Parawissenschaften an deutschen Universitäten

Geschüttelte Erkenntnisse

Parawissenschaften und die sogenannte Alternativmedizin dringen immer mehr in den akademischen Betrieb vor. So werden Nonsensverfahren ohne wissenschaftlichen Nachweis gesellschaftsfähig gemacht.

Ein neues Fach begeistert die Studenten des Master-Studiengangs Flugzeugbau an der Hamburg University of Applied Science: Homöoaeronautik. Die Idee dahinter: »geistartiges Fliegen«. Statt Abermillionen Euro in die Entwicklung innovativer Materialien und Bauweisen zu stecken, beruht Homöoaeronautik auf dem Prinzip des immateriellen Konstrukts. Dazu wird ein Original-Passagierflugzeug zerlegt und aus seinen Teilen ein Modell im Maßstab 1:100 gefertigt. Dieses Modell schlägt man dreimal auf den Boden, zerlegt es ebenfalls und baut daraus wieder ein 1:100-Modell. Diese Prozedur wird 30 Mal wiederholt. Die letzten Male führen die Ingenieure nur noch die Handgriffe des Zerlegens, Bauens und Schlagens aus, weil sie bereits keine Materie mehr in Händen halten. Ein Testflug ergibt, dass in der Homöoaeronautik-Gruppe signifikant mehr Probanden Flugerlebnisse hatten, die obendrein intensiver waren und zu weiter entfernten Orten führten, als die in der Kontrollgruppe. Obwohl etablierte Flugzeugbauer auf die physikalische Unmöglichkeit der Homöoaeronautik hinweisen, gründen sich überall in Deutschland Fakultäten, die gegen die Ignoranz der Schulluftfahrtindustrie aufbegehren …

Absurd? Gewiss. Aber breit akzeptiert, wenn wir »Homöoaeronautik« durch »Homöopathie« oder andere Pseudowissenschaften ersetzen. Zeitreisen, Telepathie, Kontakt zu Außerirdischen? Kein Problem, der Kozyrev-Spiegel macht’s möglich. Das ist zwar bloß eine simple Aluminium-Kammer, die wie eine MRT-Röhre aussieht, aber sie hat es in sich: 85,1 Prozent der Versuchspersonen berichten davon, ins Weltall geflogen zu sein. 55,7 Prozent hatten telepathische Kontakte. Bei 30 Prozent kam es zu Persönlichkeitsveränderungen. Auch das Hellsehen fällt im Inneren eines Kozyrev-Spiegels viel leichter als mit einer Kristallkugel. All das wird in einer Masterarbeit an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder behauptet.
Dort hat das Institut für Transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) Unterschlupf gefunden, das den Masterstudiengang »Kulturwissenschaften und Komplementäre Medizin« anbietet. Das klingt erst einmal unverdächtig, denn natürlich kann man Medizin kulturwissenschaftlich untersuchen. Im Wesentlichen geht es dabei aber um die Propagierung von Alternativmedizin. Institutsdirektor Prof. Harald Walach lobte die Masterarbeit »Der Kozyrev-Spiegel in der Praxis« als »sehr schöne experimentelle Studie«, die methodisch »sehr sauber durchgeführt« worden sei. Esoterikkritiker verpassten dem IntraG den Spottnamen »Hogwarts an der Oder«, Wa­lach bekam das »Goldene Brett vorm Kopf« der Gesellschaft für kritisches Denken verliehen und die Hochschulstrukturkommission des Landes Brandenburg legte der Privatuniversität den Verzicht auf den Studiengang nahe.
Getan hat sich im Hinblick darauf nichts, bis zum 15. September können sich Fans der Huschi-Fuschi-Medizin für das Wintersemester 2015/16 bewerben. Immerhin bleibt damit die Möglichkeit erhalten, dem Forschungsstandort Deutschland Weltgeltung zu verschaffen. Denn wenn sich all das, was am IntraG behauptet wird, als wissenschaftlich haltbar erweise, seien mindestens 75 Nobelpreise fällig, erklärt der Berliner Physikprofessor Martin Lambeck. Leider ist damit nicht zu rechnen. Bislang beglückte uns das IntraG zum Beispiel mit der bahnbrechenden Erkenntnis, dass homöopathisch potenzierter Marmor C 30 bei Gesunden »Träume von Feen« hervorruft.

Wovon deutsche Politiker träumen, ob mit verdünntem Marmor oder ohne, wissen wir nicht. Von Feen vermutlich selten, von »mehr Homöopathie« durchaus. So wie die nordrhein-westfälische Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen). Ihre wiederholte Forderung nach »mehr Homöopathie« kommentierte das Journalistenblog Ruhrbarone mit der Anregung, doch bitte nicht nur Amt und Mandat, sondern auch Wissenschaft und Esoterik zu trennen. Zwecklos. Was schert eine Ministerin die Studienlage, nach der Globuli bei jeglicher Anwendung wirkungslos sind, wenn sie »selber persönlich von der Homöopathie überzeugt« ist? Erklärtermaßen strebt Steffens eine Verankerung der Schüttelmethode in der akademischen Welt an: »Wir brauchen natürlich auch Studiengänge.«
Als ob es die nicht schon längst gäbe. Ein Drittel der 36 medizinischen Fakultäten in Deutschland bietet Homöopathie als Wahlpflichtfach an, schreibt das Pseudowissenschaften, Esoterik und Verschwörungstheorien kritisch beobachtende Internet-Portal Psiram. Insgesamt listet Psiram knapp 30 Hochschulen mit pseudowissenschaftlichen Lehr- und Forschungsinhalten auf. »Wünschelrutengänger, Homöopathen, Anthroposophen und Anhänger diverser asiatischer Aberglauben« (Die Welt) lässt man auf die Studenten los. Gelehrt werden beispielsweise Feng Shui, Ätherwissenschaften und Bachblütentherapie. An der Uni Kassel gab es eine Einrichtung für anthroposophische Landwirtschaft. Also für Leute, die Kuhhörner vergraben und meinen, das hätte Einfluss auf die Rüben.
Einem »Diplomstudiengang Astrologie oder Glaskugellesen« sieht die Website uni.de bereits »mit gesträubten Nackenhaaren« entgegen. Der wäre durchaus möglich – falls der Deutsche Astrologenverband das Scheckheft auspackt. Die Mittel für das akademische Paralleluniversum kommen nämlich von potenten Sponsoren wie dem Globuli-Fabrikanten Heel oder der Karl-und-Veronika-Carstens-Stiftung, gegründet vom früheren Bundespräsidenten. Das IntraG etwa kooperiert mit der »Internationalen Gesellschaft für Biologische Medizin«. Harald Walachs Stiftungsprofessur wurde zumindest zeitweise von Heel in Baden-Baden finanziert. Anstatt den Unterschied zwischen Wissenschaft und pseudowissenschaftlichem Firlefanz herauszustellen, machen sich Universitäten zum Handlanger der Esoterik – und damit Nonsensverfahren ohne wissenschaftliche Grundlage gesellschaftsfähig.

Wer es sich leisten kann, gründet gleich seine eigene Alma Mater. Geradezu aufreizend antiwissenschaftlich kam die »Hochschule für Homöopathie« im oberbayerischen Traunstein daher. Mit privatem Geld der European Union of Homoeopathy gepampert, von Lokalpolitikern enthusiastisch begrüßt und von einer Heilpraktikerin geleitet, sollte die Globuli-Akademie im Frühjahr vorigen Jahres an den Start gehen. Über das Steinbeis-Transfer-Institut EUH, eine Einrichtung der privaten und staatlich anerkannten Steinbeis-Hochschule Berlin, wedelte die Traunsteiner Zauberschule mit dem akademischen Grad »Bachelor of Science« – obwohl weder die Studienbeschreibung noch die Qualifikation der Dozenten auch nur annähernd Hochschulniveau erreichten. Ganz abgesehen davon, dass die Homöopathie selbst in keiner Weise den Anspruch erfüllt, der an eine Wissenschaft gestellt wird – ebenso wenig wie Handlesen oder Eingeweideschau.
Hauptleidtragende wären letztlich die Studierenden gewesen, die 7 200 Euro pro Studienjahr für ein Jodeldiplom ausgegeben hätten. Nach heftigen Protesten der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und kritischen Medienberichten verkündete die Steinbeis-Hochschule im April 2014 überraschend das Aus für ihr Homöopathie-Projekt. GWUP-Aktivist Dr. Norbert Aust hakte bei der Berliner Senatsverwaltung als Genehmigungsbehörde nach. Seine Einschätzung: »Das Vorhaben könnte überall und zu jeder Zeit wieder aufgenommen werden. Prinzipiell gibt es für randständige Studiengänge keine allzu hohen institutionellen Hürden. Letztendlich kann man nur appellieren: Akademiker aller Bundesländer, vereinigt euch und protestiert gegen die Entwertung von Studienabschlüssen und akademischen Graden!«

Unser Autor ist Sprecher der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), die auch die Zeitschrift »Skeptiker« herausgibt.