Die Niederlage der Zionistischen Union

Die abgesagte Revolution

Die Linke in Israel ist in ein zionistisches und ein antizionistisches Lager gespalten, bei den Wahlen verfehlten beide ihre Ziele.

»Machapach« ist das hebräische Wort für Revolution. In den Wochen vor der Wahl in Israel war das Wort zur Grußformel der Herzog-Anhänger geworden. Deren Wahlkampf beschränkte sich jedoch weitgehend auf ein »Entweder wir oder er!« – das war nicht genug für die schwankenden Wähler. Im Mittelpunkt beider Kampagnen, der rechten wie der linken, standen Bilder der Angst: entweder vor einer weiteren Periode der wirtschaftlich und außenpolitisch desaströsen Politik Benjamin Netanyahus oder vor einer Islamisierung des Landes nach einem Wahlsieg der Linken.
In der Zentrale der Zionistischen Union, dem Bündnis aus der Arbeiterpartei Avoda und Tzipi Livnis Partei Hatnuah (»Die Bewegung«), wurde am Wahlabend das Ergebnis relativ stoisch zur Kenntnis genommen. Trotz guter Umfragewerte vor der Wahl hatte sich dort wohl niemand so richtig von dem auf der Straße überall spürbaren Optimismus anstecken lassen. Die Enttäuschung darüber, dass Netanyahu weiter regieren wird, war dennoch groß. Stella Kol aus dem Wahlkampfteam des Bündnisses wirft ihm einen selbstgefälligen Konfrontationskurs vor, der Israel in der Welt isoliere: »Die neue Regierung wird dafür sorgen, dass Israel auf internationaler Ebene immer mehr Steine in den Weg gelegt werden. Das wird sich automatisch auch negativ auf unsere Wirtschaft auswirken.« Wichtig war es ihr, für eine verantwortungsbewusste Außenpolitik gegenüber den wenigen Verbündeten Israels einzutreten. Dabei hatte sie gegen die auf allen großen ­israelischen Fernsehsendern übertragene Rede Netanyahus vor dem amerikanischen Kongress inhaltlich wenig einzuwenden.
Der 27jährigen geht es, wie dem Großteil der zionistischen Linken und der regierungskritischen Militärangehörigen, nicht um die Frage, ob man mit einer iranischen Atombombe wird leben können, sondern darum, mit welcher Strategie diese am ehesten zu verhindern sei: »Netan­yahu ist naiv, wenn er denkt, seine Reden werden eine iranische Bombe verhindern. Was wir brauchen, ist ein militärisch starkes Bündnis mit einer gemeinsamen Agenda.« Die Israelis seien der derzeitigen Regierung überdrüssig, doch »aufgrund seines schwach wirkenden Auftretens konnten sich viele nie mit Herzog anfreunden«, sagt die Tel Aviverin enttäuscht. Wegen Äußerlichkeiten, seines bübischen Aussehens und einer nasalen Stimme wurde »Buji«, so Herzogs landläufiger Kosename, der auf seine Mutter zurückgeht und übersetzt »Püppchen« bedeutet, von vielen nicht ernst genommen.

Für die linkszionistische Partei Meretz hat Matan Gilon in Jerusalem geworben. Auch er hätte Yitzhak Herzog, den Vorsitzenden der Avoda und neben Tzipi Livni Spitzenkandidat der Zionistischen Union, gerne als neuen Ministerpräsidenten gesehen. Durch die Niederlage der Linken sieht Gilon nun das soziale Gefüge der Gesellschaft in Gefahr: »Ich möchte mit einem normalen Einkommen über die Runden kommen können. Mit einer rechten Regierung, die weiterhin Unmengen an Steuergeldern in Siedlungen und in ultraorthodoxe Gemeinden steckt, wird das unmöglich werden.« Für ihn ist trotzdem nicht das Wahlergebnis das Deprimierende, sondern »die Tatsache, dass viele Menschen in Israel, wenn sie erkennen, dass du links oder für Meretz bist, dich als ihren Feind betrachten«. Bei Infoständen seiner Partei musste er mehrmals Hasstiraden über sich ergehen lassen.
Ginge es nach dem Willen der Bewohnerinnen und Bewohner Tel Avivs, hätte Herzog, Zögling einer einflussreichen israelischen Politdynastie, mit 41 Mandaten leichtes Spiel gehabt, eine Mitte-links-Regierung zu bilden. Auch Meretz kam hier auf 16 Sitze, während es landesweit mit fünf Sitzen gerade so für den Einzug in die Knesset reichte. In acht von zehn der größten israelischen Städte hatte jedoch der Likud die Mehrheit.
Für Gideon Levy, Kommentator der Netanyahu kritisch gegenüberstehenden Tageszeitung Haaretz, sind die Ergebnisse der Wahl auf jahrelange »Gehirnwäsche« zurückzuführen. Sie seien ein klares Anzeichen dafür, in welche Richtung das Land steuere: Am Wahltag seien »die Fundamente für den kommenden Apartheidsstaat gelegt« worden.
Nicht ganz so dramatisch bewertet Uri Avnery, die graue Eminenz der israelischen Friedensbewegung, die Ereignisse: »Die düsteren Prophezeiungen einer entscheidenden, unumkehrbaren Verlagerung Israels nach rechts sind haltlos. Im Großen und Ganzen gibt es kaum eine Veränderung. Die Rechte hat insgesamt nur einen Sitz dazugewonnen«, sagte er und fügte hinzu: »Die Orthodoxen haben drei Sitze verloren und die Araber zwei gewonnen.«
In vielen arabisch geprägten Städten Israels lag die antizionistische Vereinigte Arabische Liste unangefochten vorne, etwa in Nazareth mit 92 Prozent der Stimmen. Trotz ihrer 13 Mandate wird die Liste voraussichtlich im Parlament nicht viel erreichen können. Sie hatte gehofft, die Oppositionsführung übernehmen zu können, was nun wohl der Zionistischen Union zufallen wird. Die Oppositionsführung hätte der arabischen Liste Einfluss beschert, ohne am »zionistischen Besatzungsregime« direkt beteiligt zu sein.
Der moderate Flügel dieses Parteienpotpourris, die jüdisch-arabischen Sozialisten von Hadash, hatten sich, um die neue 3,25-Prozenthürde zu überwinden, entschlossen, diesem Bündniss beizutreten. Der Entschluss dazu war in der Partei umstritten. Die Islamisten innerhalb des Bündnisses hatten von vornherein jede Zusammenarbeit mit den linksgerichteten zionistischen Parteien ausgeschlossen. »Wir können nicht Teil einer Regierung sein, die immer noch unser Volk unterdrückt«, sagte Jamal Zahalka auf der alkoholfreien Wahlparty der Arabischen Liste.
Es war für Netanyahu ein Leichtes, diesen israelischen Antizionismus sowie die Israel-Kritik aus Europa und den USA mit der Regierungskritik einheimischer Linksliberaler in Zusammenhang zu bringen und sich als einzig aufrichtigen Anwalt ­israelischer Sicherheitsinteressen darzustellen. Dabei wäre die Sicherheitspolitik eines Yitzhak Herzog in der Grundausrichtung sehr ähnlich gewesen.
»König Bibi«, wie Netanyahu von manchen Israelis argwöhnisch genannt wird, schaffte es nach schlechten Werten bei den Umfragen in den letzten 48 Stunden vor der Wahl, die noch unsicheren konservativen Wähler zu mobilisieren. Auch Netanyahus aufgeregte Warnung am Tag der Stimmabgabe, dass linke NGOs Araber in Massen mit Bussen zu den Wahlurnen bringen würden, wird ihm kurz vor Schluss etliche Stimme gebracht haben. Viele Rechte treibt eine tiefe Angst vor einem Komplott aus Jihadisten und Linken um.
In den letzten Wochen des Wahlkampfs wies Netanjahu auf einen aus dem Ausland finanzierten Meinungsfeldzug hin, mit Hilfe dessen er angeblich gestürzt werden sollte. Es sei eine »beispiellose Kampagne durch verschiedene Medien organisiert« worden, so Netanyahu. Im Zentrum seiner Kritik stand die auf den Straßen sehr präsente Kampagne V15 (Victory 2015), die sich als »unabhängiges Bündnis« zum Ziel gesetzt hatte, den Likud-Vorsitzenden mit dem Slogan »Jeder außer Bibi« zu Fall zu bringen. Eine Reihe von ehemaligen Wahlkampfstrategen des US-Präsidenten Barack Obama unterstützte das Bündnis aktiv, so auch der amerikanische Millionär Daniel Abraham, Erfinder des Slim-Fast-Diätprogramms und bekannter Geldgeber der Demokratischen Partei. Doch während Netanyahu die Einmischung der Medien kritisierte, nutzte er die Gunst eigener großzügiger Unterstützer und der ihm stets wohlgesinnten kostenlosen Tageszeitung Israel HaYom.
Nun wird in den kommenden Wochen vermutlich eine Koalition aus konservativen Kräften gebildet. Die nächsten Revolutionsvorbereitungen müssen wohl vier weitere Jahre warten. Doch wer will heute schon prophezeien, wie der Nahe Osten im kommenden Jahr aussieht?