»Macbeth« am Deutschen Theater

Kein Herz und eine Krone

Hier wird intrigiert wie im »House of Cards«: »Macbeth« am Deutschen Theater.

Es beginnt mit der Niederschlagung eines Aufstandes und endet in
einem verheerenden Bürgerkrieg. Doch handelt es sich mitnichten um das Syrien der vergangenen Jahre, wie man vermuten könnte, sondern um die Tragödie »Macbeth« von William Shakespeare aus dem Jahre 1606. Macbeth, der tragische Held, ist ein Krieger, der sich als Politiker versucht. Bei der Bekämpfung einer Revolte in der schottischen Provinz geht er mit seinen Feinden keineswegs zimperlich um. Der Anführer der Aufrührer wird von Macbeth ermordet. Ein Bote berichtet, dass Macbeth »vom Nabel auf zum Kinn ihn schlitzte/Und seinen Kopf gepflanzt auf unsre Zinnen«. Macbeth kehrt nach diesem militärischen Erfolg an den Hof des Königs Duncan zurück, der dem Feldherren neben der Würde des Than von Glamis auch die des Than von Cawdor überträgt. Doch zuvor, auf dem Rückweg vom Schlachtfeld, widerfährt Macbeth eine Begegnung außergewöhnlicher Art. Er trifft auf eine Gruppe von Hexen. Diese prophezeien Macbeth, dass er König von Schottland wird. Bei allem Misstrauen gegenüber diesen seltsamen Geschöpfen entwickelt Macbeth Gefallen an der Vorstellung, König zu sein.
Am Deutschen Theater in Berlin hat Tilmann Köhler die Shakespearsche Tragödie inszeniert. Vor kargem Bühnenbild stehen die Handlungen der Figuren im Vordergrund, der Text der kanonischen Übersetzung von Dorothea Tieck kann seine Wirkung entfalten. Macbeth, gespielt von Ulrich Matthes, erscheint als Zauderer, der die Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Ambitionen hat, der aber vor den Konsequenzen zurückschreckt. »Verbirg dich, Sternenlicht!/Schau meine schwarzen, tiefen Wünsche nicht!/Sieh, Auge, nicht die Hand; doch lass geschehen,/Was, wenn’s geschah, das Auge scheut zu sehen.« Macbeth steht am Übergang zwischen der feudalen Auffassung der Herrschaft als gott- und schicksalsgegeben und der bürgerlichen als Produkt des Willens. Der Widerspruch zwischen leistungsorientiertem Kriegshandwerk und statischer Herrschaftshierarchie lässt Macbeth zweifeln. Über dem Königsmord liegt ein Tabu, doch über dem Mord – das weiß er als Soldat zur Genüge – keineswegs. Was sollte das eine von dem anderen unterscheiden? Verschwimmt nicht alles im Grauen? Die Frage wird später auch in Joseph Conrads Roman »Herz der Finsternis« und in der auf dem Buch basierenden Verfilmung »Apocalypse Now« von Francis Ford Coppola verhandelt.
Lady Macbeth, gespielt von Maren Eggert, bestärkt Macbeth in seinem Tun. Sie zerstreut seine Zweifel und initiiert den Mord an König Duncan. Um Macbeth zu reizen, appelliert sie an seine Männlichkeit. Der Topos der Männlichkeit ist in dem Drama von zentraler Bedeutung, dient er zumeist der Beförderung blinder Entschlusskraft der Figuren. Wie Lady Macbeth über ihn, so spottet Macbeth über die defizitäre Männlichkeit der von ihm beauftragten Mörder, deren Kostüme ein wenig an die Truppen des »Islamischen Staats« erinnern, um diese von der Notwendigkeit eines Anschlages auf seinen mutmaßlichen Konkurrenten Banquo zu überzeugen. Macbeth und Lady Macbeth sind ein machtbewusstes, sich gegenseitig treibendendes Paar, wie man es zurzeit wohl vor allem aus der Netflix-Serie »House of Cards« in Gestalt von Francis und Claire Underwood kennt.
Macbeth enthält viele Verweise auf die nachelisabethanische Epoche. Shakespeare nutzte den Stoff eines Geschehens um das Jahr 1000 in Schottland, um die Situation Englands im Jahr 1606 zu beschreiben und zu kritisieren. England war in einer Zeit des Umbruchs. 1603 erlangte Jakob I. die Königswürde von England. Jakob I. war 1566 als Sohn der Maria Stuart geboren und schon in jungen Jahren König von Schottland geworden. Er trat die Nachfolge von Elisabeth I. an, die in ihrer Regierungszeit durch einen geschickten Ausgleich zwischen Klassen und Religionen für eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte in England gesorgt hatte. Shakespeare skizziert die Situation der drei entscheidenden Kräfte seiner Zeit: Krone, Bürgertum, Adel – und die Zerstörung des Tudor-Absolutismus von Königin Elisabeth. Jakob I. verdarb es sich sogleich mit dem Unterhaus, dem bürgerlichen Lager, durch die Schröpfung mittels Steuern über deren finanzielle Möglichkeiten hinaus. Der Adel versuchte nach 120 Jahren Entmachtung durch die Tudors seine vorabsolutistische Stellung wiederzuerreichen, sodass sich ein Bündnis der beiden widerstreitenden Klassen gegen die Krone ergab. Die Religionspolitik von Jakob I. begann vielversprechend; war er doch selbst Protestant und Sohn der katholischen Maria Stuart und Nachfolger der Tudorherrscher. So konnte er zu Beginn alle Religionsgemeinschaften, die Puritaner, die Katholiken und die anglikanische Staatskirche, auf sich vereinigen. Doch indem er anschließend ausschließlich die Staatskirche förderte, machte er sich sowohl Katholiken wie Puritaner, untereinander zwar verfeindet, zum gemeinsamen Feind. Man denke nur an die Pulververschwörung radikaler Katholiken von 1605 unter Beteiligung von Guy Fawkes, der sich heute wieder zweifelhafter Popularität erfreut.
Drei Jahre der Regierung Jakob I. reichten Sha-kespeare, um die Konsequenzen seiner Politik zu erfassen und in dramatischer Form darzulegen. »Macbeth« stellt Jakob I. und seinen zerstörerischen Absolutismus dar, der England in den Bürgerkrieg führt, welcher zu einem Sieg des Bürgertums in der Glorious Revolution von 1688/89 mündete. In der Inszenierung von Tilmann Köhler ist die Königskrone das zentrale Symbol. Duncan, vor seiner Ermordung durch Macbeth, bindet die verschiedenen Parteien an sich, die Hände der Schauspieler bilden seine Krone. Macbeth hingegen als Herrscher ohne Basis stattet sich und Lady Macbeth mit einer Krone aus, die keiner mehr trägt, so dass er am Ende allein ist. Kurz vor dem Finale stirbt Lady Macbeth, was Macbeth nur mit »Sie hätte später sterben können« kommentiert. Die Herrschaft Macbeths wird im Laufe des Stückes launenhafter, irrationaler, zerstörerischer. Er herrscht, ohne zu regieren, ersetzt Staatskunst durch Tyrannei. In der Beschreibung der Funktionsweise der Macht, dem Blick ins Weltgetriebe, hat die Shakespearsche Tragödie ihre ungebrochene Aktualität, die durch die poetische Kraft der Sprache ein Moment von Zeitlosigkeit gewinnt. Shakespeare konnte die Politik Jakob I. nicht offen kritisieren, obwohl er sah, dass sie in den Bürgerkrieg führen würde. Er wählte die Gattung der Tragödie, um – wie der Shakespeare-Forscher André Müller sen. schrieb – »Abscheu und Ekel vor Gegenwart und Zukunft« auszudrücken. Stofflich eindrucksvoller und sprachlich schöner ist das wohl kaum möglich, was die Klassizität des Dramas, die bis in die Gegenwart reicht, ausmacht.

Macbeth. Deutsches Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 7. und 24. April