Nach den Wahlen in Nigeria

Sieg im fünften Anlauf

Oppositionskandidat Muhammadu Buhari hat die Wahlen in Nigeria gewonnen. Die Oligarchie des Landes ordnet sich nun neu.

Es blieb spannend bis zum Schluss; bis am Dienstag vergangener Woche die Wahlkommission die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Nigeria bekanntgab. Der bisher amtierende Präsident Goodluck Jonathan, Kandidat der People’s Democratic Party (PDP), unterlag seinem Herausforderer Muhammadu Buhari, dem Kandidaten des All Progressives Congress (APC), der knapp 54 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Auch die Kontrolle im Repräsentantenhaus und im Senat verlor die PDP an den APC. Damit steht das mit ungefähr 170 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas vor einer Neuordnung der politischen Verhältnisse.
Die PDP hatte das politische Leben in Nigeria seit dem Übergang zur Zivilregierung im Jahr 1999 beherrscht. Mit Olusegun Obasanjo, Umaru Yar’Adua und Goodluck Jonathan stellte sie bisher alle Präsidenten nach der Militärdiktatur unter Sani Abacha und verfügte über eine Mehrheit in den beiden Parlamentskammern. Mit der Wahl Buharis gelang zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias der Übergang von einem zivilen Amtsinhaber zum Herausforderer der Opposition. Am Urnengang hatten sich knapp 28,5 Millionen der 70 Millionen registrierten Wählern beteiligt.
Entsprechend positiv wurden die Wahlen international bewertet, auch wenn es nach Informationen der National Human Rights Commission Nigerias vor der Wahl Dutzende Tote gegeben hatte. Die Vorsitzende der Afrikanischen Union (AU), Nkosazana Dlamini-Zuma, ließ verlauten, das Ergebnis demonstriere »die Reife der Demokratie nicht nur in Nigeria, sondern auf dem gesamten Kontinent«. US-Präsident Barack Obama gratulierte Buhari und lobte ihn und Jonathan für »ihre öffentlichen Verpflichtungen zur Gewaltlosigkeit während der Kampagne«.
Buhari, der aus dem Bundesstaat Katsina im Norden des Landes stammt, ist ein alter Bekannter in der nigerianischen Politik. Unter der Militärherrschaft von Olusegun Obasanjo von 1976 bis 1979 bekleidete er unterschiedliche Ministerposten, zuvor hatte er als Militärgouverneur des damaligen Bundesstaates Nordost amtiert. Ende 1983 putschte der Generalmajor gegen die zivile Regierung der zweiten Republik unter Shehu Shagairi und herrschte bis zu einem erneuten Putsch durch Ibrahim Babangida bis 1985. Bereits zum fünften Mal seit 1999 ging er als Präsidentschaftskandidat ins Rennen.

Vier Mal scheiterte der 72jährige Buhari an seinen Widersachern aus der PDP. Die Wahlen 2003, 2007 und 2011 waren durch Wahlbetrug und ­Gewalt gekennzeichnet, vor vier Jahren hatte es bei Ausschreitungen ungefähr 800 Tote gegeben. Trotz kleinerer Unregelmäßigkeiten und eines nicht immer reibungslos funktionierenden elektronischen Registrationssystems wird die Wahl vom 28. und 29. März wohl als bislang freieste und fairste – und auch teuerste – Wahl in die Geschichte Nigerias eingehen.
Die Stimmverteilung spiegelte vor allem die regionale Verankerung der Bewerber wider. Während der Norden weitgehend für Buhari stimmte, votierten die Wähler im Süden und Südosten für Goodluck Jonathan, der aus dem Nigerdelta stammt. Entscheidend war letztlich, dass Buhari auch die Millionenmetropole Lagos im Südwesten des Landes für sich gewinnen und in einigen Staaten des Middle Belt Boden gutmachen konnte.
Die Wahl sollte ursprünglich bereits im Februar stattfinden, wurde jedoch mit der Begründung verschoben, dass die Sicherheit nicht gewährleistet werden könne. Die Terrorgruppe Boko Haram verstärkte zu dieser Zeit ihre Angriffe im Nordosten des Landes. Mit einer Offensive in letzter Minute versuchte die herrschende PDP, von ihrer bisherigen traurigen Bilanz in Sachen Terrorbekämpfung abzulenken und den absehbaren Trend zugunsten des APC zu stoppen.
Die Aktivitäten von Boko Haram konnten die Wahlen zwar nicht ernsthaft behindern, haben aber eine entscheidende Rolle beim Wahlsieg Buharis gespielt. Viele Menschen in Nigeria trauen wohl dem ehemaligen General eher zu, den Jihadismus auf Dauer zurückdrängen zu können. Eine Reform der Armee und die Beendigung der herrschenden Korruption im Antiterrorkrieg stehen ganz oben auf der Agenda Buharis, wie er in einer Fernsehansprache am Mittwoch vergangener Woche bekräftigte. »Change« war das Motto seiner Partei, und das ist es, was die Mehrheit der Nigerianer sich offenbar wünscht.

Fraglich ist, ob der Regierungswechsel tatsächlich einen Wandel bringt oder nur die alten politischen Strukturen reproduziert. Die Macht verbleibt mit dem Sieg Buharis fest in den Händen einer kleinen, aber mächtigen und superreichen Oligarchie, die sich nun unter dem Banner der APC neu ordnen wird. Die Tage der PDP hingegen, die seit 1999 den Kompromiss zwischen den Führungsschichten des Nordens und des Südens verkörperte, dürften gezählt sein.
Bereits am 11. April steht der PDP eine neue Bewährungsprobe bevor. Dann werden die Gouverneure und die Parlamente in den 36 Bundesstaaten und der Hauptstadt Abuja gewählt. Die Gouverneure verfügen über erheblichen Einfluss, die Posten sind begehrt bei Anwärtern, die sich aus öffentlichen Geldern bereichern wollen. Setzt sich der Trend fort, der sich mit der Wahl Buharis andeutet, könnte die PDP auch auf regionaler Ebene erheblich geschwächt werden.
Unklar ist, wie in den Bundesstaaten des ölreichen Nigerdeltas auf die Veränderungen reagiert werden wird. Unter Yar’Adua und Jonathan sorgten eine Amnestie und erhebliche finanzielle Zugeständnisse dafür, dass die dortigen bewaffneten Aufstände gegen die transnationalen Ölkonzerne und staatliche Repräsentanten zurückgingen. Die Ijaw, die dominante Bevölkerungsgruppe im Nigerdelta, sahen in Jonathan einen der ihren und stimmten mit großer Mehrheit für die PDP. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Kampf um die Ressourcen im Delta in eine neue Runde geht.
Die Aufgabenliste der neuen Regierung ist lang. Neben dem Kampf gegen Boko Haram, der noch lange nicht gewonnen ist, erwarten die Nigerianerinnen und Nigerianer von ihr eine effektive Bekämpfung der Korruption. Die Bilanz der Regierung unter Jonathan ist in dieser Hinsicht äußerst mager. Im Februar vorigen Jahres wurde Lamido Sanusi, der Gouverneur der Zentralbank, entlassen, nachdem er die Nigerian National ­Petroleum Corporation (NNPC) der Korruption bezichtigt hatte. 20 Milliarden US-Dollar, die für die Staatskasse vorgesehen waren, verschwanden nach Sanusis Angaben von den Konten der NNPC.

Der Diebstahl öffentlicher Gelder durch die herrschende Oligarchie sorgt für die in Nigeria offensichtliche krasse soziale Spaltung der Gesellschaft in eine kleine, vermögende Oberschicht und die Masse von Armen. Politischen Einfluss zu nehmen ist jenseits der Wahlen für die meisten Menschen vor allem über klientelistische Netzwerke möglich, die sich über Familien- und Clanstrukturen sowie ethnische und regionale Identitäten vermitteln. Sie sind zugleich Staatsbürger und Untertanen ihrer politischen Führer.
Die »Reife« der nigerianischen Demokratie bemisst sich nicht am friedlichen Übergang von einem Präsidenten zum nächsten. Das sollte in einer pluralistischen Gesellschaft, als die sich Nigeria versteht, selbstverständlich sein. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob – und wenn ja, auf welche Weise – in einem neopatrimonialen System für politische und soziale Teilhabe auch zwischen den Wahlen Platz ist.