Der jüdisch-portugisische Komponist Alain Oulman

Zwischen den Künsten

Der jüdisch-portugiesische Komponist Alain Oulman erneuerte die Musik Portugals und war Herausgeber bedeutender literarischer Werke. Am 29. März jährt sich sein Todestag zum 25. Mal.

Bei Portugal denkt man unweigerlich an die melancholischen Klänge des Fado. Für viele Portugiesen bringt die volkstümliche Musik den Niedergang ihres Landes auf den Punkt – von einer bedeutenden Seemacht zu einem kleinen Land am Rande Europas, von einer prosperierenden Wirtschaft zum Befehlsempfänger der sogenannten Troika.
Entstanden ist der Fado (»Schicksal«) im 19. Jahrhundert in den Armenvierteln Lissabons. Die Musik mutet mit ihren auf Gitarre und Gesang fußenden Stücken sehr althergebracht an. In den vergangenen Jahren hat aber insbesondere die Sängerin Mariza den Fado dem Touristenkitsch und den konservativen Hütern der wahren Tradition entrissen und ihn zu einer festen Größe in der Kategorie Weltmusik gemacht.
Doch die unangefochtene Königin des Genres war für mehr als fünf Jahrzehnte die 1999 verstorbene Sängerin Amália Rodrigues. Sie hatte die Musik in den sechziger Jahren aus den kleinen Kneipen des Lissabonner Stadtteils Alfama in die bürgerliche Mittelschicht Portugals getragen. Diese Karriere verdankte Amália nicht zuletzt dem Komponisten Alain Oulman, der für die größten Erfolge der Sängerin verantwortlich war. Die Melodien von Klassikern wie »Maria Lisboa«, »Com Que Voz«, »Gaivota« oder »Fado Portugues« stammten aus seiner Feder und werden auch heute noch von den wichtigsten Fado-Sängerinnen und -Sängern wie Mariza, Camané und Carminho interpretiert.
Während Amália allgemein als Inbegriff des Fado gilt, ist der Name Oulman nur eingefleischten Kennern bekannt. Selbst in Portugal wissen heutzutage nur wenige, dass die Erneuerung der portugiesischen Nationalmusik auf ­einen jüdischen Komponisten mit Sympathien für den Kommunismus zurückgeht. Alain Oulman kam 1928 in Oeiras, einem Vorort Lissabons, als Sohn einer bekannten jüdischen Familie portugiesischer und französischer Abstammung. Er wuchs in einer behüteten Um­gebung auf und interessierte sich zum Unmut seines Vaters bereits als Kind mehr für Literatur und Musik als für Sport und das väterliche Unternehmen. Nach dem Schulabschluss ging er nach Lausanne, wo er neben seinem Chemie-Studium am Konservatorium Komposition studierte und bereits erste Stücke für franzö­sische Chansonsänger wie Catherine Sauvage und Yves Montand schrieb. Im Anschluss an ­einen Aufenthalt in New York, kehrte er in den fünfziger Jahren nach Lissabon zurück, wo er seinen Vater im Familienunternehmen unterstützte. Doch seine eigentliche Leidenschaft war die Musik. Während der unzähligen telefonischen Geschäftsverhandlungen in seinem Büro soll er stets Melodien auf Notenblättern geschrieben haben.
Eines Tages erhielt Oulman die Gelegenheit, Amália persönlich kennenzulernen. Die Sängerin war damals bereits eine Berühmtheit und eine angesehene Künstlerin des faschistischen Salazar-Regimes. Oulman nutzte die Chance und präsentierte ihr sein Stück »Vagamundo«, das Amália sofort von seinem Talent überzeugte. Für ihr 1962 veröffentlichtes Album schrieb Oulman bereits sieben der neun Stücke. Dass »Busto« so erfolgreich war, lag nicht nur daran, dass sich Lieder auf dem Album befanden, die schon bald zum klassischen Repertoire des Fado wurden. Es war vor allem ein Stück, das der Platte einen besonderen Platz in der jüngeren Kulturgeschichte Portugals einräumte. »Abandono«, ebenfalls von Oulman komponiert, basierte auf einem Gedicht von David Mourão-Ferreira und war eine politische An­klage. »Für deine freien Gedanken haben sie dich weit entfernt eingesperrt«, lautete die erste Zeile. Oberflächlich betrachtet wurde eine verzweifelte Liebe besungen, doch im Portugal Salazars war allen klar, dass es eigentlich um Gedankenfreiheit ging. Das Lied erhielt bald den inoffiziellen Titel »Fado Peniche«, weil viele der politischen Häftlinge im Hochsicherheitsgefängnis in Peniche dieses Stück sangen, und die Veröffentlichung mit der spektakulären Flucht des Kommunistenführers Álvaro Cunhal zusammenfiel. Auch die portugiesische Geheimpolizei PIDE wurde auf diese Umwidmung aufmerksam. Doch Amália war zu berühmt, um sie direkt anzutasten oder ein Verbot des Albums zu erwirken. Das Lied durfte aber fortan nicht mehr im Radio gespielt werden. »Es gab uns das Gefühl des Endes des Regimes, dass das Regime selbst über seine eigene Symbole wie Amália keine Kontrolle mehr hatte. Es war wunderbar, sie diese Wahrheiten singen zu hören, und es berührte uns sehr«, meinte etwa die damalige Oppositionspolitikern Zita Seabra rückblickend.
Für Oulman waren die sechziger Jahre eine sehr produktive, aber auch kräftezehrende Zeit. Tagsüber arbeitete er im Büro des Familienbetriebs, nachts widmete er sich der Musik und wurde zu einer zentralen Figur des intellektuellen und kulturellen Lebens. Mit dem ­Filmemacher Fernando Lopes und Schauspielern wie Eunice Munoz und João Perry verband ihn eine enge Freundschaft. Neben der Musik beschäftigte sich Oulman auch mit dem Theater und produzierte zahlreiche Stücke unter anderem am neu gegründete Teatro Villaret.
Seine wenigen freien Stunden verbrachte er in der Bibliothek, immer auf der Suche nach Gedichten, zu denen er dann die Musik verfassen konnte. So kam es auch zu einem weiteren Meilenstein in Amálias Karriere, dem Album »Amália canta Luís de Camões«. Es erschien 1965 und bestand ausschließlich aus Interpretationen der Gedichte des portugiesischen Nationaldichters. Die Musik von Oulman war mondän, teilweise orchestriert und unterschied sich damit ganz grundlegend vom bisherigen Fado – ein Skandal im damaligen Portugal: Die Worte des wichtigsten Autors portugiesischer Sprache in moderne Fado-Musik zu verwandeln und das noch zu den Melodien eines Ausländers! In einem Fernsehinterview, das einer Gerichtsverhandlung glich, verteidigte Amália Oulman vehement: Oulman sei in Lissabon geboren, also kein Ausländer, und er sei ein Mensch, der eine große Sensibilität für Kunst und Musik besitze. Sie, so die Sängerin weiter, liebe jedenfalls seine Lieder. Damit war die Debatte um seine Herkunft vorerst entschieden.
In den frühen Morgenstunden des 18. Februar 1966 endete diese Episode jedoch. Agenten der PIDE drangen in Oulmans Wohnung ein und verhafteten ihn. Zwar genoss er als französischer Staatsbürger einen gewissen Schutz, dennoch wurde er zunächst in Isolationshaft gehalten, ständig verhört und mit Schlafentzug gefoltert. Der Vorwurf war schwerwiegend: Oulman hatte sein Büro als eine Art Poststelle für eine maoistische Oppositionsgruppe genutzt und regimekritische Dokumente weitergeleitet. Außerdem hatte er den Regimegegnern sein Wochenendhaus zur Verfügung gestellt. Seine Frau Felicity Serra, sein Vater und Amália versuchten alles, um ihn frei zu bekommen. Am Ende war es seine französische Staatsbürgerschaft und die Unterstützung des französischen Intellektuellen Raymond Aron, die ihn vor einer Verurteilung schützten. Allerdings wurde Oulman, der in Portugal geboren und aufgewachsen war, unmittelbar nach seiner Freilassung nach Frankreich deportiert.
Dort musste er sich neu erfinden. Er trat in das bekannte Verlagshaus Calmann-Lévy ein, das von seinem Onkel Robert Calmann-Lévy geleitet wurde, und arbeitete dort vor allem als Herausgeber. Eine Aufgabe, die ihn mehr erfüllte als die kaufmännische Tätigkeit in der Firma seines Vaters. Der Fado ließ Oulman jedoch auch in Paris nicht los. Nachdem er aufgrund der hartnäckigen Interventionen seines Vaters eine offizielle Begnadigung durch Salazar erhalten hatte, konnte er Portugal und seine Familie wieder regelmäßig besuchen.
Die Zusammenarbeit mit Amália wurde durch die Begnadigung erleichtert. In der Folge schrieb er für sie die Musik für »Com Que Voz«, das im März 1970 erschien. Amália hatte das ­Album innerhalb von zwei Nächten eingespielt, es wurde ein riesiger Erfolg, erhielt zahlreiche Auszeichnungen und gilt bis heute als ihre beste Platte. Obwohl die Instrumentierung mit Gitarre und Viola eher klassisch ausfiel, führte Oulman mit seinen zwölf Kompositionen einen neuen Ton in den Fado ein, der bis heute prägend ist.
Aber Oulman ging es um mehr. So holte er vom im algerischen Exil lebenden Schriftsteller Manuel Alegre die Erlaubnis ein, dessen Gedicht »Trova do Vento que Passa« für ein Lied verwenden zu dürfen. Alegre war damals als Sprecher des oppositionellen Radiosenders »Voz da Liberdade« die Stimme der Gegner der Diktatur. Oulman und Amália ließen sich vom moribunden Regime nicht einschüchtern und setzten mit dem Lied vier Jahre vor der Nelkenrevolution ein wichtiges künstlerisches Zeichen.
Doch Alain Oulman hatte sich von Portugal entfremdet und liebte seine Arbeit als Herausgeber zu sehr. Wie in seiner kompositorischen Arbeit, stürzte er sich auch in seine literarischen Tätigkeiten und ging vollkommen darin auf. Er war Agent für Patricia Highsmith und arbeitete eng mit Amos Oz und Catherine Clément zusammen. 1972 veröffentlichte er das Buch »Portugal Bailloné« von Mário Soares, eine der wichtigsten Anklageschriften gegen die Diktatur in Portugal.
Mit Amália blieb Oulman stets in engem Kontakt und schrieb, neben einigen weiteren Stücken, die Musik für ihr 1977 veröffentlichtes Album »Cantigas numa língua antiga«. Doch Oulman lebte in Paris und für die Literatur. Amálias Zeit war nach der Nelkenrevolution ebenfalls vorbei. Alain Oulman starb am 28. März 1990 mit gerade einmal 61 Jahren in Paris, wo er im jüdischen Teil des Pariser Friedhofs Père Lachaise begraben liegt.