Berlin Beatet Bestes. Folge 282

Mut und Gestaltungswille

Berlin Beatet Bestes. Folge 282. Schnuffel, das total süße Eichhörnchen: Brauchtum (2010/2015).

Was ist eigentlich ein Label? Was soll das?« fragte mich letztens ein erwachsener Musikfan. Und es klang auch mehr nach einer Feststellung. Aber ich verstehe den Gedanken, der hinter der Frage steht. Jeder Musiker kann seine Werke heute weltweit im Internet verbreiten, da scheinen Labels als Veröffentlichungsplattform überflüssig. Weddinger Gangsterrap wird zwar noch nominell von Labels produziert, die einzigen Produkte, die sie veröffentlichen, sind jedoch Youtube-Videos. Auch wer etwas über mongolischen Grindcore oder isländischen Reggae erfahren möchte, wird auf Bandcamp schneller etwas finden als in einem Plattenladen. Erscheint eine Schallplattenveröffentlichung zu kostspielig, gibt es noch die Möglichkeit der Finanzierung durch Crowdfunding. Auch hier scheinen Labels überflüssig. Natürlich begrüße ich diese Veröffentlichungsformen und nutze sie selbst, dennoch bleibt eine grundsätzliche Skepsis.
In herkömmlichen Schallplattenlabels drückt sich ein verlegerischer Mut und Gestaltungswille aus, der digitalen Formaten fehlt. Zunächst mal ist es schlicht kapitalistische Risikobereitschaft, für ein Projekt das eigene Geld auf den Tisch zu legen. Ob die 1 000 Euro für die erste Single nun von der Oma geliehen, mühsam zusammengespart oder von mehreren Beteiligten gemeinsam bezahlt werden, ein physisches Objekt herzustellen, bleibt ein Risiko. Mit der Produktion der Musik, der Gestaltung der Platte und des Covers sind dann kreative Entscheidungen nötig, von denen der kommerzielle Erfolg des Produkts abhängt. Darüber, ob die Oma ihr Geld zurückkriegt. Denn selbstverständlich wird mit der Produktion von Schallplatten heute niemand mehr reich. Im Gegensatz zum Erfolg im Internet, der sich in Klicks und Likes misst und es erfolgreichen Betreibern von Youtube-Kanälen ermöglicht, damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Troglodyt-Schallplatten veröffentlichte im Februar zwei Split-Singles mit vier Hits. Die einfache Idee hinter dem Singles-Label ist es, zuvor bereits auf CD oder LP erschienene Songs nochmals vorzustellen. Nur die Hits, für die Ewigkeit auf Plastik gepresst. Die besten Songs von Rocket/Freudenthal, Doc Schoko, den Cockbirds und von Schnuffel, dem total niedlichen Eichhörnchen, mit ihrem Elektro-Pop-Hit »Brauchtum«.
»Ich brauch kein Vaterland/und keine Nation,/Brauch keinen Gott, keine Kirche/und keine Religion./Keine Fahne am Balkon/und kein Deutschland-Geschrei./Brauch keine Casting-Shows/und kein RTL2./Brauch keinen Abschluss,/keine Qualifikation,/keine Lebensplanung/oder Zukunftsvision./Und ich brauch keinen, der mir sagt:/»Hey Alter, mach mal das da.«/Und keinen, der mir zeigt, was geht./Nee, lass mal./Ich brauch Spaß./Unendlich Leben, unendlich Energie./Ich brauch Spaß./Unendlich Geld, unendlich Zeit./Ich brauch Spaß./Unendlich Liebe, man weiß ja nie./Und vorher noch mal speichern,/zur Sicherheit.«
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.