Bitte nicht füttern

»Ich beobachte mit großer Sorge, dass sich Teile der Öffentlichkeit einmauern in ihren Argumenten«, klagt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) über die Kritik am Freihandelsabkommen TTIP. Eine schöne Formulierung, die klarstellt, dass es nicht um Argumente gehen darf, sondern Anpassung gefordert wird. Oft wird daher nun die Umfrage des Pew Research Center zitiert, derzufolge die Zustimmung zur TTIP in Deutschland geringer ist als in allen anderen Staaten der EU. Ignoriert wird hingegen die Umfrage des Pew Research Center über die Haltung der US-Amerikaner, denn das Ergebnis harmoniert nicht recht mit der Behauptung, nur modernisierungsfeindliche Antiamerikaner seien gegen das Abkommen. So hält zwar eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Befragten die TTIP für eine gute Sache, aber nur 44 Prozent der Republikaner stimmen ihr zu. Überdies zeigen die US-Amerikaner, auch wenn sie das Abkommen für unvermeidlich, das kleinere Übel oder vielleicht doch irgendwie nützlich halten, Realitätssinn. Nur eine Minderheit von 20 Prozent glaubt, der Handel schaffe Arbeitsplätze, mit einer Lohnerhöhung durch den Handel rechnen nur 17 Prozent. Da Obama derzeit auch mit asiatischen Staaten über die Trans-Pacific Partnership verhandelt, entfällt in den USA das Geschwätz über gemeinsame Werte, die gegen den Ansturm der gelben Horden verteidigt werden müssten.
In den USA fragt man sich, ob die TTIP ein gutes oder ein schlechtes Geschäft ist, und diese Frage wird je nach Eigeninteresse, Kenntnisstand und politischen Ansichten unterschiedlich beantwortet. Der Deutsche hingegen bedarf der Werte und der Gemeinschaft. Während hierzulande Unternehmerinteressen und »die Wirtschaft« längst Synonyme sind, kritisieren viele rechte US-Amerikaner die wachsende Macht der Konzerne und haben sich zumindest so viel demokratisches Bewusstsein bewahrt, dass sie ausschließlich Unternehmern zugängliche Sondergerichte ablehnen. In der deutschen Debatte sieht man den Investor als Panda, als ein bei unzureichender Hege und Pflege aussterbendes Geschöpf, das man mit Bambus füttern muss, bis er ihm aus dem Maul quillt. Seltsamerweise gilt es in Deutschland als liberal, mit dem »Investorenschutz« eine unternehmerische Vollkaskomentalität zu bedienen, die den Staat zum Garanten des erwarteten Profits macht. Im amerikanischen Raubtierkapitalismus traut und mutet man dem Investor mehr zu, man erwartet, dass die Wölfe der Wall Street selbst jagen und das Risiko tragen, nicht genug Beute zu finden. Renitenz und Einfluss der Rechtslibertären, die gegen die TTIP sogar mit den verhassten Gewerkschaften kooperieren, sollte man nicht unterschätzen. Es wäre eine schöne Ironie der Geschichte, wenn das Freihandelsabkommen am kapitalistischen Idealismus der US-Amerikaner scheiterte.