Das Bismarck-Denkmal in Hamburg

Der Kanzler neigt nach Osten

In Hamburg steht das höchste Bismarck-Denkmal der Welt. Doch seine einstige Größe ist schon lange dahin.

Im Bismarck-Jahr steht es schlecht um die Figur des Reichsgründers. Zum 200. Geburtstag Otto von Bismarcks ist der Koloss in eine bedenkliche Schief­lage geraten. Eine umfassende Restauration ist nötig, das wird teuer. 13 Millionen Euro sind zur Sanierung der gröbsten Schäden des riesigen Denkmals im Alten Elbpark oberhalb der Hamburger Landungsbrücken veranschlagt. Die Summe wollen sich Hamburg und der Bund teilen. Ausgerechnet die Hamburger SPD-Regierung will für die Skulptur des Mannes tief in die Taschen greifen, der ihre Partei 1878 als »gemeingefährlich« für zwölf Jahre verbieten ließ. Doch »gemeingefährlich« scheint Bismarck nun selbst geworden zu sein. Das Innere der Monumentalskulptur darf bereits seit Jahren nur noch von Fachpersonal betreten werden, in der kryptaartigen Halle im Sockel des Denkmals herrscht auch für Ingenieure Helmpflicht.
Selbst im »roten Hamburg« fürchten die Behörden heute den Sturz des Eisernen Kanzlers. Es gilt eine Neigung von über neun Zentimetern aufzufangen, gab das zuständige Bezirks­amt Hamburg Mitte bekannt. Es heißt, der Kanzler neige sich bedenklich nach Osten. Dabei brachte diese Himmelsrichtung weder dem Lebenswerk Bismarcks noch seiner Statue selbst Glück. Der letzte Krieg des Deutschen Reichs hat die Statik der weltbekannten Wächterfigur schwer beschädigt. Die Betonarmierung der Ende der dreißiger Jahre hastig eingebauten Luftschutzanlage drückt bedrohlich auf den Sockel des Denkmals. Ewig sollte Bismarck von deutscher Macht und Größe zeugen, nun ist er baufällig.
Anders als im ehemals preußischen Berlin muss sich teure Nostalgie in Hamburg bürgerliche Wege suchen. Als »reichsunmittelbare freie Stadt« hatte die Hansestadt keinen ansässigen Landesfürsten und kann somit auch kein Stadtschloss vorweisen. Das Bismarck-Denkmal bietet hier eine passende Entsprechung zum Hohenzollern-Rummel der Hauptstadt. Denn wie häufig bei den Wilhelminischen Nationaldenkmälern ging die Initiative auch im Fall des Hamburger Bismarck-Monuments auf bürgerliches Engagement zurück. Die Spendensammlung für die Baukosten wurde kurz nach dem Tode Otto von Bismarcks 1898 vom hanseatischen Großbürgertum angestoßen. Mit dem Vorhaben wollte man sich allerdings nicht einfach in die Unmenge der kommenden Denkmäler für den Kanzler einreihen, sondern ganz weltmännisch die Führung übernehmen. 1906 wurde die nach Entwürfen von Hugo Lederer und Johann Emil Schaudt gebaute Statue eingeweiht.
Zwar war sie als steinerner Ausweis des Hamburgischen Patriotismus und demons­trativer Reichstreue gedacht, doch schwang noch ein anderes Moment mit: Die Errichtung von Denkmälern wie dem Hamburger Bismarck oder dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal, die nicht mehr den Kaiser ins Zentrum rückten, war ein neues Bekenntnis. Es galt weniger der Dynastie als einer meist mythisch überhöhten Nation. Auch ästhetisch hatte sich der Entwurf weit vom historistischen Geschmack des Berliner Hofes entfernt. Statt neo­barocker Verspieltheit boten Lederer und Schaudt eine verstörende monumentale Kargheit auf. Die Wahl des Materials fiel auf Granit. Das trieb zwar die Baukosten in die Höhe, war aber der populären Nationalästhetik des »Rembrandtdeutschen« ­Julius Langbehn zufolge der einzig mögliche Ausdruck des Deutschtums in der Skulptur.
Als Zitat des Bremer Roland schlug die 34 Meter hohe Skulptur schließlich den großen Bogen von moderner Form zur mittelalterlichen Reichstradition. Den Blick zur Elbe gerichtet, vermittelte die streng stilisierte Plastik den Passagieren der einlaufenden Schiffe gleich einen Eindruck vom neuen monumentalen Selbstverständnis der Deutschen. Nur für Bingerbrück am Rhein war zu Bismarcks 100. Geburtstag 1915 Größeres geplant. Ein wenig dezenter Gruß an Frankreich, dessen Realisierung dann jedoch dem Krieg zum Opfer fiel. So erhielt Hamburg das weltweit größte Bismarck-Denkmal.
Drei Jahrzehnte nach der Errichtung des Hamburger Denkmals wurde der Innenbereich des Sockels mit Bismarck-Zitaten und völkischen Ornamenten dekoriert. Eine von vielen Aneignungen Bismarcks durch den National­sozialismus. Wenig später, als das Reich Geschichte geworden war und es niemand mehr gewesen sein wollte, hieß es plötzlich in Hamburg: »Er steht ja mit dem Rücken zur Stadt.« Zweimal erregte es in den vergangenen Jahren noch Aufsehen: Am 3. Oktober 1990 bekam die Figur von waghalsigen Kletterern eine gigantische Helmut-Kohl-Maske vorgebunden, ein Kommentar zur gerade vollzogenen Einverleibung der DDR. Im Mai 2003 ließ der damalige Innensenator Ronald Schill das Denkmal unter dem Applaus der Burschenschaft »Germania« neu beleuchten.
Heute sammelt sich zu seinen Füßen weiter das Elend der Großstadt. Obdachlose, Trinker und Scherben prägen das jetzige Ambiente des Kanzlers. Die einstige Größe ist dahin, klein scheint die Skulptur angesichts der modernen Hochhausbauten in der Nachbarschaft. Auch der Park ist wenig einladend, nicht selten dient er den Besuchern der nahen Reeperbahn als Bedürfnisanstalt. Immerhin werden jetzt die Anwohner befragt, wie die Gestaltung des neuen Alten Elbparks mit saniertem Denkmal aussehen könnte. Dabei könnte man es auch so lassen. Das marode Denkmal in verrotteter Umgebung bildet mit seiner wechselhaften Geschichte eine passende Allegorie auf das Werk des Reichsgründers: eine Figur, die einst heroisch überhöht und völkisch ausgemalt wurde und deren Großtat in einem Trümmerhaufen endete.