Die internationale Kritik am israelischen Wahlergebnis

Ungeliebte jüdische Souveränität

Der Wahlerfolg Benjamin Netanyahus wird in deutschen wie in arabischen Medien scharf kritisiert. Dass es für Israelis Gründe gegeben haben könnte, am bisherigen Ministerpräsidenten festhalten zu wollen, wird nicht einmal in Erwägung gezogen.

Die Israelis haben ein neues Parlament gewählt – und es tatsächlich gewagt, sich dabei nicht mehrheitlich so zu verhalten, wie deutsche Medien es gerne gehabt hätten. »Bloß nicht wieder Netan­yahu!«, hatte ihnen etwa Spiegel Online vor der Wahl zugerufen. Doch was haben die dreisten Israelis getan? Sich einfach widersetzt! Dabei ist es mit dem jüdischen Staat doch so: Er darf schon irgendwie existieren, da ist man hierzulande to­lerant und großzügig. Aber er soll sich nicht wehren, wenn er angegriffen wird. Er soll denjenigen, die ihn am liebsten von der Landkarte tilgen würden, so schnell wie möglich einen eigenen Staat geben. Und seine Bürger sollen auf dem Wahlzettel gefälligst keine Parteien ankreuzen, die – eine Nummer kleiner hat man es einfach nicht – der »Todesstoß für den Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern« wären, wie die Taz es exemplarisch formuliert hat.
Halten sich die israelischen Wähler nicht an diese ungebetenen Ratschläge, reagieren deutsche Kommentatoren äußerst ungehalten. Wenn Netanyahu – der aller Voraussicht nach Ministerpräsident des Landes bleiben wird – halte, was er verspreche, mache das »einen palästinensischen Staat unmöglich«, zürnte etwa die Zeit. Und schickte gleich eine als Forderung getarnte Warnung hinterher: »Das darf die internationale Staatengemeinschaft Netanyahu nicht mehr durchgehen lassen.« Die Süddeutsche Zeitung fand, Netanyahu habe »vom Führerhaus eines Bulldozers aus die gesellschaftlichen Gräben vertieft« und seinen Wahlerfolg »mit einer finsteren Strategie erkämpft«, indem er »eine Kampagne der Angst und der Abgrenzung geführt« habe, die »nicht ohne Folgen bleiben« werde. Einen »Sieg der Panik« habe er errungen, glaubte man bei Spiegel Online, ein »Rechtsruck« drohe nun, ließ das ARD-Hörfunkstudio in Tel Aviv verlautbaren. Nicht wenigen Kommentaren merkte man die Mühe an, die es ihre Verfasser kostete, das eigene Missfallen über die jüdische Souveränität nicht offen zu äußern.
Auch in den arabischen Ländern wurde Netanyahus Triumph negativ kommentiert. Unter einer von diesem Ministerpräsidenten geführten Regierung sei eine Zweistaatenlösung »unmöglich«, sagte der palästinensische Präsident Mahmud Abbas, der die palästinensische Bevölkerung seit fünf Jahren auf Wahlen warten lässt und dementsprechend längst über keine demokratische Legitimation mehr verfügt. Von der Hamas wurde Abbas aufgefordert, keinerlei Verhandlungen mehr mit Israel zu führen. Die der islamistischen Terrororganisation Hizbollah nahestehende libanesische Zeitung al-Akhbar klagte, Israel halte »am Radikalismus fest«.
Womöglich hatten die israelischen Wähler aber gute Gründe, nicht so zu entscheiden, wie man ihnen das in Deutschland und der arabischen Welt empfohlen hatte. Der Abzug aus dem Gazastreifen 2005 hat ihnen weder Sicherheit noch Frieden, sondern vielmehr einen permanenten Raketenhagel seitens der Hamas und diverse Kriege eingebracht. Die Lage in den Nachbarländern ist höchst beunruhigend und die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm tut ein Übriges, die Angst der Israelis, über die man in Deutschland den Kopf schüttelt, jedenfalls nicht abwegig erscheinen zu lassen.
Es mag sein, dass Netanyahus voraussichtliche Wiederwahl die internationale Isolation Israels – die man in deutschen Medien weniger befürchtet denn vielmehr als gerechte Strafe betrachtet – verstärkt. Nur ist das nicht automatisch ein richtiges Argument gegen die israelische Außenpolitik, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass der jüdische Staat in einer existenzbedrohenden Situation allein gelassen wird. Und weshalb sollte er auf die Warnungen aus Europa hören, wo man – wie sich durch die Anschläge in Toulouse, Brüssel, Paris, Kopenhagen und andernorts zuletzt wieder einmal gezeigt hat – nicht einmal die eigene jüdische Bevölkerung zu schützen imstande ist?
Ein positives Echo vor allem in der arabischen Welt fand dafür der Erfolg der Vereinigten Arabischen Liste. Talal Arslan, ein drusischer Abgeordneter des libanesischen Parlaments, gratulierte den israelischen Arabern zum »ausgezeichneten Ergebnis«, das »der Beginn einer historischen Wende in der Region« sei. Dieser Zuspruch aus dem Ausland ist scheinheilig. Nicht nur aufgrund des Wahlrechts hat die in Israel lebende arabische Bevölkerung mehr Rechte als in jedem anderen Land des Nahen Ostens. Umgekehrt wäre es undenkbar, dass eine jüdische Partei in einem arabischen Staat existieren, kandidieren und drittstärkste Kraft werden könnte. Und das nicht nur deshalb, weil in den arabischen Ländern ohnehin kaum noch Juden leben.