Debatte über die Einführung eines »Bürgertickets«: Eine Pauschale würde den ÖPNV attraktiver machen

Raus aus der Wabe

Eine Pauschale für Bus und Bahn könnte das absurde Tarifsystem ablösen und den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) attraktiver machen.

Die verpflichtende Zahlung für den öffentlichen Nahverkehr mag abschreckend wirken: »Wozu soll ich für etwas bezahlen, das ich gar nicht nutzen will oder kann?« Es ist gesellschaftlicher Konsens, dass wir alle des Öfteren für etwas aufkommen müssen, obwohl wir es kategorisch ablehnen. So zahlen auch Radfahrer für Autobahnen, ohne ein Auto zu besitzen. Die Politik entscheidet, welche Maßnahmen aus dem großen Steuertopf finanziert werden, die dann der All­gemeinheit zur Verfügung stehen. Was viele nicht wissen: Zwei Drittel aller Busse und Bahnen existieren nicht, wenn diese nicht bereits aus öffentlichen Mitteln subventioniert werden würden – dennoch haben die Bürger nur dann ein Zugangsrecht, wenn sie eine Fahrkarte erwerben. Jedoch tragen die Fahrgeldeinnahmen im Schnitt nur ein Drittel zur Refinanzierung des ÖPNV bei.
Um den vermeintlich höchsten Gerechtigkeitsgrad zu erreichen (jeder zahlt das, was er nutzt) und um die Zahlungsbereitschaft optimal abzuschöpfen, werden ausdifferenzierte und undurchsichtige Tarife, künstliche Grenzen in Wabenform und sonstige Zugangsbeschränkungen aufrechterhalten. Das Tarifsystem ist eine Spielwiese verfehlter Verkehrspolitik und erfüllt eine marktwirtschaftliche Alibifunktion. Zwar ver­einfacht das E-Ticketing den Zugang zum ÖPNV, verschleiert allerdings die vielfältigen Tarife. Niemand wird sich in den Zug setzen, ohne abschätzen zu können, wie viel er am Ende des Monats zahlen muss. Trotz Bestpreisabrechnung kann bei unerwartet hohen Kosten ein unerwünschter ­Effekt ausgelöst werden: Es wird weniger ÖPNV gefahren. Wir brauchen aber mehr ÖPNV!

Angesichts der zukünftigen Herausforderungen ist ein Umdenken zwingend notwendig: Die gegensätzliche Einwohnerentwicklung zwischen Stadt und Land sowie die Änderung der Altersstruktur wird die Mobilitätsbedürfnisse verändern. Zudem erfordern die Klimaschutzziele ein gut ausgebautes Nahverkehrssystem. Das alles ist nur mit einer sicheren Finanzierungsbasis zu schaffen, die zuverlässig und dauerhaft zur ÖPNV-Nutzung motiviert.
Die regelmäßigen Fahrpreiserhöhungen können die betrieblichen Kostensteigerungen (Energie und Personal) ohnehin nicht kompensieren. Sollten Bund und Länder in Zukunft nicht zusätzliche öffentliche Gelder bereitstellen, droht die ÖPNV-Branche bereits mit umfangreichen Leistungskürzungen. Die Bürger sollen also mit ihren Steuern den ÖPNV stärker unterstützen – ohne eine unmittelbare Gegenleistung zu erhalten. Das ist unfair!

Ein monatlich zu zahlender Solidarbeitrag für ein Bürgerticket hätte einerseits den Vorteil, dass alle Bürger den ÖPNV ohne tarifliche Zugangs­beschränkungen nutzen dürfen. Andererseits wirkt die Zahlungsverpflichtung motivierend auf die ÖPNV-Nutzung. Da das ÖPNV-Angebot ohnehin massiv erweitert werden müsste (mehr Linien, besserer Takt), bekäme jeder für das gezahlte Geld eine faire Gegenleistung. Kritiker befürchten allerdings einen unnötigen Mehrverkehr sowie den ökologisch unvorteilhaften Umstieg von Fußgängern und Radfahrern. Diese Vorurteile sind auf zweifelhafte Studien zurückzuführen und insgesamt unbegründet: Jeder nutzt den ÖPNV dann, wenn er es für angemessen hält. Monatskartenbesitzer fahren auch nicht den ganzen Tag im Kreis herum, nur weil es mit keinerlei Zusatzkosten verbunden ist.
Und: Wieso gibt es solche Befürchtungen nicht beim PKW-Verkehr? Was berechtigt Autofahrer dazu, ihre Brötchen 500 Meter weit durch die Gegend zu kutschieren, eine halbe Stunde einen Parkplatz zu suchen oder anderthalb Tonnen Eisen über Hunderte Kilometer spazieren zu fahren? Wieso hat nicht jedes Auto einen Taxameter mit entsprechend kompliziertem Tarifsystem?
Ja, es ist immer einfacher, vorhandene Strukturen weiterzuführen. Aber es lohnt sich, sich mit dem Bürgerticket als alternativer Finanzierungsform zu befassen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu erarbeiten: Wie lässt sich eine sozial ausgewogene Zahlungsverpflichtung etablieren? Welche betrieblichen Voraussetzungen müssen bewältigt werden? Wäre eine landes- oder bundesweite Freifahrt sinnvoll (ähnlich wie beim Autoverkehr)? Welche Maßnahmen müssten zur Minimierung des PKW-Verkehrs parallel verfolgt werden? Wie lassen sich Car- und Bikesharing-Angebote in das Modell integrieren?
Wie auch immer: Das Bürgerticket hat das Potential, eine deutliche Verlagerung auf den ÖPNV zu bewirken und wäre damit ein tragendes Element einer nachhaltigen Verkehrspolitik. Daher ist eine sachliche Diskussion geboten.

Der Autor ist Doktorand am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.