Debatte in den USA über die Gefahren des American Football für die Gesundheit

Folgen der Karriere

Zwei spektakuläre Rücktritte haben im American Football eine alte Diskussion neu entfacht: Wie gefährlich ist die Sportart für die Gesundheit?

Wenn Profisportler ihre Karriere beenden, dann geschieht dies meist, weil sie aus Alters­gründen das Leistungsniveau nicht mehr halten können. Manche treten dagegen zurück, weil sie einfach genug von einem Leben haben, in dem sich alles nur um Sport dreht – oder weil eine Verletzung sie dazu zwingt. Nur ganz wenige geben ihren Sport auf, weil sie weitere Verletzungen und damit langfristige Konsequenzen für ihre zukünftige Lebensqualität oder gar die Lebenserwartung befürchten.
Im American Football gab es im vergangenen Monat gleich zwei Profis, die aus Angst vor Verletzungsfolgen ihre Verträge beendeten. Am 10. März trat mit Patrick Willis einer der besten Inside-Linebacker der Liga nach nur acht Jahren in der NFL bei den San Francisco 49ers zurück. Er habe Angst um seine Füße, begründete er seinen Schritt, noch weiter zu spielen, sei ihm keine Gelenkprobleme wert. Wie ernst es dem 30jährigen war, zeigt ein Blick auf seinen Vertrag, denn hätte er nur eine weitere Woche mit dem Rücktritt gewartet, hätte er einen Bonus in Höhe von fünf Millionen Dollar erhalten, der nur daran geknüpft gewesen wäre, zu einem bestimmten Datum in der Offseason aktiver Spieler der San Francisco 49ers zu sein. Willis hatte schon einige Jahre ein Zehenproblem, das ihn zwang, die vorige Saison nach dem sechsten Spieltag zu beenden und sich operieren zu lassen; die Verletzung galt damit aber eigentlich als geheilt.
Bei den 49ers war man zwar überrascht, aber nicht wirklich besorgt, denn mit Chris Borland hatte man im vergangenen Jahr einen Ersatz gedraftet, der sich als einer der besten Rookies der vergangenen Saison entpuppte. Doch sechs Tage später trat auch Borland zurück, nach nur einer einzigen Saison als Profi. Borland begründete seinen Schritt ebenfalls damit, dass er langfristige gesundheitliche Konsequenzen befürchte. Das Risiko von Gehirnerschütterungen sei ihm einfach zu hoch, sagte er. Jede einzelne vergrößere die Möglichkeit, später an Langzeitfolgen wie ALS, Alzheimer und Parkinson zu erkranken, mit entsprechender möglicher Verringerung der Lebenserwartung.
Football-Spieler in der NFL laufen ein beträchtliches Risiko, nach dem Ende der Karriere zumindest teilinvalide zu sein. Immer wieder zeigen Bilder ehemalige Spieler, die kaum laufen können und nicht einmal mehr in der Lage sind, mit ihren Kindern ein bisschen Basketball zu spielen. Schäden an Rücken, Hüfte und Knien sind häufig, führen zu Einschränkungen in der Mobilität und oft zu Arthritis und chronischen Schmerzen. 40 Prozent der ehemaligen NFL-Spieler leiden an chronischer Gelenkentzündung, bevor sie 60 sind. Vier Fünftel von ihnen leiden unter mittleren bis starken Schmerzen – beide Werte dreimal so hoch wie im Bevölkerungsschnitt.
Der Rücktritt Borlands wird nun als großer Rückschlag für die NFL gewertet. Kopftraumata und deren Folgen waren in den vergangenen Jahren zum großen Thema geworden, zahlreiche Regeländerungen sollten das Risiko von Gehirnerschütterungen minimieren helfen. Besteht während eines Spiels auch nur annähernd der Verdacht auf eine Gehirnerschütterung, muss der Spieler aus dem Spiel genommen werden und sich einem Test unterziehen, bevor er – wenn das Resultat negativ ist – wieder auf das Spielfeld zurückkehren darf. Fällt das Ergebnis positiv aus, darf der Spieler erst dann wieder an einem Spiel oder am Training teilnehmen, wenn er die Gehirnerschütterung auskuriert und das sogenannte concussion protocol bei unabhängigen Ärzten absolviert hat.
Der Fall von Junior Seau hatte dazu beigetragen, dass Gehirnerschütterungen – lange als nicht weiter schlimme Kopfverletzungen angesehene, die halt eben zum Football dazugehörten – ernst genommen wurden. Der Linebacker hatte sich im Alter von 43 Jahren das Leben genommen, die Autopsie ergab, dass Seau an CTE litt, chronisch-traumatischer Enzephalopathie, einer Erkrankung, von der Mediziner lange annahmen, dass sie hauptsächlich Boxer beträfe. Durch schwere Kopftreffer, so war bereits 1954 festgestellt worden, können Spätfolgen wie Gedächtnisverlust, Motorikprobleme, Reizbarkeit und Depressionen auftreten.
In den USA wurde nach den spektakulären Rücktritten allerdings auch gleich die Frage gestellt, ob das Risiko für Footballspieler, dauerhaft zu erkranken, tatsächlich so hoch sei wie allgemein angenommen. Es gebe schließlich auch Gegenbeispiele. Frank Gifford war 1960 von Chuck Bednarik, Spitzname Concrete Charlie (Beton-Charlie), getacklet worden. Dieser Tackle gilt als einer der härtesten, die es in der NFL jemals gab, wobei er auch nach heutigen Maßstäben völlig regelkonform war. Gifford schlug dabei jedoch mit dem Hinterkopf auf den steinhart gefrorenen Boden des Spielfelds auf, erlitt eine sehr schwere Gehirnerschütterung und konnte erst 18 Monate später wieder spielen. Auf seine Lebenserwartung hatte dies allerdings keinen Einfluss: Gifford ist mittlerweile 84 Jahre alt, während Bednarik im Alter von 89 Jahren diesen Monat starb, nachdem er seiner Tochter zufolge jahrelang an Alzheimer gelitten hatte.
Einzelfälle mit anderen Einzelfällen zu vergleichen, ist jedoch nicht weiter aussagekräftig, zumal die tatsächlichen Auswirkungen von Tackles und anderen Spielzügen bereits wissenschaftlich untersucht wurden. Forscher des National Institute for Occupational Safety and Health veröffentlichten 2012 eine Studie, die sich mit den Auswirkungen des Berufs Footballspieler auf die Lebenserwartung befasst. Die Studie vergleicht dabei nicht einfach nur die Erkrankungen der ehemaligen Spieler mit denen des US-Bevölkerungsdurchschnitts, sondern analysiert auch die Daten von Menschen mit vergleichbaren Risiken, wie zum Beispiel einem hohen Körpergewicht. Dabei zeigte sich, dass einer von 55 Spieler später einmal an ALS oder Alzheimer stirbt. Das klingt viel, in absoluten Zahlen zeigt das aber, dass Borland sein Risiko, an ALS zu sterben, um lediglich 0,13 Prozentpunkte gesteigert hätte, hätte er eine komplette Karriere gespielt. Und die Suizidrate ist bei ehemaligen NFL-Spielern – trotz Junior Seau – im Altersgruppenvergleich deutlich geringer, nämlich nur halb so hoch.
Wenn man dann noch bedenkt, dass Footballspieler auch noch 42 Prozent seltener an Krebs, 86 Prozent seltener an Tuberkulose und 73 Prozent seltener an Magen-Darm-Problemen sterben, scheint es, dass Borland zumindest im Hinblick auf seine Lebenserwartung die falsche Entscheidung getroffen hat.
Bedeutet dies alles nun aber, dass die NFL im Hinblick auf die Gehirnerschütterungen zu sehr in Panik verfallen ist und die Angst der Spieler völlig überzogen ist? Nein, denn als Folgen von schweren Kopfverletzungen treten ja nicht nur Krankheiten wie ALS, Alzheimer oder Depressionen auf. Es ist bekannt, dass viele Menschen, die häufige und schwere Gehirnerschütterungen erleiden, sich nie ganz davon erholen. Häufige Kopfschmerzen, Lichtempfindlichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und eine geringe Belastbarkeit haben durchaus Auswirkungen auf die Lebensqualität. Nicht immer, aber die Gefahr besteht. Borland hat immerhin sein Risko minimiert, lebenslanger Schmerzpatient zu sein.