Hetze gegen RB Leipzig

Red Bull bezieht Prügel

Die angestaute Wut gegen den modernen Fußball entlädt sich erneut am Feindbild RB Leipzig – und das nicht zum ersten Mal.

In einem Brief an RB Leipzig, der vor dem Spiel gegen den Karlsruher SC nach Polizeiangaben nicht nur an den Verein, sondern auch an Fan-Organi­sationen und »eine Leipziger Zeitung« verschickt wurde, trugen »besorgte Fans aus Karlsruhe« zusammengefasst all die beständigen Stillosigkeiten und Neidbeißereien vieler Fußballfans gegen RB Leipzig und damit auch den modernen Fußball vor: Die Unterschreibenden bezeichneten RB-Anhänger darin als »reine Werbeträger eines Marketingkonstrukts« und fragten in zeitgeistig-moralisierendem Wutbürger-Jargon: »Ist es wert, seine Seele zu verkaufen, nur um attraktiven Fußball zu sehen?« Davon abgesehen, dass diese Frage an sich schon recht viel über die anscheinend nicht sonderlich ausgeprägten ästhetischen Ansprüche der Verfasser aussagt – welcher Fußball-Fan will schon unattraktiven Fußball sehen? –, ließ sich der offene Brief durchaus als Aufruf zur bundesweiten Mobilmachung gegen RB Leipzig lesen.
Zumindest in den offenbar unangenehmeren Teilen der Karlsruher Fanszene zeigte das Schreiben jedenfalls Wirkung. Nach Aussagen des RB-Sportdirektors Ralf Rangnick besetzten 20 »völlig wahnsinnige« KSC-Fans vor dem Spiel den Speisesaal des Hotels, in dem sich RB auf das Spiel vorbereitete. Zwei KSC-Fans sollen gar versucht haben, sich zu den Zimmern der RB-Spieler durchzufragen. Während des Spiels kam es zu den üblichen verbalen Anfeindungen gegen RB und nach dem Spiel belagerten knapp 100 KSC-Fans den Leipziger Mannschaftsbus. Die Polizei relativierte die Aussagen Rangnicks später zwar, aber dass in letzter Zeit die konkreten Drohungen gegen RB Leipzig wieder zugenommen haben, steht fest.
Erst kurz vor dem Auswärtsspiel in Karlsruhe hatte die Absage eines RB-Trainingscamps für Jugendliche, das auf dem Gelände der SG Motor Halle stattfinden sollte, für zumindest regionale Schlagzeilen gesorgt. Nachdem in diversen sozialen Netzwerken unter anderem dazu aufgerufen wurde, den Sportplatz des halleschen Vereins zu zerstören, einigten sich dieser und der Leipziger Zweitligist darauf, die Veranstaltung sicherheitshalber abzusagen.
Doch auch wenn das Thema gerade wieder medial aufgegriffen wird – neu sind solche Anfeindungen nicht. RB Leipzig wird schon angegriffen, seitdem erstmals bekannt wurde, dass der österreichische Getränkehersteller Red Bull seine ehrgeizigen sportlichen Pläne nicht länger nur in Salzburg, sondern auch in Leipzig umsetzen möchte – in ausgerechnet jener ostdeutschen Großstadt, in der es schon lange Zeit keinen echten Profiverein mehr gab und in der wahrscheinlich deswegen die so oft in Anschlag gebrachte jeweilige »Tradition« der beiden alteingesessenen und rivalisierenden Clubs BSG Chemie und 1. FC Lokomotive eine große, aber umso zwielichtigere Rolle spielt. Bereits am ersten Spieltag der NOFV-Oberliga, in der RB Leipzig zur Saison 2009/2010 aufgrund des übernommenen Spielrechts des damaligen Oberligisten SSV Markranstädt an­treten musste, zogen es die RB-Spieler nach der Partie gegen die Reserve des FC Carl-Zeiss Jena vor, ungeduscht und von der Polizei eskortiert vom Platz zu flüchten – zu massiv waren die Anfeindungen in den 90 Minuten zuvor gewesen.
Ausgehend von ostdeutschen Fußballhochburgen wie Jena, Halle und Chemnitz, wo sich die Fans der mitunter heftig verfeindeten selbsternannten Traditionsvereine immer dann verbünden, wenn es gegen RB geht, nahmen mit jedem Erfolg des Vereins auch in fast jeder anderen deutschen Stadt die Zaunfahnen, Transparente und Proteste gegen RB Leipzig zu. Zuletzt kam es im Februar in Aue zu peinlichen Nazi-Vergleichen beim Zweitliga­spiel gegen RB. Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz war auf einem Bild in Nazi-Uniform mit der Aufschrift »Aus Österreich nur das Beste für Deutschland« zu sehen. Auf zusätzlich entrollten Spruchbändern im Auer Block hieß es: »Ein Österreicher ruft und ihr folgt blind, wo das endet, weiß jedes Kind. Ihr wärt gute Nazis gewesen!« Zudem stürmten Auer Anhänger nach dem Spiel den Rasen und hinderten die RB-Spieler am Auslaufen.
Was an RB hingegen tatsächlich kritisiert werden könnte, ist indes gar nicht so sehr die kühle Erfolgslogik, der beispielsweise der erst kürzlich geschasste Trainer Alexander Zorniger zum Opfer fiel, weil der Vereinsführung die Sache mit dem Erfolg zu langsam ging – in dieser Hinsicht reagiert RB auf Misserfolg wie jeder andere Verein auch. Und es ist auch nicht die allseits abgelehnte Kommerzialisierung und Vermarktung des Fußballs, die letztlich und glücklicherweise eben auch Voraussetzung dafür war, dass sich der Fußball immer mehr von bornierten Klischees und nationalen Befindlichkeiten entfernt hat. Viel eher könnte die vorauseilend betriebene Anbiederung von RB Leipzig an die von den Feinden des Vereins so vehement eingeforderten alten Werte zum Vorwurf gemacht werden. Die nämlich schlägt sich bei RB mittlerweile in einer penetranten Mischung aus globalisiertem Standortbewusstsein, Beschwörung kämpferischer Tugenden und sächsischem Bratwurstprovinzialismus nieder. Es scheint zumindest derzeit so, als würde RB Leipzig aus ökonomischen und publicity-taktischen Erwägungen das, was am Fußball zurecht als rückständig zurückgewiesen werden sollte, einfach bloß modernisieren wollen: Statt auf tatsächlich mondäne Fußballkultur und weltgewandtes Selbstbewusstsein, setzt man viel zu sehr auf ostdeutsche Standortapologie, Kraftmeierei und Lokalpatriotismus.
Das Vorhaben von Red Bull, über kurz oder lang einen betriebseigenen Topclub in der Bundesliga zu etablieren, wird von den RB-Gegnern links wie rechts als Bedrohung nicht nur des eigenen Vereins, sondern auch als genereller Untergang einer Leitkultur gedeutet, die um jeden Preis gegen die Entfremdungen der Moderne verteidigt werden soll. Mit dieser reaktionären und ironiefreien Verklärung von Tradition, Authentizität und Bodenständigkeit befinden sich die Gegner des modernen Fußballs in trauter Eintracht mit einem anderen fußballbegeisterten Zivilisationsfeind: dem Nazi-Philosophen Martin Heidegger. Der machte nicht nur jene archaischen Topoi und Ressentiments philosophisch salonfähig, derer sich nun auch die Gegner des modernen Fußballs bedienen, sondern schätzte am Fußball vor allem die deutschen Tugenden.