamen zwei Kinder und ein Blauhelmsoldat ums Leben.
Ab dem 1. September vorigen Jahres liefen unterdessen in Algier Verhandlungen, an denen 40 Delegierte teilnahmen, die auf der einen Seite die malische Staatsmacht sowie »Organisationen der Zivilgesellschaft« (Zusammenschlüsse von NGOs und Sozialinitiativen) repräsentierten und auf der anderen Seite die Mehrzahl der bewaffneten Gruppen. Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (Aqmi) und deren Abspaltungen wie Muwaqiun bi-l Dam (Die mit Blut Unterzeichnenden) und al-Mourabitoun waren zwar bei den Verhandlungen nicht dabei. Aber die ethnisch fundierten Bewegungen von nordmalischen Tuareg (MNLA) und Arabern (MAA) sowie die »Bewegung für die Einheit von Azawad« (HCUA), die vor allem die malische Jihadistenbewegung Ansar Dine (Unterstützer des Glaubens) als zivile Vorfeldorganisation repräsentiert, waren in Algier vertreten. Seit Oktober bilden diese drei Gruppen eine gemeinsame »militärische Koordina­tion«.
Nach einem halben Jahr Verhandlungen lag am 1. März ein Vorschlag für ein Abkommen auf dem Tisch. Der Text zirkulierte als 30seitiges PDF-Dokument unter dem Titel »Abkommen für Frieden und Versöhnung in Mali, hervorgegangen aus dem Algier-Prozess« und liegt der Jungle World vor. Er sieht eine relativ starke Dezentralisierung Malis vor, mit neuen Vollmachten für die Regionen – »besonders die im Norden« – auf wirtschaftlichem Gebiet, aber auch bei der Schaffung eigener Polizeikräfte. Auf eine Dauer von »zehn bis 15 Jahren« ausgerichtet, soll ein »Entwicklungsprogramm« für die aus klimatischen und politischen Gründen benachteiligten Regionen im Norden aufgelegt werden.
Überdies ist ein Kasernierungsprogramm für die Angehörigen der bewaffneten Gruppen vorgesehen. Innerhalb von 60 bis 90 Tagen sollen deren Mitglieder in eines von zwei parallelen Programmen einbezogen werden. Das eine sieht unter dem Kürzel DDR für »Demobilisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederung« die Integration ins Zivilleben vor. Das andere dient der Eingliederung in die malische Armee. In dieser sollen ehemaligen bewaffneten Kombattanten aus dem Norden auch einige Kommandoposten reserviert werden. Ihre Zahl wird im Abkommensvorschlag nicht präzisiert, sondern soll Gegenstand weiterer Verhandlungen sein.

Hier werden die eigentlich treibenden Motive und Interessen des harten Kerns der bewaffneten Gruppen berührt. Vor allem die separatistische Tuareg-Bewegung MNLA fordert zwar die »nationale Befreiung«, doch handelt es sich hier um propagandistische Camouflage für die Geschäftsinteressen einiger einflussreicher Großfamilien.
Viele Schmugglerrouten führen durch diese Regionen, es wird mit Waffen, Benzin, unverzollten Zigaretten und seit etwa 2003 auch mit Geiseln gehandelt. Vor allem aber führt die Route des Kokains aus Südamerika, das mit Schnellbooten in den von der Mafia dominierten Küstenländern Westafrikas wie Guinea-Bissau angelandet wird und für den Transport nach Europa bestimmt ist, durch diese unwirtlichen Regionen. In Mali halten korrupte Staatsbeamte und – jedenfalls bis in die jüngere Vergangenheit – auch Spitzenpolitiker, im Nachbarland Algerien einflussreiche Generäle ihre schützende Hand über diesen lukra­tiven Markt.
Viele bewaffnete Gruppen und Milizen entstanden in den vergangenen Jahren vor allem, um diese illegalen Handelsrouten zu kontrollieren und den störenden Einfluss einer Staatsmacht zu beseitigen. Im Jahr 2012 waren die auf ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Separatisten des MNLA eine taktische Allianz mit stärker ideologisch motivierten Jihadistengruppen eingegangen. Vor der französischen Intervention kontrollierten sie einige Monate lang zusammen den Norden Malis, bis sie begannen, sich gegenseitig zu bekämpfen.
Derzeit sind die Hauptziele der MNLA-Rebellenführung in den Verhandlungen die Herausbildung einer Region mit weitgehenden Autonomierechten sowie die Eingliederung ihrer bewaffneten Verbände in die Armee. Die malische Zentralregierung und vor allem die Zivilgesellschaft drängen hingegen darauf, dass Kombattanten der Sezessionisten nur in die malische Armee aufgenommen werden, wenn sie keine geschlossenen Einheiten bilden und auch in anderen Landesteilen stationiert werden können.
Letzteres sieht der Abkommensvorschlag vom 1. März zwar nicht vor, er behandelt die geplante Eingliederung von ehemaligen Rebellen in die Armee als Spezifikum des Nordens. Allerdings geht er auch auf die allem zugrunde liegende materielle Problematik ein, denn der Abkommenstext enthält zahlreiche Passagen über den »Kampf gegen Terrorismus, gegen organisierte Kriminalität und gegen den internationalen Drogenhandel«. Auf diese Ziele sollen die zukünftigen Staatsorgane nach ihrem Umbau verpflichtet werden, auch wenn fraglich bleibt, ob korrupte Politiker und Geschäftsleute sich daran gebunden fühlen.

Als wichtiges symbolisches Zugeständnis ist in dem Vereinbarungstext vorgesehen, den Norden Malis offiziell als »Azawad« zu bezeichnen. Diesen Ausdruck aus der Berbersprache, die von den Tuareg und anderen Gruppen in Nordmali gesprochen wird, benutzten bislang nur separatische Gruppen. Er soll nun jedoch als »soziokulturelle Gegebenheit« akzeptiert werden. In Südmali stößt das teils auf heftige Ablehnung. Der Journalist Youssouf Z. Keita etwa schrieb in der Zeitung Le Républicain malien, dies sei »ein politischer Schwindel, der die Keime des Separatismus in sich trägt«.
Doch vergangene Woche kam dann die Wende. Die »Koordination der Bewegungen von Azawad« hatte sich bei der Vorlage des Vertragsdokuments am 1. März zunächst Bedenkzeit erbeten, um »ihre Basis zu konsultieren«. Vertreter der bewaffneten Gruppen trafen in Kidal zusammen. Am Freitag wurde dann bekannt, dass die Koordination am Vortag beschlossen hatte, das Abkommen doch nicht zu unterzeichnen. Die Entscheidung wurde durch eine am Sonntag veröffentlichte Erklärung bekräftigt. Dadurch ist das geplante Friedensabkommen zunächst gescheitert. Die Koordination will die Verhandlungen nicht beenden, bezeichnet den Vertragstext in seinem jetzigen Wortlaut aber als unbefriedigend und fordert die malische Regierung dazu auf, ihren Vorschlag nachzubessern und einen neuen Text vorzulegen.
Das bedeutet nicht, dass der Bürgerkrieg auf breiter Front wieder aufflammen wird wie im ersten Halbjahr 2012. Dennoch trägt die Ablehnung, zumindest vorläufig, zur weiteren Desta­bilisierung von Malis Norden bei. Die Verhältnisse dort können sich nicht festigen und die mehr oder minder willkürliche Herrschaft diverser bewaffneter Gruppen macht keinem anerkannten Gewaltmonopol Platz. Man muss die Lage nicht dramatisieren wie die Pariser Abendzeitung Le Monde, die am 1. März den damals in Algier vorgelegten Vorschlag als »eine letzte Chance für Mali« bezeichnete. Aber dass der Norden weiterhin eine Problemzone bleibt, zeichnet sich ab.