Die irren politischen Ansichten von Xavier Naidoo

Wie ein Gallier

Xavier Naidoo versteht sich als »Wahrheitsfinder«, der durchschaut hat, welche Mächte die Welt beherrschen. Mit Verschwörungstheorien will er nichts zu tun haben.

Normalerweise führt ein Auftritt vor NPD-Anhängern, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, wie ihn der Soulsänger Xavier Naidoo im vergangenen Herbst vor dem Reichstag hingelegt hat, schnurstracks in die gesellschaftliche Isolation. Nicht so bei dem 43jährigen. Nach einigen harschen Kritiken in verschiedenen Zeitungen und der obligatorischen Distanzierung der Mannheimer Lokalpolitik legte sich der Sturm der Entrüstung schnell wieder. Der Privatsender Vox teilte Anfang dieses Jahres mit, dass er eine zweite Staffel der Show »Sing meinen Song« mit dem prominenten Mannheimer als Gastgeber produziert. Als Grund für die weitere Zusammenarbeit gab der Sender an, dass Naidoo sich von den Vorwürfen distanziert habe. »Von daher gibt es für uns keinen Anlass, unsere Pläne mit ihm zu ändern.«
Sehr schnell stellte sich die Distanzierung des Sängers jedoch als Lippenbekenntnis heraus. In einem fünfseitigen Interview erklärt der ehemalige Dozent der Mannheimer Popakademie Anfang März gegenüber dem Magazin Stern, warum er nicht glaube, dass der 11. September 2001 »so abgelaufen ist, wie es in den Medien und von der Politik dargestellt wurde«. Außerdem beklagt sich Naidoo erneut darüber, dass »Deutschland kein souveränes Land« sei, weil »die Amerikaner uns überwachen« dürften. »Der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth ist den geheimen Vereinbarungen zwischen den Amerikanern und der Bundesregierung nachgegangen. Sie existieren wirklich«, raunte er ganz geheimnisvoll. Und der Stern druckte es ab.
Naidoo spult in diesem Interview das gesamte Programm all seiner bekannten Verschwörungstheorien ab. Über die Finanzkrise habe er Jahre zuvor Bescheid gewusst, aus seiner Sicht hätte Deutschland »niemals in dieser Krise stecken müssen«, weil Naidoo bereits 2005 im Song »Abgrund« prophetisch darauf hingewiesen habe. Aber die Politik hatte versäumt, auf den Mannheimer Wahrsager zu hören. Gerne geriert er sich als der große Freiheitskämpfer. Auf die Frage, wieso er im Song »Raus aus dem Reichstag« die jüdische Bankiersfamilie Rothschild als »Füchse« bezeichnet, antwortet er, dass man »gerade als Künstler die Dinge beim Namen nennen« müsse, »wenn Leute weiter ihre Machenschaften treiben«. Er sieht sich keineswegs als »Verschwörungstheoretiker«, sondern bevorzugt lieber die Bezeichnung »Wahrheitsfinder« und beschreibt sein Innenleben als das eines trotzigen Kindes: »Und wenn mir jemand sagt, das darf man nicht sagen, dann mache ich es wahrscheinlich erst recht.«
Der ehemalige Chefredakteur von Rap.de, Marcus Staiger, bezeichnete Naidoo bereits vor einigen Jahren als christlichen Fundamentalisten, dessen gesamtes Werk die Beschwörung »einer gewissen Highlander-Romantik, eines völkischen Heroismus, in dem unentwegt einer aufsteht, einer sich erhebt, eine messianische Lichtgestalt, der eine, der von der Vorsehung Auserwählte, der die Massen mitreißt und in die Schlacht führt und am Ende das Dunkle vernichtet«, durchziehe. Im Interview mit dem Stern bestätigt Naidoo dies einmal mehr. So wusste er frühzeitig, dass »es aufgrund der überwiegend russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine zu Schwierigkeiten kommen« könne. Er halluziniert sich als David, der »immer gegen die Großen« kämpft, egal ob es sich dabei um »Obama oder die Rockefellers« oder ganz allgemein um »Menschen mit Macht« handelt. Ob Horst Köhler, »die katholische Kirche, die Politiker, die Banker«, niemand ist vor dem Mannheimer Künstler »mit dem Gespür für manche Dinge« sicher.
Die Empörung in der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. 1999 gab Naidoo dem Musikexpress ein aufschlussreiches Interview. Neben allerhand religiösem Erweckungsnonsens antwortet er auf die Frage, ob ein Amerikaner weniger wert sei als ein Mannheimer: »Natürlich nicht. Aber ich muss als erstes sagen: Bevor ihr uns diktiert, was wir zu tun haben, hört erst mal auf, uns mit eurer Musik zuzuscheißen. Alles ist amerikanisiert. Da muss ich doch wie ein Gallier dagegen angehen, gegen diese blinde Verherrlichung Amerikas. Gegen die Art, wie Amerika mit der Welt umgeht. Keine Demut, keine Achtung. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Und als Schwarzer kann ich das ohne irgendwelche Hintergedanken sagen.«
Manisch bezieht er sich auf krude Weltuntergangsphantasien, in denen es beinahe immer um die USA geht. So habe er »konkret aus der Bibel« herausgelesen, dass Amerika untergehe. Aber »nicht nur Amerika. Auch Frankfurt ist Babylon, London und Tokio. Babylon ist überall. Aber Amerika und Tokio sind ganz oben auf der Abschussliste.« Seine grenzenlose Abneigung richtete sich aber nicht nur gegen die Amerikaner. Bevor er »irgendwelchen Tieren oder Ausländern Gutes tue«, lässt sich Naidoo zitieren, »agiere ich lieber für Mannheim«. Er bezeichnete sich damals als »ein Rassist ohne Ansehen der Hautfarbe«. Und schließlich verstieg er sich zu der Aussage: »Ich bin nicht mehr Rassist, als jeder Japaner das auch ist.«
Antiamerikanismus ist keine Ausnahmeerscheinung in diesem musikalischen Genre, sondern unter deutschsprachigen Rappern und Soulsängern verbreitet. Programmatisch steht dafür die EP »Gotting« von Absolute Beginner aus dem Jahre 1993. Damals beklagten sich die Hamburger in ihrem Song »Dies ist nicht Amerika« darüber, dass in deutschen Städten »die dunkle Seite des US-Lebensstandards als Ideal« übernommen werde. Sie sahen »Imitation hier überall« und riefen ihre Mitstreiter aus der deutschen Rapszene dazu auf, »nicht in die USA, sondern nach Europa« zu schauen und bitte ja »kein Gehabe und Gelaber von da drüben« zu klauen. Jan Delay und Denyo waren damals noch nicht volljährig und es mag ihnen vor allem um die »Gangsterscheiße« gegangen sein, die in ihren Augen von deutschen Rappern übernommen wurde. Aber es stand auch »die Frage im Raum, US-Kultur übernehmen oder eine eigene baun« – worunter man sich eine »Mischkultur« vorstellte. Und im Refrain wiederholte sich dann immer wieder die Punchline: »Dies ist nicht Amerika!«
Im selben Jahr, als Xavier Naidoo mit dem Musikexpress sprach, veröffentlichte der Soulsänger Max Herre mit seiner Band Freundeskreis das Album »Esperanto«. Nicht ganz leicht zu verstehen, aber umso aussagekräftiger zwischen den Zeilen, textete er damals im Lied »Revolution der Bärte«: »Das Pentagramm kreuzt den pentagonschen Masterplan, aus den Weiten Kasachstans bis in die Höhen des Golan erklingt die Stimme der Massen righteous wie Rasta-Chants, Philister müssen gehen, sie ham’ zu lange abgesahnt, nehmt Ministern die Diäten, dass sie fasten wie an Ramadan, bald werden Köpfe rollen, weil jetzt andere an die Töpfe wollen, auch aus dem Vollen schöpfen wollen, ihr’n Tribut nicht falschen Götzen zollen, weil der Tanz ums goldene Kalb nicht ungescholten bleibt.«
Die Inszenierung als deutsche Rapper beziehungsweise Soulsänger, die zwar eine amerikanische Subkultur adaptieren, aber sich genau davon distanzieren, endet nicht selten in deutschnationalen Parolen. So rappt das multiethnische Berliner Quartett Zyklon Beatz gegen »MCs, die mit peinlichen Amibeats prollen«, und propagiert dagegen den Dreiklang »deutsche Frauen, deutscher Rap, deutsches Bier«.