Die Apple-Watch ist nicht beeindruckend

Die Retro-Watch

Die Apple-Watch ist da. Dass das neue Smart­gerät wie eine ganz normale Uhr aussieht, hat viele enttäuscht. Doch dahinter könnte eine Strategie stecken.
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Als Apple-Chef Tim Cook auf einem »Special Event« am 9. März Details und Preise der Apple-Watch vorstellte, schlugen Nerd-Herzen höher. Ein Kindheitstraum schien wahr geworden zu sein – der aus Star Trek bekannte »Communicator« am Handgelenk. Wie immer, wenn Apple ein völlig neues Produkt vorstellt, gerieten im Internet Apple-Fans und -Hasser aneinander, um sich leidenschaftlich zu beharken. Natürlich kaufen nicht nur Schnösel Geräte von Apple, die lange im Ruf standen, hochwertig und konzeptionell aus einem Guss zu sein, auch wenn sie in letzter Zeit ihre Anwender mit Bugs, Sicherheitslücken und Hardwareproblemen ähnlich nerven können wie die Hardware aus dem Billigregal. Apple-Produkte zu kaufen, ist längst keine Frage der Technik mehr, es geht um Status.
Aber zunächst zur Technik. Als Apple im Jahr 2007 das iPhone einführte, wurde der vier Jahre später verstorbene Konzerngründer Steve Jobs von vielen Marktbeobachtern ausgelacht. Trotzdem wurde das iPhone eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Zwar gab es bereits zuvor »Smartphones« und alle Merkmale, bis hin zum Touchscreen, waren schon auf dem Markt vorhanden, aber es brauchte Apple, um all diese Zutaten zu einem rundum stimmigen Gerät zusammenzufügen. »Wer braucht das schon?« war damals ein gängiges Gegenargument. Das iPhone galt als viel zu teuer, die kurze Akkulaufzeit wurde bemängelt und überhaupt: Wie soll man denn ohne Tastatur auf dem Gerät sauber tippen können? Dennoch wurde das iPhone ein großer Erfolg.
Nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Es gibt bereits eine Reihe von – mäßig erfolgreichen – Smartwatches auf dem Markt. Die Apple-Watch bietet technisch gesehen wenig Neues, kombiniert aber alle Zutaten auf interessante Weise. Sie kostet ab 350 Euro aufwärts, was als zu teuer empfunden wird für ein Zubehörteil zum iPhone. Gerüchten zufolge soll sich das schon mit der nächsten Version ändern, aber vorläufig ist die Apple-Watch auf ein iPhone in Funkweite angewiesen und für sich alleine nutzlos. Der Akku soll bis zu 18 Stunden halten, in der Praxis allerdings wohl wesentlich kürzer, was die Anwender wieder scharenweise an die Ladegeräte treiben dürfte.
Dennoch macht Apple vieles wieder richtig. Beispielsweise wird die Uhr nicht nur über den Touchscreen bedient. Apps können per Drehen an der Krone ausgewählt und gestartet werden, ohne dass dicke Finger den Blick auf das kleine Display versperren. Ohne Zweifel werden sich Software-Entwickler finden, die Apps für die Uhr programmieren, die auf diesem Gerät erst so richtig Sinn ergeben. Das makaberste Beispiel ist die App »Life Clock«, die statt Datum und Uhrzeit die anhand statistischer Werte errechnete restliche Lebenszeit anzeigt.

Ein solches memento mori ist gar nicht so unpassend für einen Luxusgegenstand. Luxus ist die Apple-Watch spätestens in der Ausführung aus hochkarätigem Gold für 11 000 Euro aufwärts. Jenseits der üblichen Neiddebatte ist die Frage berechtigt, ob Kunden, die hochwertige Armbanduhren in dieser Preisklasse erstehen, wirklich so viel Geld für ein Technik-Gadget ausgeben werden, das vermutlich schon in zwei Jahren veraltet ist, während eine Luxusuhr ein Erbstück für Jahrzehnte ist. Da Apple bereits vor Jahren den Zusatz »Computer« aus dem Firmennamen gestrichen hat und genau weiß, dass der Kauf von Apple-Produkten viel mit Lifestyle zu tun hat, wird aber auch die Luxusvariante ihre Kunden finden.
Möglicherweise ist aber genau das der Grund, warum die Reaktionen auf die Apple-Watch dieses mal eher verhalten ausfallen. Das Gerät orientiert sich zu sehr am Konzept der klassischen Armbanduhr. Das wird auffällig, wenn man die Apple-Watch mit Produkten der Konkurrenz vergleicht, allen voran die für Anfang 2016 angekündigten »Neptune Duo«, entwickelt von dem kanadischen Startup Neptune. Das ist ebenfalls eine Smartwatch, allerdings soll sie kein Zubehör mehr sein, sondern die Hauptsache. Dem Konzept nach wird sie all unsere Daten vorhalten, ständig mit dem Internet verbunden sein – ohne Unterstützung durch ein anderes Gerät – und eine wesentlich längere Akkulaufzeit bieten. Um die Duo herum gibt es eine Reihe von »dummen« Geräten, die darauf zugreifen und nur bei Bedarf genutzt werden können: Hörer zum Telefonieren, Tablets, um Websites zu lesen, und Tastaturen. Diese Zubehörteile können billig gefertigt werden, da die Intelligenz in der Uhr steckt.
Es stimmt ja auch: Warum braucht es in jedem Computer, Laptop und Tablet die volle Rechenleistung, wenn man eigentlich nur eine Zentrale für unsere Daten benötigt? Zugleich ist die Neptune Duo als Armreif gearbeitet, der ein wesentlich größeres Display als die Apple-Watch bietet und dabei nicht aussieht wie ein Retro-Gegenstand aus dem vorvergangenen Jahrhundert, in das hochgezüchtete Elektronik eingebaut wurde, sondern wie ein Gerät, das man so nur aus Science-Fiction-Filmen kennt. Die Apple-Watch hingegen will ganz wie eine Uhr wirken, und das erinnert ein wenig an die frühen Automodelle, an die vorne zur Zierde ein Pferdekopf montiert wurde, um mehr einem Fuhrwerk zu ähneln. Von Apple hätten viele bei Design und Konzept mehr Innovation erwartet. Im Grunde ist die Apple-Watch Steampunk und das enttäuscht, weil das bei iPod, iPhone und iPad mal anders war.
Natürlich kann derzeit niemand sagen, ob das Konzept der Neptune Duo aufgehen wird, schließlich kommt sie erst in einem Jahr auf den Markt. Egal aber, ob sich nun Apple oder die Konkurrenten durchsetzen werden, wird gerade ein spannender Trend sichtbar.

Ein anderes Wearable, nämlich Google-Glass, ist grandios gefloppt. Zwar stellen gerade Microsoft mit »HoloLens« und Facebook mit »Oculus Rift« neue Konzepte vor, während Google sein »Glass« für eine neue Entwicklungsrunde zurück ins Labor geschickt hat, aber wenn es um Datenbrillen geht, machen gerade Meldungen wie diejenige von Volkswagen die Runde: Datenbrillen sollen künftig in der Logistik des Wolfsburger Lagers angewendet werden. Die Arbeiter sollen dort beim Auffinden von Teilen die Hände frei behalten und keine klobigen Handscanner oder Tablets mehr mit sich herumtragen müssen. Weitere Einsatzzwecke finden sich bei Computerspielen und in der Industrie. Dazu passend hat man bereits in Dubai und New York die Datenbrillen durch die Polizei getestet.
Es sieht gerade so aus, als ob die Datenbrille zum Gerät für Arbeiter und Menschen in ausführenden Tätigkeiten wird, während die teure Smartwatch ihre Heimat eher in der Teppichetage finden dürfte, wo fitnessbewusste Manager ihre Schrittzähler und aktuelle Aktienkurse im Blick haben – oder eben ihre restliche Lebenszeit. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass das Tragen einer Datenbrille bald in gewissen Kreisen geradezu verpönt sein könnte. In Sachen Smartwatch kann sich Joe Sixpack dann allenfalls die Plastikvariante leisten, die es zweifelsohne sehr bald zu ähnlichen Preisen geben wird wie japanische Digitaluhren in den achtziger Jahren. So gesehen könnte Apples Strategie, der Apple-Watch ein möglichst klassisches und konservatives Aussehen zu verpassen, am Ende sogar aufgehen.
Spannend ist natürlich, sich den weiteren Fortgang der Entwicklung auszumalen. Wenn die Datenbrille zum Merkmal der »Unterschicht« wird, wird sie eines Tages zwangsläufig Mode werden – das Ramones-Shirt des 21. Jahrhunderts. Kinder reicher, Smartwatch tragender Oberschicht-Eltern könnten anfangen, Datenbrillen zu tragen und das Punk zu nennen. Schließlich war es schon immer Pop, den Look der Arbeiter, Strafgefangenen und Ausgestoßenen zu imitieren. Die neuen Punks wären dann Cyberpunks, die Datenbrillen tragen, um ihre Individualität und Intellektualität zu unterstreichen wie früher Literaten, Künstler und Bohemiens. Aber natürlich ist das nur ein hübsches Gedankenspiel und am Ende kommt es – wie immer – ganz anders.