Der Prozess gegen den Holocaust-Leugner Gerhard Ittner

Ein Reichsbürger vor Gericht

In Nürnberg hat der Prozess gegen den Holocaust-Leugner Gerhard Ittner begonnen. Der 56jährige hatte auch Kontakt zum Umfeld des NSU.

Gerhard Ittner liebt den großen Auftritt. Nachdem der verurteilte Holocaust-Leugner den historischen Schwurgerichtssaal 600, den Ort der Hauptkriegsverbrecherprozesse, im Nürnberger Justizpalast betreten hat, posiert er bereitwillig für die Fotografen und sagt, was er von dem Verfahren gegen sich hält: »Das ist ein Menschenrechtsbruch.«
Ittner ist wegen Volksverhetzung in neun Fällen angeklagt. Er soll unter anderem erneut den Holocaust geleugnet haben. Außerdem soll er den Staat und seine Symbole verunglimpft sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet haben.

Zu Beginn des ersten Verhandlungstags stellt Ittner einen Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende Richterin. Es folgt ein zweistündiger, wirrer Vortrag, den der Angeklagte unter häufigem Einsatz seines Zeigefingers hält. Er spricht über seine Staatsangehörigkeit (»Deutsches Reich«), seine Verhaftung in Portugal (»Ich wurde versklavt«) sowie die Haftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Nürnberg, die er als »KZ« bezeichnet. »Sie wollen ein von der Politik und den Medien erwartetes Terrorurteil gegen einen gewaltlosen Dissidenten fällen«, wirft Ittner der Richterin vor. Sein Verteidiger Marc Jüdt, der vergangenes Jahr Beate Zschäpe in der Haft besuchte und als ihr neuer Verteidiger im Gespräch war, versucht zu retten, was zu retten ist. Er fasst die Ausführungen seines Mandanten protokollgerecht zusammen.
Nicht nur der Staatsanwalt (»Sie wiederholen alles zehnmal, wir sind doch nicht dumm«) und die Vorsitzende Richterin (»Herr Ittner, es reicht!«) verlieren regelmäßig die Geduld. Sogar die Protokollantin wird laut, weil sie mit dem »gleichzeitigen Gerede« Ittners und seines Anwalts nicht zurechtkommt. Vielleicht sind ja wegen Ittners Redebedürfnis ganze 14 Verhandlungstage am Oberlandesgericht Nürnberg terminiert. Im Publikum befindet sich auch die Verlobte des Angeklagten. Nachdem sie sich in die erste Zuschauerreihe gesetzt hat, weist sie ein Justiz­angestellter darauf hin, dass diese Bank für die Presse reserviert sei. »Für die Presse sollte eigentlich die letzte Reihe vorgesehen sein«, kommentiert die Frau.
Bereits 2005 wurde Ittner unter anderem wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt – in Abwesenheit, denn unmittelbar vor der Urteilsverkündung hatte er sich ins Ausland abgesetzt. Erst 2012 spürten ihn Fahnder in Portugal auf. Noch in der Auslieferungshaft soll Ittner Texte mit volksverhetzendem Inhalt veröffentlicht haben, auf die sich die Anklage stützt. Eigentlich wäre Ittner im Oktober 2014 wieder freigekommen. Wegen der neuen Ermittlungen und drohender Fluchtgefahr wurde er jedoch sofort wieder in Untersuchungshaft genommen. Die Naziszene stilisiert Ittner, Mitbegründer der mit zwei Mitgliedern im Nürnberger Stadtrat vertretenen »Bürgerinitiative Ausländerstopp«, gerne zum Freiheitskämpfer gegen die »BRD-Justiz«. Am 8. März demonstrierten Mitglieder der Kleinstpartei »Die Rechte« und Organisatoren des örtlichen Pegida-Ablegers unter dem Motto »Freiheit für Gerd Ittner und alle politischen Gefangenen!« vor dem Nürnberger Gefängnis.
Als Beruf gibt Ittner »Sachwalter des Deutschen Reiches« an. Unter anderem fordert er Straftatbestände für »Bombenholocaustleugnung« und »Vertreibungsvölkermord«. Er ist jedoch nicht nur Verschwörungsideologe und Revisionist. Er trat ab den neunziger Jahren vor allem in Thüringen und Sachsen als Redner auf – unter anderem beim »Thüringer Heimatschutz«, zu dem auch die späteren NSU-Mitglieder Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe gehörten. Ittner sprach 2002 auch auf dem »Thüringentag der Nationalen Jugend«, organisiert von Ralf Wohlleben, einem mutmaßlichen Unterstützer des NSU, der wegen Beihilfe zum Mord im NSU-Verfahren angeklagt ist.
Für diese Verbindung hat sich auch die Bundesanwaltschaft interessiert und Ittner 2013 mehrere Stunden lang verhört. Zu der Befragung äußerte sich Ittner in der Nürnberger Zeitung per Brief aus dem Gefängnis. »Man wollte von mir wissen, ob ich die drei Leute vom NSU kenne bzw. kannte.« Er habe angegeben, dass er die Personen »vor dem Aufkommen dieser Geschichte noch nicht einmal dem Namen nach kannte«, so Ittner. Wohlleben bezeichnete er als »politisch und menschlich tadellosen Kameraden« und »intelligenten, rhetorisch begabten Politiker«.
Die Nähe zu Wohlleben ist nicht die einzige mögliche Verbindung Ittners zum NSU. Auf dem »Schlesier-Treffen« soll Ittner 2001 zusammen mit der damals in Mittelfranken wohnhaften, aber aus dem Vogtland kommenden Mandy S. – Szenename »White-Power-Mandy« – Flugblätter verteilt haben. Mit ihren Ausweispapieren verhalf Mandy S. Beate Zschäpe zu einer falschen Identität.
In keiner anderen Stadt hat der NSU nach derzeitigen Erkenntnissen so viele Menschen ermordet wie in Nürnberg. Enver Şimşek wurde am 9. September 2000 mit acht Schüssen aus zwei Pistolen niedergeschossen. Er starb zwei Tage später im Krankenhaus. Abdurrahim Özüdoğru wurde am 13. Juni 2001 mit zwei Kopfschüssen regelrecht hingerichtet. İsmail Yaşar wurde am 9. Juni 2005 mit fünf Schüssen in Kopf und Oberkörper getötet.
Ittner verteilte am 26. August 2000 in Nürnberg Flugblätter, mit denen er das »Unternehmen Flächenbrand« ausrief und ankündigte: »1. September 2000 – Von jetzt ab wird zurückgeschossen«. Der Text endet mit dem Satz: »Weitere Anordnungen abwarten (Mittwochsdossier bzw. Angriff)«. Wenige Tage später starb Enver Şimşek.