Islamistischer Terror in Tunesien

Zwei, drei, viele Jihadisten

In Tunis haben Gotteskrieger ein Massaker unter Touristen angerichtet. Aber die genauen Umstände der Tat sind Tage nach dem Gemetzel noch nebulös.

»Tunesien, das Land, das den Jihadisten Angst macht«, war der Titel eines Editorial von Le Monde, das vorige Woche nach dem Anschlag auf das Bardo-Museum in Tunis publiziert wurde. Das ging an der Realität vorbei. Zwei junge Männer mit Kalaschnikows hatten am Mittwochmittag 23 Touristen und einen Polizisten vor und in dem Nationalmuseum erschossen, das in einem Flügel des großen Gebäudes untergebracht ist, in dem sich auch das tunesische Parlament, die Versammlung der Volksvertreter, befindet. Nach dem Gemetzel wurden die zwei Angreifer von einer Antiterroreinheit erschossen. Der Schock sitzt tief: Nun haben Jihadisten in der tunesischen Hauptstadt zugeschlagen, in einer Zone, die wegen des Parlaments besonderen Sicherheitsvorkehrungen unterliegt. Und die Befürchtungen, der Tourismus, einer der wichtigsten Sektoren der tunesischen Ökonomie, könnte durch den Anschlag schwer beeinträchtigt werden, sind groß. Die italienischen Eigner der Kreuzfahrtschiffe, von denen die meisten der Getöteten stammten, haben angekündigt, in nächster Zeit Tunesien nicht mehr anzusteuern.

Noch immer sind die genauen Umstände der Tat nebulös. Wollten die Angreifer zunächst das Parlament attackieren, wie es einige Abgeordnete nahelegen, und wurden durch Sicherheitskräfte davon abgehalten? Waren einige der zum Schutz des Parlaments abgestellten Sicherheitskräfte während des Angriffs in der Cafeteria, um Mittagspause zu machen? Was ist mit einem eventuellen dritten, noch flüchtigen Tatbeteiligten, den der tunesische Präsident Béji Caid Essebsi am Sonntag in einem Fernsehinterview erwähnte? In welchem Verhältnis stehen die mindestens zehn nach dem Anschlag von tunesischen Ordnungskräften Verhafteten zur Tat? Am Montag jedenfalls entließ Ministerpräsident Habib Essid persönlich sechs hochrangige Polizeibeamte, unter anderem den Polizeichef von Tunis und den des Vororts Le Bardo, in dem sich das Museum befindet, sowie den Chef der Touristenpolizei. Offiziell war von Sicherheitsmängeln die Rede.
Die beiden erschossenen Täter wurden nach Angaben von Ministerpräsident Essid vom Donnerstag identifiziert als Yassine Abidi, der aus dem Stadtteil Ibn Khaldoun aus Tunis stammte, und Hatem Khachnaoui aus Kasserine, einer Stadt im Südwesten des Landes. Nach Angaben des für Sicherheitsfragen zuständigen tunesischen Staatssekretärs handelt es sich um »zwei extremistische salafistische takfiristische Elemente. Sie haben das Land im vergangenen Dezember klandestin in Richtung Libyen verlassen und konnten sich in Libyen an Waffen ausbilden«; dann seien sie nach Tunesien zurückgekehrt. Die Details seien nicht geklärt, aber es gebe für Tunesier in Libyen Trainingslager in Sabrantha, in Bengasi und in Derna. Bereits vor seiner Abreise nach Libyen sei Yassine Abidi festgenommen worden; weitere Details sind nicht bekannt. Die beiden Männer seien »suspekte Elemente«, ein Teil dessen, »was man Schläferzellen nennt, gebildet aus in den Städten präsenten Elementen, die bekannt sind«.

Am Donnerstag reklamierte der »Islamische Staat« das Attentat auf das Bardo-Museum für sich. »Zwei Ritter des Staats des Kalifats, schwer bewaffnet mit Maschinengewehren und Granten«, hätten zugeschlagen. Bereits eine Stunde nach dem Gemetzel zirkulierte auf den einschlägigen Websites der Jihadsympathisanten das Schlagwort »die Eroberung von Tunis«. Aber es ist derzeit nicht klar, ob die Attentäter tatsächlich Verbindungen zum IS, der mittlerweile auch in Libyen agiert, hatten, oder möglicherweise zu anderen jihadistischen Gruppen. Denn bereits am Dienstag, also einen Tag vor der Attacke auf das Bardo-Museum, hatte Le Monde zufolge Wanas al-Fakih – ehemaliges Mitglied der tunesischen salafistischen Ansar al-Sharia, mittlerweile steht er al-Qaida im Maghreb (Aqmi) nahe – das Innenministerium in einer Audionachricht bedroht und angekündigt, in den kommenden Tagen sei mit Aktionen zu rechnen. Insbesondere rief er die der Aqmi zugerechnete Brigade Oqba ibn Nafi zur Tat auf. Die Brigade agiert in den Bergen nahe der algerischen Grenze und soll aus einigen Dutzend Jihadisten bestehen. Zuletzt hatte die Brigade am 17. Februar vier Nationalgardisten getötet.
Noch zu Beginn voriger Woche hatten die tunesischen Behörden verkündet, vier Zellen, die jihadistische Kombattanten für Libyen rekrutierten, zerschlagen und etwa 30 Personen verhaftet zu haben. Kurz darauf präzisierte Ministerpräsident Essid, seit dem Beginn seiner Amtszeit – am 6. Februar – seien 400 Jihadisten verhaftet worden. Tunesien ist das Land, das die meisten Jihadisten exportiert, nach Schätzungen sind mindestens 3 000 Tunesier im Irak und in Syrien als Gotteskrieger unterwegs. Der Bürgerkrieg im Nachbarland Libyen verschärft die Situation zusätzlich. Die Grenzen sind durchlässig, an Waffen, die aus Libyen ins Land geschmuggelt wurden, herrscht kein Mangel.
Die Reaktionen auf das Massaker ließen nicht lange auf sich warten. Bereits am Abend demonstrierten Hunderte gegen den Terror vor dem Museum. Die Organisatoren des Weltsozialforums ließen sich nicht einschüchtern. Trotz des Terrors findet das WSF statt, zum zweiten Mal in Folge in Tunis. Die Organisatoren kündigten für Dienstag, den Eröffnungstag des WSF, eine Solidaritätsdemonstration an, die vor dem Museum enden sollte. Und für den kommenden Sonntag hat der Parlamentspräsident zu einer Großdemonstration in Tunis aufgerufen, an der sich auch internationale Gäste beteiligen sollen.