Die Koalitionsverhandlungen in Israel

Netanyahu hat die Wahl

Nach dem Wahlsieg muss Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bis zum 6. Mai eine Regierungskoalition bilden. Seine letzte hielt nicht einmal zwei Jahre.

Nachdem die Likud-Partei des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin »Bibi« Netanyahu bei der Wahl zur Knesset, dem israelischen Parlament, vor gut zwei Wochen überraschend deutlich stärkste Fraktion geworden ist, muss sich der langjährige Regierungschef mehrere Partner für eine tragfähige Koalition suchen. Rechnerisch möglich ist sowohl ein Bündnis mit den rechten und religiösen Parteien wie auch mit den Mitte-Links-Gruppierungen Zionistische Union und Yesh Atid (Zukunftspartei).
Allerdings gab Netanyahu sofort nach der Bestätigung des Wahlergebnisses bekannt, dass er mit den rechten Parteien Verhandlungen aufnehmen wolle. Diese empfahlen Staatspräsident Reuven Rivlin daraufhin, Netanyahu mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Und so begann schon kurz nach dem Wahltag das übliche Pokern um Posten und Budgets. Bis zum 6. Mai hat Netanyahu Zeit für die Regierungsbildung. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass er die auch brauchen wird. Das jedenfalls sagte Netanyahu einem Bericht der Jerusalem Post zufolge am Montag seiner eigenen Fraktion. Er wolle zwar möglichst schnell eine Regierung bilden, seine Erfahrung jedoch lehre ihn, dass es bis kurz vor dem 6. Mai dauern könne.

Wie ernst diese Ankündigung zu nehmen ist, bleibt allerdings unklar. Denn sie könnte auch einen rein taktischen Hintergrund haben. Derzeit ist Netanyahu damit beschäftigt, die aus der Sicht des Likud zu weit gehenden Ansprüche der nationalreligiösen Partei Bayit Yehudi (Jüdisches Heim) abzuwehren. Deren Vorsitzender, der frühere Stabschef Netanyahus, Naftali Bennett, brüstete sich damit, dass »Bibi« ihn als ersten gleich nach der ersten Hochrechnung angerufen habe. Bereits vor der Wahl habe ihm der Likud-Vorsitzende das Außen- oder das Verteidigungsministerium versprochen – zwei der Schlüsselressorts.
Doch aus dem Likud heißt es nun, das Versprechen sei gemacht worden, als Bennetts Bayit Yehudi in den Umfragen nur fünf Sitze hinter dem Likud lag. Nach der Wahl waren es 22. Nun, so berichtet die Jerusalem Post, lache man beim Likud über die von dem IT-Millionär Bennett geforderten Posten. Im Gegenzug kam aus den Reihen von Bayit Yehudi nun die Drohung, die Empfehlung an Präsident Rivlin, Netanyahu mit der Regierungsbildung zu beauftragen, zurückzuziehen. Klar ist, dass der amtierende Ministerpräsident seinen Wahlsieg vor allem auf Kosten der kleineren Parteien im rechten Lager, wie etwa Bayit Yehudi, errang. Besonders seine Ankündigung, keinen Palästinenserstaat zulassen zu wollen, sowie seine Bemerkungen über die von israelischen Arabern angeblich ausgehende Gefahr trieben viele rechte Wähler zu Netanyahu – allerdings auf Kosten einer weiteren Verschlechterung in den Beziehungen zwischen Israel und den USA sowie zwischen jüdischen und arabischen Israelis.

Wenige Tage vor der Wahl hatte der Likud in den Umfragen noch klar hinter der Zionistischen Union gelegen. Doch mit diesem Schachzug war es Netanyahu gelungen, den Rückstand gegenüber der Partei von Yitzchak »Buji« Herzog und Tzipi Livni in einen Vorsprung zu verwandeln und erneut mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Nun will der nach David Ben-Gurion am zweitlängsten regierende Ministerpräsident Israels auch in seiner künftigen Koalition klarmachen, wer das Sagen hat. Immerhin hat keiner der fünf potentiellen Koalitionspartner eines Mitte-Rechts-Bündnisses auch nur halb so viele Sitze wie der Likud. Netanyahu befindet sich in der komfortablen Situation, dass er auch mit der Zionistischen Union und Yesh Atid eine sogenannte Regierung der nationalen Einheit bilden könnte.
So berichtete der israelische Fernsehsender Channel 10 am Sonntag, dass Netanyahu auf Herzog zugehen wolle. Innenminister Gilad Erdan vom Likud meinte, dass sich seine Partei möglicherweise Richtung Mitte-Links wenden müsse, wenn die avisierten rechten Partner unvernünftige Forderungen stellten. Auch Erdans Parteifreundin Limor Livnat sprach über die Vorzüge einer Einheitsregierung – sie könne helfen, den internationalen Druck auf Israel abzuschwächen. Doch bei der Zionistischen Union scheint man sich im Klaren darüber zu sein, dass die Avancen aus Reihen des Likud in erster Linie als Druckmittel bei den Koalitionsverhandlungen mit den kleineren rechten Parteien dienen sollen.
Herzogs Fraktionsvorsitzender Eitan Cabel jedenfalls stellte klar: »Die Zionistische Union wird in die Opposition gehen.« Die inhaltlichen Unterschiede seien einfach zu groß. Netanyahu wolle keine ernsthaften Schritte in der internationalen Diplomatie und keine Restriktionen für das mit ihm verbandelte Big Business. Verhandlungen zwischen Likud und Zionistischer Union, so Cabel, fänden lediglich in den Köpfen politischer Analysten statt: »Das könnte vielleicht ein guter Film werden, aber es werden sicher keine Nachrichten.« Bereits vor einer Woche hatte Yitzchak Herzog selbst betont: »Die Zionistische Union ist kein Spielzeug in dem Rennen zwischen Bibi und Bennett um die Zerstörung des Staates Israel.«

Andererseits gibt es bereits Hinweise auf Risse in dem Zionistische Union genannten Zweckbündnis von Herzogs Arbeitspartei und Tzipi Livnis Hatnua (»Bewegung«, eine Abspaltung von Ariel Sharons früherem Kadima-Bündnis). Nachdem Herzog und Livni in der Schlussphase des Wahlkampfs bereits von dem Modell abgerückt waren, bei einem Wahlsieg abwechselnd die Regierung zu führen, wurde Livni nun von der einflussreichen Abgeordneten Shelly Yachimovich – die bei der letzten Wahl noch als Spitzenkandidatin der Arbeitspartei fungiert hatte – heftig attackiert. Die Union sei lediglich für die Wahl gedacht gewesen. Sollte es nun einen Machtkampf geben, werde sie Herzog unterstützen. Immerhin war Livni mit ihrer Partei genau wie Yair Lapid mit seiner Yesh Atid Teil der letzten Regierung Netanyahus gewesen – ehe dieser die beiden aus ihren Ämtern als Justizministerin respektive Finanzminister entließ. Allerdings sind es nun neben den beiden rechten Politikern Avigdor Lieberman und Naftali Bennett gerade Lapid und Livni, die als Verlierer der Wahl gelten.
Die Tageszeitung Haaretz jedenfalls zitiert einen anonymen Knessetabgeordneten der Zionistischen Union, der »keinen Zweifel« hat, »dass am Ende Netanyahu den Schritt machen« werde. »Er wird in letzter Minute mit einem überraschenden und großartigen Angebot zu uns kommen, das man nur schwer wird ablehnen können.« Wenn der Likud-Vorsitzende sowohl Bennett als auch Lieberman mit seiner Rechtsaußen-Partei Israel Beitenu aus der Koalition heraushalten werde, »was würde dann passieren?« Andere Quellen sehen offenbar genau darin die Gefahr für das Bündnis von Herzog und Livni, letztere sei die entschiedenere Gegnerin eines Regierungseintritts.
Während derzeit die Verhandlungen des Likud mit den kleineren Parteien laufen, lässt sich eines jedenfalls aus den Berichten der Unterhändler herauslesen. Weder die beiden religiös-orthodoxen Parteien Vereinigtes Torah-Judentum und Shas noch die zentristische Likud-Abspaltung Kulanu von Moshe Kahlon sind unverzichtbar für die Regierungsbildung des Likud, bedeutender sind die beiden rechtsnationalen Parteien Bayit Yehudi und Israel Beitenu. Deren insgesamt 14 Sitze wären aber durch die 24 Mandate der Zionistischen Union und die elf von Yesh Atid ersetzbar. Nun liegt die Entscheidung beim Wahlsieger. Und der ist, das wird immer deutlicher, niemand anderes als Benjamin Netanyahu.