Sonja Eismann über die Autobiographie von Kim Gordon

Cool Gordon

Kim Gordon wird Ende des Monats 62. Ihre Autobiographie lässt einen neidisch werden – auf das, was sie bereits erlebt hat, und auf alles, was noch kommen wird.

Sieh sie dir an, dachte ich: Sie waren ineinander verliebt, haben geheiratet und Kunst gemacht. Sie waren cool und hardcore, gingen ihrer Kunst mit einer tiefen Ernsthaftigkeit nach, und sie haben sich weder verkauft, noch sind sie irgendwann weich geworden. (…) Während sie Erfolg hatten, waren auch wir erfolgreich.« So beschreibt die amerikanische Autorin Elissa Schappell auf der Website Salon.com die Vorbildfunktion des Rock ’n’  Roll-Ehepärchens Number one, Kim Gordon & Thurston Moore. Immer cool! Hip sowieso! Dazu noch berühmt! Und trotzdem unabhängig! Ewig verliebt! Mit gemeinsamem Kind! Das ebenso cool zu werden verspricht! Kein Wunder, dass die beiden Köpfe der Indie-rockband Sonic Youth die Generationen X, Y und vielleicht sogar noch Z, die ratlos auf einen Scherbenhaufen traditionell-romantischer Beziehungen und pulverisierter Alternativkulturambitionen starrten, zum Träumen brachten.
Und wo findet sich diese feurig-sentimentale Charakterisierung der großen Neunziger-Role-Models nun als Zitat wieder? Im ersten Kapitel der soeben erschienen Autobiographie von eben jener Kim Gordon, in dem sie ihr Leben von seinen kindlichen Anfängen in Rochester, NY, bis zum unverbrüchlichen Ikonenstatus in der Gegenwart nacherzählt. Und dabei auch jenen Fakt nicht ausspart, der besagte Elissa Schapell zum Weinen brachte: dass weder die Band Sonic Youth noch die Ehe zwischen Kim und Thurston heute noch existieren.
Nachdem im Oktober 2011 bekannt wurde, dass die Beziehung zwischen Gordon und Moore beendet und damit auch das Schicksal der Band besiegelt sei – und man sich selbst überrascht dabei ertappte, wie man fieberhaft und latent hasserfüllt im Netz nach Fotos und Informationen zu der »anderen Frau« suchte, die der Grund für das Eheaus nach 27 Jahren war –, standen vor dem Lesen der Memoiren einige große Fragezeichen. Denn, abseits von etwaigen monetären Aspekten, die bei (Ex-)Mitgliedern von Bands wie Sonic Youth, deren Plattenverkäufe nie mit dem Ausmaß kultischer Verehrung, das ihnen entgegen gebracht wurde, mithalten konnten, sicher auch nicht ganz unwesentlich sind (Tochter Coco Gordon Moore hat gerade das College begonnen …), will der Zeitpunkt und Rahmen solch einer introspektiven Retrospektive wohl überlegt sein.
Warum genau jetzt? Über welche Person schreibt Gordon primär – über die Künstlerin oder die Privatperson? Und natürlich: Wird die Trennung Thema sein oder mit der Gordonschen Coolness ignoriert? Bereits die ersten Seiten geben Aufschluss: Das Zerbrechen der Ehe bildet die Klammer des Buchs. Das Eröffnungskapitel ist, schön unkonventionell, »Das Ende« betitelt, und die Autobiographin beschreibt darin mit überraschender Offenheit die Bitterkeit beim letzten gemeinsamen Konzertauftritt als getrenntem Paar, das noch mal all die gemeinsamen Lieder singen muss.
Doch Gordon weigert sich, sich durch dieses Ende definieren zu lassen. Sie holt weit aus und beschreibt ihr coming-of-age als Künstlerin – und sie gibt dabei ihrer Identität als bildende Künstlerin weitaus mehr Raum als der der Musikerin – von der Kindheit weg. Es sind diese bisher wenig dokumentierten Erinnerungen aus Kindheit, Jugend und Studienzeit, die die interessantesten Passagen des Buchs bilden. Als Tochter eines renommierten Jugendsoziologen und einer unterforderten, kreativen Hausfrau, die mit ihren zwei Kindern von der Ostküste nach Los Angeles und von dort aus jeweils für ein Jahr nach Hawaii und Hongkong zog, ist die nach eigenen Aussagen früh an Sexualität interessierte Kim Teil einer Bildungsboheme der Sechziger, die sich mit dem Glamour der in L.A. omnipräsenten Filmindustrie verbindet.
Der Einfluss der Manson-Family liegt als unbestimmte Bedrohung in der Luft und vermischt sich in Gordons Erinnerungen mit dem Schicksal ihres »brillanten« älteren Bruders, dessen Idiosynkrasien sich bald als ausgewachsene Schizophrenie entpuppen sollten. Die junge Kim Gordon hat eine stürmische Highschool-Affäre mit Danny Elfman, der heute vor allem als Komponist des Simpsons-Titelsongs bekannt ist, und baut für Larry Gagosian, mittlerweile einer der mächtigsten Kunsthändler der Welt, Bilderrahmen für billige Kunstdrucke zusammen. Während man die kurzen, schlicht, aber nicht unpoetisch geschriebenen Kapitel mit unbändiger Neugierde und einer Mischung aus Bewunderung und Neid ob dieses von Beginn an so coolen Lebensstils verschlingt, schleicht sich bald ein Verdacht ein, der sich bis zum Ende des Buchs bestätigen wird: Kim Gordon ist in ihrem Leben fast nur bedeutenden, (später) berühmten Menschen begegnet – zumindest bevölkern ausschließlich diese ihre Rückblicke: Dan Graham, Mike Kelley, Richard Kern, Kurt Cobain, Spike Jonze, Sofia Coppola und noch so viele mehr, dass man sich fragt, ob ein Leben als (Boheme-)Celebrity bedeutet, dass man keine normalen Leute kennt oder ob man sie derart langweilig findet, dass sie nicht erwähnt werden. Oder hat der Verlag Druck gemacht, die Gossip-Quote zu erfüllen?
Saftigen Gossip und prägnante Meinungen, die gibt es jedenfalls zuhauf. Lydia Lunch, die Kim »ein wenig Angst« machte, habe immer wieder versucht, Thurston zu verführen. Larry Gagosian, der bis heute mit Kim in Kontakt steht und Ausstellungen für sie organisiert, habe herumerzählt, er habe eine Affäre mit ihr gehabt, was aber nicht stimme. Was an dem denkwürdigen Lollapalooza-Abend 1995 der tatsächliche Auslöser dafür war, dass Courtney Love (ihre Nase sah in frühen Tagen angeblich so aus, als hätte ihre Mitbewohnerin versucht, bei ihr »eine improvisierte Nasenkorrektur durchzuführen«) Kathleen Hanna eine reinsemmelte, erfahren wir zwar nicht. Dafür aber, und das ist durchaus bemerkenswert, dass die bis heute superschlanke Kim Gordon Madonna in ihren Anfangstagen »ein bisschen pummelig« fand. Diese beiläufige Charakterisierung ist deswegen interessant, weil sie indirekt Aufschluss über eine der Leerstellen des Buchs gibt. Denn wie Gordon, die als einzige Frau in der Band die medial beliebte Rolle der »Ausnahmefrau« einnahm, mit dem auch in Alternativmilieus herrschenden Druck umging, als Frau auf der Bühne und in der Öffentlichkeit immer auch begehrenswert, schlank und jugendlich zu erscheinen, darüber schreibt sie nichts. Auch darüber, wie es ist, vor den Augen einer Gesellschaft, die den Verlust von Jugendlichkeit bei Frauen mehrheitlich als grobe Fahrlässigkeit und selbstverschuldetes Versagen betrachtet, als coole Musikerin zu altern, schweigt sie leider (wie auch über ihre Brustkrebserkrankung in der Zeit ihrer Scheidung). Dabei wäre es doch so erfrischend, neben den vielen ergrauten, selbstbewussten Rock-Opis auch eine unerschütterliche Indie-Seniorin zu haben, die potentiellen Nachfolgerinnen mit ihrem Buch eine Anleitung an die Hand gibt.
Obwohl das Buch chronologisch alle wichtigen Stationen von Gordons Leben und des Weltgeschehens abhandelt – Umzug nach New York, Bildung der Band, Hochphase in den Neunzigern, Gründung und Verkauf des Kleiderlabels X Girl, Tod Kurt Cobains, Geburt
der Tochter, 9/11, Umzug aufs Land, Trennung, Weitermachen –, bleiben die Reflektionen auf die Ereignisse merkwürdig flach. Gerade die Erinnerung an die wichtigsten Sonic-Youth-Momente kommt wie eine Pflichtübung daher, wie auch das Entstehen der Band eher leidenschaftslos erzählt wird.
Dabei hätte man doch so gerne aus erster Hand gewusst, wie es denn nun wirklich ist, das »girl in a band« zu sein, wonach nervige Journalisten immer wieder gefragt hätten. All das, was junge musikinteressierte Mädchen immer noch viel stärker umtreibt als musikinteressierte Jungs, weil sie nach wie vor weniger Vorbilder haben: Wie kam es, dass sie Bass gelernt hat? Wie waren ihre Erfahrungen mit Musikhändlern, Roadies, Technikern? Wie lässt sich die oft sexistische Medienberichterstattung aushalten?
Vielleicht ist das Schweigen über diese Themenkomplexe ja Strategie: Indem sie diese ignoriert, will sie möglicherweise zum Verschwinden der Diskriminierungen beitragen. Aber an anderer Stelle lernen wir, dass sie wohl selbst noch nicht so ganz von der Möglichkeit von Gleichberechtigung überzeugt ist, wenn sie darlegt, dass Kindererziehung, egal wie partnerschaftlich man sie angehe, nie »in gleicher Weise Sache von Mutter und Vater« sein könne. Weil es einfach zu lange dauere, bis Frauen den Männern erklärt hätten, wie die Waschmaschine funktioniere, und Männer – Achtung, jetzt wird’s »biologisch« – eben nicht stillen können und niemals die »gleiche Dringlichkeit spüren, dieses unbändige Verlangen, das Weinen zu beenden«. Aha. Vielleicht sollten wir uns Kim Gordon in einer weiteren Karriereinkarnation als eine Gallionsfigur der Leche League vorstellen, als Verfechterin des Stillens? Späßchen.
Mit ihrer Autobiographie beweist Gordon nicht nur, dass ihr bisheriges Leben genug Stoff für eine süchtig machende Mixtur aus Erlebnissen und Begegnungen bietet, an denen man zu gerne als Zaungast teilnimmt, sondern auch, dass es nun – eben ohne Ehemann Thurston, obwohl man manchmal das leise Gefühl hat, sie wünsche sich, er lese mit – erst recht spannend, mit vielen Bekanntschaften und künstlerischen Projekten, weitergeht. So ist auch, spätestens am Ende des Buchs, die Frage nach dem »Warum jetzt?« des Buchs geklärt: Es dient nicht nur als Plattform, um sich die Deutungshoheit über das eigene Leben nicht nehmen zu lassen, sondern als klares Statement, dass auch in einer Zukunft ohne Sonic Youth mit Kim zu rechnen sein wird. Ob es der Verehrung zuträglich ist, wenn öffentlich angehimmelte Musikstars sich in Buchform offenbaren, diese Frage bleibt dabei offen. Eines ist jedoch klar: Wenn sie es nicht täten, hätten wir eine Menge köstlichen Gossip weniger.

Kim Gordon: Girl in a band. Kiepenheuer&Witsch, Köln 2015, 352 Seiten, 19,99 Euro